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Nafai dachte ganz und gar nicht so über Frauen. Vielleicht, weil er noch in der Schule war, noch immer tagtäglich mit Frauen über intellektuelle Themen sprach. Ich liebe Eiadh nicht, weil sie die schönste junge Frau in Basilika und daher wahrscheinlich auf der ganzen Welt ist. Ich liebe sie, weil wir uns unterhalten können, wegen ihrer Denkweise, dem Klang ihrer Stimme, der Weise, wie sie den Kopf neigt, wenn sie eine Idee vernimmt, der sie nicht zustimmt und wegen der Art und Weise, wie sie ihre Hand auf die meine legt, wenn sie versucht, mich zu überzeugen.

Plötzlich merkte Nafai, daß der Himmel draußen vor seinem Fenster schon hell wurde und er noch im Bett lag und von Eiadh träumte, wo er doch schon längst aufgestanden und in die Stadt gegangen sein sollte, um sie zu sehen.

Gesagt, getan. Er setzte sich auf, kniete neben seiner Matte nieder, schlug sich auf die nackten Schenkel und die Brust, um der Überseele den Schmerz darzubringen, rollte dann sein Bett auf und steckte es in den Kasten in der Ecke. Eigentlich brauche ich gar kein Bett, dachte Nafai. Wäre ich ein richtiger Mann, würde ich auf dem Boden schlafen und keinen weiteren Gedanken darüber verschwenden. Auf diese Weise würde ich so hart und mager werden wie Vater. Wie Elemak. Heute abend werde ich auf das Bett verzichten.

Er ging auf den Hof zum Wassertank. Er tauchte die Hände in den kleinen Ausguß, befeuchtete die Seife und verteilte sie auf seinem Körper. Die Luft war kalt, und das Wasser noch kälter, doch Nafai gab vor, nichts davon zu spüren, bis er sich vollständig eingeseift hatte. Er wußte, daß dieses Frösteln nichts im Vergleich zu dem war, was gleich folgen würde. Er stand unter der Dusche und griff nach der Schnur – und zögerte dann, bereitete sich auf das bevorstehende Elend vor.

»Ach, zieh einfach dran«, sagte Issib.

Nafai sah zu Issibs Zimmer hinüber. Er schwebte direkt vor der Schwelle in der Luft. »Du hast gut reden«, erwiderte Nafai.

Da Issib ein Krüppel war, konnte er die Dusche nicht benutzen; seine Schwebeflossen durften nicht naß werden. Also nahm ihm ein Diener jeden Abend die Flossen ab und badete ihn. »Du bist ein richtiges Baby, wenn es um kaltes Wasser geht«, sagte Issib.

»Erinnere mich daran, dir beim Mittagessen einen Eiswürfel den Nacken hinabrutschen zu lassen.«

»Wenn du mich schon aufweckst, weil du so laut zitterst und mit den Zähnen klapperst …«

»Ich habe nicht das geringste Geräusch gemacht«, sagte Nafai.

»Ich habe mich entschlossen, dich heute in die Stadt zu begleiten.«

»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen«, entgegnete Nafai.

»Willst du die Seife trocknen lassen? Sie verleiht deiner Haut eine bezaubernde weiße Färbung, aber nach ein paar Stunden wird es wahrscheinlich jucken.«

Nafai zog an der Schnur.

Augenblicklich ergoß sich eiskaltes Wasser aus dem Tank über ihm. Er keuchte auf und bückte und drehte und wand sich dann, um die Seife abzuspülen. Er hatte nur dreißig Sekunden, um sich zu säubern, bis der Strahl nachließ und schließlich ganz schwand, und wenn er bis dahin nicht fertig war, mußte er entweder den Rest des Tages über mit der nicht abgespülten Seife leben – und es juckte wirklich wie tausend Mückenstiche – oder ein paar Minuten lang warten und sich den Arsch abfrieren, bis sich der kleine Duschtank wieder mit Wasser aus dem großen Haupttank gefüllt hatte. Beide Möglichkeiten waren gleichermaßen unangenehm, und so hatte er sich schon vor langer Zeit eine Routine angeeignet, die es ihm ermöglichte, stets sauber zu sein, bevor das Wasser versiegte.

»Ich liebe es geradezu, deinen kleinen Tanz zu beobachten«, sagte Issib.

»Tanz?«

»Nach links beugen, die Achselhöhle ausspülen, nach rechts beugen, die andere Achselhöhle ausspülen, vorbeugen und die Backen spreizen, um den Arsch auszuspülen, zurückbeugen und …«

»Schon gut, ich hab’s kapiert«, sagte Nafai.

