»Meb, ich muß mit dir sprechen.«
Mebbekew ging weiter.
»Bevor du heute abend in diesem Stück auftrittst!« sagte Nafai.
Meb fuhr herum. »Das ist kein Stück, es ist eine Satire. Ich bin kein Schauspieler, ich bin Maskenträger. Und du bist nicht mein Bruder, du bist ein Arsch.«
Mebs Zorn erstaunte Nafai. »Was habe ich dir getan?« fragte er.
»Ich kenne dich, Njef. Ganz gleich, was ich jetzt sage oder tue, du wirst es Vater erzählen.«
Als würde Vater nicht früher oder später selbst herausfinden, daß sein Sohn in einer Satire auftrat, die ihn vor der ganzen Stadt lächerlich machen sollte. »Mich macht es einfach krank«, sagte Nafai, »daß dich nur interessiert, ob du selbst Probleme bekommen könntest. Du hast gar keinen Familiensinn.«
»Damit schade ich meiner Familie nicht. Das Maskentragen ist eine völlig legitime Möglichkeit, mir erste Sporen als Schauspieler zu verdienen. Es bringt mir meinen Lebensunterhalt ein, und gelegentlich sogar etwas Vergnügen und Respekt, was ich bei der Arbeit für Vater niemals erlebt habe!«
Wovon sprach Meb? »Mir ist es egal, ob du ein Maskenträger bist. Das finde ich sogar großartig. Ich habe mich heute hier herumgetrieben, weil ich mit dem Gedanken spiele, es selbst einmal zu versuchen.«
Meb nahm die Maske ab und musterte Nafai von Kopf bis Fuß. »Dein Körper würde auf der Bühne Eindruck machen. Aber du klingst noch wie ein Junge.«
»Mebbekew, das spielt im Augenblick keine Rolle. Ob du nun Maskenträger bist oder nicht – das kannst du Vater einfach nicht antun!«
»Ich tue Vater gar nichts an! Ich mache das nur für mich.«
So war es immer, wenn man mit Mebbekew sprach. Er schien nie zu begreifen, worauf das Gespräch hinauslief. »Na schön, du bist ein Maskenträger«, sagte Nafai. »Aber ich traue nicht einmal dir zu, daß du deinen eigenen Vater dermaßen verspotten willst!«
Meb sah ihn verdutzt an. »Meinen Vater verspotten?«
»Du kannst mir nicht erzählen, daß du es nicht weißt.«
»Wieso soll diese Satire ihm gelten?«
»Die Szene, in der du gerade mitgespielt hast, Meb.«
»Vater ist nicht der einzige Mensch in Basilika, der an die Überseele glaubt. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, daß es ihm gar nicht so ernst damit ist.«
»Die Vision, Meb! Das Feuer in der Wüste, die Prophezeiung über das Ende der Welt! Was glaubst du denn, was damit gemeint ist?«
»Keine Ahnung. Der alte Drotik erzählt uns nicht, wem seine Satiren gelten. Wozu auch, wenn wir den Klatsch doch noch gar nicht gehört haben? Wir sprechen nur seine Texte.« Dann legte sich ein seltsamer, nachdenklicher Ausdruck auf sein Gesicht. »Was hat diese Sache mit der Überseele mit Vater zu tun?«
»Er hatte eine Vision«, sagte Nafai. »Auf der Wüstenstraße, heute morgen vor Tagesanbruch, als er von seiner Reise zurückkam. Er hat auf einem Felsen eine Feuersäule und das brennende Basilika gesehen, und er vermutet, daß damit die Vernichtung der Welt gemeint ist, wie die Zerstörung der Erde in der alten Legende. Mutter glaubt ihm, und er muß bereits mit einigen Leuten darüber gesprochen haben. Wie hätte dein Satiriker davon erfahren sollen?«
»Das ist das Verrückteste, was ich jemals gehört habe«, sagte Mebbekew.
»Ich habe es mir nicht ausgedacht«, sagte Nafai. »Ich saß heute morgen in Mutters Säulengang und …«
»Die Szene im Säulengang! Das ist … Er schrieb, wie der Apotheker … das soll Vater sein?«
»Was meinst du denn, was ich dir zu erklären versuche?«
»Arschloch«, flüsterte Meb. »Dieses Arschloch. Und mich bringt er als die Überseele auf die Bühne.«
Meb drehte sich um und lief zu dem Maskenträger, der den Apotheker spielte. Er blieb vor ihm stehen und betrachtete die Maske und das Kostüm. »Es ist so offensichtlich, daß ich den Verstand einer Stechmücke gehabt haben muß -aber eine Vision!«
»Wovon sprichst du?« fragte der Maskenträger.
