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Issib wandte sich nach Westen, und Nafai tat es ihm gleich, und sie sahen eine Landschaft, die so gegensätzlich war, wie man es sich nur vorstellen konnte: das zerklüftete Felsplateau des Besporjadok, die fast wasserlose Einöde, die sich schier endlos gen Westen auszudehnen schien. Mindestens tausend Dichter hatten dieselbe Beobachtung gemacht: Die Sonne erhob sich aus dem Meer, umgeben von Lichtjuwelen, die auf dem Wasser tanzten, und ging dann im Westen in rotem Feuer unter, verlor sich im Staub, der unentwegt über die Wüste wehte. Doch Nafai dachte immer, daß, zumindest was das Wetter betraf, der Weg der Sonne umgekehrt verlaufen müßte. Sie brachte kein Wasser vom Meer zum Land – sie brachte trockenes Feuer von der Wüste zum Meer.

Die Vorhut der Menschenmenge, die zum Markt wollte, war nun nah genug, daß sie die Treiber und die Esel hören konnten. Also drehten sie sich um und gingen weiter nach Basilika; Teile der Rotsteinwand der Stadtmauer leuchteten in den ersten Strahlen des Sonnenscheins. Basilika, wo die bewaldeten Berge des Nordens auf die Wüste des Westens und die Gartenküste des Ostens stieß. Wie die Dichter diesen Ort besungen hatten: Basilika, die Stadt der Frauen, der Hafen des Nebels, rotummauerter Garten der Überseele, der Hafen, in dem alle Wasser der Welt zusammenfließen, um neue Wolken zu gebären, um frisches Wasser über die Erde zu ergießen.

Oder, wie Mebbekew es ausgedrückt hatte, die beste Stadt auf der Welt, um vögeln zu können.

Der Weg zwischen dem Markttor von Basilika und dem Wetschik-Haus an der Kammstraße hatte sich in all diesen Jahren nicht verändert – Nafai merkte es, wenn auch nur ein Stein beiseite geräumt worden war. Doch als Nafai dreizehn Jahre alt geworden war, hatte er einen Wendepunkt erreicht, der die Bedeutung dieser Straße veränderte. Mit dreizehn Jahren zogen selbst die vielversprechendsten Jungen zu ihren Vätern und ließen die Schule für immer hinter sich zurück. Dort blieben lediglich jene, die einen Männerberuf ablehnten und Gelehrte werden wollten. Als Nafai acht Jahre alt gewesen war, hatte er darum gebeten, bei seinem Vater wohnen zu dürfen, mit dreizehn Jahren hatte er genau andersherum argumentiert. Nein, ich habe mich nicht entschieden, Gelehrter zu werden, aber ich habe mich auch nicht entschieden, kein Gelehrter zu werden. Warum muß ich mich jetzt entscheiden? Laß mich bei dir wohnen, Vater, wenn es denn sein muß, aber laß mich auch in Mutters Schule bleiben, bis die Dinge klarer werden. Du brauchst mich bei deiner Arbeit nicht, wie du Elemak brauchst. Und ich will kein zweiter Mebbekew werden.

Obwohl sich der Weg zwischen Vaters Haus und der Stadt also nicht verändert hatte, legte Nafai ihn nun in die andere Richtung zurück. Er führte für ihn nun nicht mehr von Rasas Stadthaus aufs Land und wieder zurück; nun wanderte er von Wetschiks Landhaus in die Stadt. Obwohl sich die meisten seiner Besitztümer in der Stadt befanden – all seine Bücher, Unterlagen, Werkzeuge und Spielzeuge – und er oft drei oder vier der acht Nächte der Woche dort verbrachte, war sein Heim jetzt das Haus seines Vaters.

Kein Mann konnte behaupten, daß ihm in Basilika wirklich etwas gehörte; alles war nur Geschenk einer Frau. Und selbst ein Mann wie Vater, der allen Grund zu der Annahme hatte, sich auf eine langjährige Gefährtin verlassen zu können – selbst er konnte sich wegen des Sees in Basilika niemals wirklich zu Hause fühlen. Die tiefe Spalte im Herzen der Stadt – letztendlich der eigentliche Grund für die Existenz der Stadt – beanspruchte den halben Raum innerhalb der Mauern Basilikas, und kein Mann konnte jemals dorthin gehen, konnte sich nicht einmal so weit in die umgebenden Wälder wagen, um einen Blick auf das funkelnde Wasser zu erhaschen. Falls es funkelte. Denn nach allem, was Nafai wußte, war das Spaltental so tief, daß das Sonnenlicht das Wasser des Sees Basilika vielleicht gar nicht berührte.

