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»Natürlich nicht«, sagte Nafai. »Es ist ein geheimes Projekt.«

»Ich hätte dir heute morgen die Zähne aus dem Mund schlagen sollen«, sagte Elemak.

Warum lief es immer wieder auf Drohungen hinaus? »Schlägst du jedem die Zähne aus dem Mund, der dir Fragen stellt, auf die du keine guten Antworten hast?«

»Bis jetzt noch nicht«, sagte Elemak und stand auf. »Aber diese verpaßten Gelegenheiten werde ich jetzt nachholen.«

»Hört auf!« rief Issib. »Haben wir nicht schon genug Probleme?«

Elemak zögerte und setzte sich dann wieder. »Ich sollte ihn überhaupt nicht beachten.«

Nafai atmete wieder. Er hatte gar nicht gemerkt, daß er nicht mehr geatmet hatte.

»Er ist ein Kind. Was weiß er schon?« sagte Elemak. »Aber Vater hätte es besser wissen müssen. Er macht viele Leute sehr wütend. Sehr gefährliche Leute.«

»Du meinst, sie bedrohen ihn?« fragte Nafai.

»Niemand droht«, sagte Elemak. »Das wäre unhöflich. Sie machen sich nur … Sorgen um Vater.«

»Aber wenn doch alle über Vater lachen, müssen sie sich doch nicht darum kümmern, was er sagt. Sie sollten sich doch vielmehr über diesen Roptat Sorgen machen.«

»Es liegt an der Sache mit der Vision«, sagte Elemak. »Die Überseele. Die meisten Männer nehmen das nicht ernst, aber die Frauen … der Stadtrat … deine Mutter fördert die Sache nicht gerade.«

»Oder sie fördert sie doch, je nachdem, auf welcher Seite man steht.«

»Genau«, sagte Elemak. Er erhob sich vom Tisch, doch diesmal drohte er nicht. »Jedenfalls sehe ich, auf welcher Seite du stehst, Njef, und ich kann dich nur warnen. Wenn Vater seinen Willen bekommt, werden wir alle in den Ketten der Gorajni enden.«

»Warum bist du dir da so sicher?« fragte Nafai. »Hat die Überseele dir eine Vision eingegeben, oder was?«

»Ich bin mir sicher, mein kleiner Halb-Freund, weil ich etwas von diesen Dingen verstehe. Wenn du erwachsen bist, wirst du vielleicht begreifen, was das bedeutet. Doch ich bezweifle es.« Elemak verließ die kleine Küche.

Issib seufzte. »Mag dich überhaupt jemand in dieser Familie?«

Nafais Mahlzeit war verkocht, doch das war ihm egal. Er bebte so heftig, daß er kaum das Tablett zum Tisch tragen konnte.

»Warum zitterst du?«

»Keine Ahnung«, sagte Nafai. »Vielleicht habe ich Angst.«

»Vor Elemak?«

»Warum sollte ich vor ihm Angst haben?« fragte Nafai. »Nur, weil er mir mit einer Hand den Hals brechen könnte?«

»Warum provozierst du ihn dann immer?«

»Vielleicht habe ich auch Angst um ihn.«

»Warum?«

»Kommt dir das nicht auch komisch vor, Issib? Elja sitzt hier und spricht davon, daß Vater von mächtigen Leuten Gefahr droht – und doch beschuldigt er diese gefährlichen Leute nicht, sondern versucht, Vater am Sprechen zu hindern.«

»Niemand benimmt sich immer vernünftig.«

»Ich verstehe wirklich einiges von Politik«, sagte Nafai. »Eins meiner Unterrichtsfächer ist Geschichte. Ich bin der Klasse um Jahre voraus. Ich weiß, wie man Kriege anfängt und wer sie gewinnt. Und das ist der dümmste Plan, den ich je gehört habe. Potokgavan hat keine Chance, dieses Gebiet zu halten, und keinen zwingenden Grund, es zu versuchen. Sie werden allerhöchstens ein Heer losschicken, die Gorajni zu einem Angriff provozieren und dann einsehen, daß sie nicht gewinnen können, und nach Hause zu ihrer Flutebene zurückkehren, wo die Naßköpfe ihnen nichts anhaben können, und uns den Zorn der Gorajni ausbaden lassen. Es führt so offensichtlich ins Verderben, Kriegswagen für sie zu bauen, daß nur ein Mensch, den die Gier völlig blind gemacht hat, dafür stimmen könnte. Und falls die Überseele Vater aufgetragen hat, sich dem Bau von Wagen zu widersetzen, hat die Überseele Recht.«

»Die Überseele wird bestimmt erleichtert sein, deine Zustimmung zu haben.«

»Aber sicher, gern geschehn.«

»Nafai, du bist vierzehn Jahre alt.«

»Und?«

»Elemak will so etwas nicht von dir hören.«

»Und du auch nicht, oder?«

»Ich bin wirklich müde. Es war ein langer Tag.« Issib trieb aus der Küche.