»Gib mir die Maske«, sagte Mebbekew. »Gib sie her!«
»Hier.«
Meb riß sie dem anderen Mann aus den Händen und lief den Hügel hinauf zum Satiriker. Nafai folgte ihm. Meb schwenkte die Maske vor dem Gesicht des Satirikers. »Wie kannst du es wagen, Drotik, du verschlagener alter Furz?«
»Jetzt tu doch nicht so, als hättest du es nicht gewußt, mein Junge.«
»Woher sollte ich es denn wissen? Ich habe bis zum Beginn der Proben geschlafen. Du bringst mich auf die Bühne, damit ich meinen Vater verspotte, und ganz zufällig erzählst du mir nichts davon. Ja, das will ich dir glauben.«
»He, das bringt doch jede Menge Publikum.«
»Was hattest du vor? Wolltest du den Leuten verraten, wer ich bin, nach all deinen Versprechen, niemand würde es erfahren? Was haben diese Masken überhaupt zu bedeuten?« Meb drehte sich zu den anderen um, die die ganze Sache mehr oder weniger verblüfft beobachten. »He, Leute, wißt ihr, was dieser alte Scheißkerl vorhatte? Er wollte meinen Vater verspotten und den Leuten dann verraten, daß ich die Überseele gespielt habe. Er wollte mich entmaskieren!«
Dem Satiriker behagte diese Wendung der Dinge offensichtlich überhaupt nicht. Die Gesichter der meisten Maskenträger waren zwar noch bedeckt, doch man spürte, daß sie über die Vorstellung wütend waren, ein Satiriker könnte die Identität seiner Maskenträger enthüllen. Also versuchte der Mann, die Sache wieder in den Griff zu bekommen. »Macht euch keine Gedanken über diesen Unsinn«, sagte er zu den anderen. »Ich habe den Jungen gerade gefeuert, weil er die unangenehme Neigung hat, meine Texte umzuschreiben, und nun will er sich rächen und die ganze Vorstellung platzen lassen.«
Die Maskenträger entspannten sich merklich.
Meb mußte gemerkt haben, daß er den Wortwechsel verloren hatte – die Maskenträger wollten dem Satiriker glauben, weil sie sonst ihre Arbeit verloren hätten. »Nicht mein Vater ist der Lügner«, sagte Meb, »du bist es.«
»Die Satire ist doch wunderbar, nicht wahr?« sagte Drotik, »bis ihr Blitz zu Hause einschlägt.«
Meb hob die Maske des weißhaarigen Apothekers über den Kopf, als wollte er den Satiriker damit schlagen. Drotik riß einen Arm hoch und sprang zurück. Doch Meb hatte gar nicht vorgehabt, ihn anzugreifen. Statt dessen zerbrach er die Maske über seinem Knie. Dann warf er die beiden Hälften dem Satiriker vor die Füße.
Drotik senkte den Arm und erwiderte Mebbekews Blick. »Der Maskenbauer braucht keine zehn Minuten, um den Bart an eine andere Maske zu kleben. Oder wolltest du eine metaphorische Drohung aussprechen?«
»Keine Ahnung«, sagte Meb. »Wolltest du mich dazu bringen, meinen Vater metaphorisch zu ermorden?«
Der Satiriker schüttelte ungläubig den Kopf. »Wir sprechen von dem Pfeil des Spotts, Junge. Nur Worte. Ein paar Lacher.«
»Ein paar zusätzliche Eintrittskarten.«
»Mit denen wir deinen Lohn bezahlen.«
»Mit denen du reich wirst.« Meb drehte sich um und ging davon. Nafai folgte ihm. Er hörte, wie Drotik den Scriptjungen losschickte, Maskenträger zu suchen, die glaubten, die Rolle in drei Stunden lernen zu können.
Mebbekew beachtete den ihm nachlaufenden Nafai gar nicht. Er ging immer schneller, bis sie schließlich in vollem Lauf durch die Straßen rannten, die Hügel hinauf und hinab. Doch Mebbekew war nicht beharrlich genug, um Nafai endgültig abzuschütteln, und schließlich lehnte er sich gegen eine Haus wand und bückte sich keuchend.
Nafai wußte nicht, was er sagen sollte. Er hatte Meb nicht hinterherlaufen wollen, nur um ihm zu sagen, was er dachte – daß er großartig gewesen war, als er den Satiriker zurechtgewiesen, ihn einen Lügner genannt und jedes Argument aus den Angeln gehoben hatte, das sich Drotik zu seiner Verteidigung ausgedacht hatte. Als du die Maske zerbrochen hast, wollte ich laut jubeln – das wollte Nafai ihm sagen.