Keine Stadt kann jemals eine Heimat sein, wenn es darin einen Ort gibt, den man nicht aufsuchen darf. Kein Mann ist jemals wirklich ein Bürger Basilikas. Und ich werde im Haus meiner Mutter zu einem Fremden.

Elemak hatte in vergangenen Jahren oft über Städte gesprochen, in denen den Männern alles gehörte, über Orte, wo die Männer viele Frauen und die Frauen keine Wahl hatten, als ihre Eheverträge ständig zu erneuern, und sogar über eine Stadt, in der es die Einrichtung der Ehe überhaupt nicht gab, sondern jeder Mann jede Frau nehmen konnte und sie sich ihm nicht verweigern durfte, falls sie nicht bereits schwanger war. Doch Nafai fragte sich, ob irgendeine dieser Geschichten wahr war. Denn warum sollten sich Frauen solch einer Behandlung unterwerfen? War es möglich, daß die Frauen Basilikas um soviel stärker waren als die Frauen aller anderen Städte? Oder waren die Männer dieses Ortes schwächer oder furchtsamer als die Männer anderer Städte?

Plötzlich bekam diese Frage eine große Dringlichkeit für ihn. »Hast du schon einmal mit einer Frau geschlafen, Issib?«

Issib antwortete nicht.

»Ich wollte es einfach nur wissen«, sagte Nafai.

Issib sagte nichts.

»Ich versuche herauszufinden, was an den Frauen Basilikas so wunderbar ist, daß ein Mann wie Elja immer wieder hierher zurückkommt, wo er doch in einer jener Städte leben könnte, in der die Männer tun und lassen können, was sie wollen.«

Erst jetzt antwortete Issib. »Zuerst einmal, Nafai, gibt es keinen Ort, wo Männer tun und lassen können, was sie wollen. Es gibt Orte, wo Männer so tun, als könnten sie sich alles erlauben, und die Frauen so tun, als ließen sie sie gewähren, genau, wie die Frauen hier so tun, als ginge es nach ihrem Willen, und die Männer so tun, als ließen sie sie gewähren.«

Das war ein interessanter Gedanke. Nafai war niemals in den Sinn gekommen, daß die Dinge vielleicht gar nicht so einseitig und einfach waren, wie es den Anschein hatte. Doch Issib war noch nicht fertig, und Nafai wollte den Rest hören. »Und zweitens?«

»Und zweitens, Njef, haben Mutter und Vater vor einigen Jahren ein Tantchen für mich gefunden, und um ehrlich zu sein, es ist gar nicht so gut, wie man behauptet.«

Das hatte Nafai nicht hören wollen. »Meb scheint aber anderer Meinung zu sein.«

»Meb hat keinen Verstand«, sagte Issib, »er geht einfach immer dorthin, wohin ihn sein auffälligster Körperteil führt. Manchmal bedeutet das, daß er seiner Nase folgt, normalerweise jedoch nicht.«

»Wie war es denn?«

»Sie war nett. Sie war sehr süß. Aber ich habe sie nicht geliebt.« Issib schien etwas traurig darüber zu sein. »Ich hatte eher den Eindruck, sie würde etwas mit mir anstellen, und weniger, als würden wir etwas gemeinsam machen.«

»War es, weil …«

»Weil ich ein Krüppel bin? Zum Teil, vermute ich, obwohl sie mir beibrachte, wie ich meinerseits ihr Vergnügen bereiten konnte und sie meinte, ich hätte mich überraschend gut darin erwiesen. Du wirst es wahrscheinlich genauso genießen wie Meb.«

»Das will ich nicht hoffen.«

»Mutter hat gesagt, die besten Männer würden ihr Tantchen gar nicht so sehr genießen, weil sie nicht wollen, daß man ihnen als Lektion Vergnügen bereitete, sondern daß die Frauen es freiwillig machen und aus Liebe. Doch danach hat sie gesagt, auch die schlechtesten Männer würden ihr Tantchen nicht mögen, weil sie es nicht ertragen können, daß ein anderer als sie die Situation beherrscht.«