»Nein, ganz im Ernst, das ist eine wunderschöne kleine Routine. Du solltest sie mal dem Leiter des Offenen Theaters vorführen. Oder sogar dem Leiter des Orchesters. Du könntest ein Star werden.«

»Ein Vierzehnjähriger, der nackt unter einem Wasserstrahl tanzt«, sagte Nafai. »So etwas führt man wohl in einer anderen Art von Theater vor.«

»Aber immerhin in der Puppenstadt! Du wärest trotzdem ein Hit in der Puppenstadt!«

Mittlerweile hatte Nafai sich abgetrocknet – bis auf sein Haar, das noch immer fürchterlich kalt war. Er wollte in sein Zimmer laufen, wie er es getan hatte, als er noch klein gewesen war und unsinnige Worte vor sich hingeplappert hatte -»Uga-buga-luga-buga« war eins seiner liebsten gewesen –, während er sich anzog und abrieb, um warm zu werden. Aber jetzt war er ein Mann, und es war erst Herbst, noch nicht einmal Winter, und so zwang er sich, langsam zu seinem Zimmer zu gehen. Und deshalb war er noch auf dem Hof, splitternackt und frierend wie ein Schneider, als Elemak durch das Tor kam.

»Hundertachtundzwanzig Tage!« bellte er.

»Elemak!« rief Issib. »Du bist wieder da!«

»Trotz der Hügelräuber«, sagte Elemak. Er ging schnurstracks zur Dusche und zog sich dabei aus. »Sie haben uns vor keinen zwei Tagen überfallen, ganz in der Nähe von Basilika. Ich glaube, diesmal haben wir einen getötet.«

»Weißt du es nicht genau?« fragte Nafai.

»Ich habe natürlich einen Pulsator benutzt.«

Natürlich? dachte Nafai. Eine Jagdwaffe gegen einen Menschen?

»Ich sah, wie er umkippte, aber ich wollte nicht zurückgehen und mich überzeugen. Vielleicht ist er nur ausgerutscht und in dem Augenblick gestürzt, in dem ich geschossen habe.«

Elemak zog die Schnur, bevor er sich einseifte. Als das Wasser ihn traf, jaulte er auf, und dann vollführte er seinen eigenen kleinen Duschtanz, schüttelte den Kopf und verspritzte Wasser auf dem ganzen Hof, während er wie ein kleines Kind »Uga-buga-luga-buga!« rief.

Es war völlig in Ordnung, daß Elemak sich so benahm. Er war jetzt vierundzwanzig Jahre alt, hatte gerade eine Karawane sicher zurückgeführt, nachdem er in der Dschungelstadt Tischchetno exotische Pflanzen erworben hatte – das erste Mal seit Jahren, daß jemand aus Basilika dorthin gezogen war – und hatte unterwegs vielleicht tatsächlich einen Räuber getötet. Jeder wußte, daß Elemak ein Mann war. Nafai kannte die Regeln: Wenn sich ein Mann wie ein Kind benimmt, ist er jungenhaft, und alle nehmen es erfreut hin; wenn ein Junge sich genauso benimmt, ist er kindisch, und alle sagen ihm, er solle endlich ein Mann werden.

Elemak seifte sich nun ein. Nafai, der noch immer fror, obwohl er die Arme vor der Brust verschränkt hatte, wollte gerade in sein Zimmer gehen und sich anziehen, als Elemak wieder zu sprechen begann.

»Du bist seit meinem Aufbruch gewachsen, Njef.«

»Ich bin in letzter Zeit ziemlich in die Höhe geschossen.«

»Das steht dir gut. Und du hast auch Muskeln bekommen.

Du schlägst deinem alten Herren genau auf die richtige Art und Weise nach. Aber du hast das Gesicht deiner Mutter.«

Nafai gefiel der anerkennende Tonfall in Elemaks Stimme, doch irgendwie war es auch erniedrigend, nackt wie ein Eichelhäher dort zu stehen, während man von seinem Bruder von Kopf bis Fuß gemustert wurde.

Issib machte es natürlich nur noch schlimmer. »Zum Glück hat er Vaters wichtigstes Merkmal mitbekommen«, sagte er.

»Tja, das haben wir alle«, sagte Elemak. »Alle Babies des alten Herrn waren Jungs – oder zumindest die, von denen wir wissen.« Er lachte.