Endlich begann Nafai zu essen. Zu seinem Abscheu hatte er keinen Appetit, obwohl er wußte, daß er noch hungrig war. Muß essen, kann nicht essen. Vergiß es. Er spülte die Mahlzeit den Abfluß hinunter und stellte den Teller ins Gestell für das schmutzige Geschirr.

Er ging auf den Hof und hielt auf sein Zimmer zu. Die Nachtluft war bereits kühl – sie befanden sich so nahe der Wüste, daß die Temperatur nach Sonnenuntergang abrupt sank. Er zitterte noch immer. Er wußte nicht, warum. Nicht wegen Vaters Vision von der Zerstörung der Welt und auch nicht wegen des Krieges, der Basilika wahrscheinlich überziehen würde, wenn sie tatsächlich die idiotische Allianz mit Potokgavan eingingen. Das waren sehr ferne Gefahren. Und auch nicht wegen Elemaks Drohungen; mit denen hatte er schon sein ganzes Leben verbracht.

Erst, als er auf seiner Matte lag und noch immer zitterte, obwohl es in seinem Zimmer gar nicht kalt war, begriff er endlich, was ihn beschäftigte. Elemak hatte erwähnt, daß Gaballufix die Verhandlungen mit den Potoku geführt hatte. Offensichtlich hatte dieser Plan Gaballufix’ Unterstützung – wer sonst, wenn nicht der Klan-Chef, würde annehmen, er könne die Palwaschantu dazu bringen, solch einen gefährlichen Weg einzuschlagen, ohne vorher mit dem Rat zu sprechen? Also lag der Schluß nah, daß mit den gefährlichen Feinden, die Vater sich Elja zufolge schaffte, Gaballufix gemeint war.

Gaballufix, dessen Haus Elemak heute heimlich besucht hatte.

Wo lag Elemaks Loyalität? Bei Vater? Oder bei seinem Halbbruder Gaballufix? Eindeutig hatte Elja etwas mit diesem Kriegswagenplan zu tun. Worin war er sonst noch verwickelt? Die gefährlichen Leute machen keine Drohungen, hatte er gesagt. Was machten sie dann – Pläne? War Elja an einem Plan beteiligt, Vater etwas Häßliches anzutun, und versuchte er mit seinen verschwommenen Hinweisen, Vater davor zu warnen?

Erst heute hatte Mebbekew von einem metaphorischen Vatermord gesprochen. .

Nein, dachte Nafai. Nein, ich bin einfach nur furchtbar aufgeregt, weil das alles so schnell gekommen ist, an nur einem Tag. Vater hat eine Vision, und plötzlich hat er sich wie nie zuvor in die Stadtpolitik verstrickt, fast, als habe die Überseele ihm diese Vision eigens wegen dieses dummen, gefährlichen Projekts von Gaballufix geschickt, eigens, weil jetzt Schritte eingeleitet werden mußten.

Warum? Wieso interessierte sich die Überseele für Basilikas Schicksal? Zahllose Städte und Nationen hatten ihren Aufstieg und Fall erlebt – Dutzende in jedem Jahrhundert, Tausende und Abertausende in der gesamten Geschichte der Menschheit. Vielleicht Millionen. Die Überseele hatte keinen Finger gerührt. Die Überseele kümmerte sich nicht um Kriege; ihr lag bestimmt nichts daran, menschliches Leid zu vermeiden. Warum also mischte sich die Überseele ausgerechnet jetzt ein? Warum diese Dringlichkeit? War es diese Sache wert, daß die Familie daran zerbrach? Und falls sie es wirklich wert sein sollte – wer hatte diese Entscheidung zu treffen? Niemand hatte die Überseele darum gebeten, und wenn sie sie wirklich herumstieß, um einen großartigen Plan zu verwirklichen, wäre es doch ganz nett, wenn die Überseele sie wissen ließ, was sie im Sinn hatte.

Nafai lag zitternd auf seiner Matte.

Dann fiel es ihm wieder ein. Ich wollte diese Nacht ja gar nicht auf der Matte schlafen. Ich wollte doch versuchen, ein echter Mann zu sein.

Fast hätte er laut gelacht. Auf dem nackten Fußboden schlafen – damit würde er zum Mann? Was für ein Narr bin ich doch.