Zdorab hustete leise, zog den Kopf ein und setzte sich in Bewegung, führte Nafai den Korridor entlang.
Also gefiel es Zdorab nicht, daß Gaballufix die Söhne des Wetschik mit solchen Attributen bezeichnete. Sehr interessant. Aber nicht so interessant, daß Nafai den Mann ins Vertrauen gezogen hätte. »Nicht so schnell, du elender kleiner Zwerg!« schimpfte er.
»Ja, Herr«, sagte Zdorab. Er ging langsamer, und Nafai schlurfte ihm hinterher.
Sie kamen zur Tür, an der derselbe Mann wie vorher Wache stand. Der Mann sah Zdorab an; sein Blick schien eine Frage auszudrücken. Das ist der entscheidende Augenblick, dachte Nafai. Die beiden verständigen sich stumm.
»Bitte öffne dem Herrn Gaballufix die Tür«, sagte Zdorab. »Wir gehen noch mal aus.«
Die einzige Verständigung, begriff Nafai, hatte darin gelegen, daß der Türsteher stumm gefragt hatte, ob der Mann in dem holographischen Soldaten-Kostüm Gaballufix war und Zdorab geantwortet hatte, indem er ihm versicherte, daß der Trunkenbold in dem Kostüm derselbe war, der kurz zuvor ins Haus gekommen war.
»Du willst feiern, Herr?« fragte der Türsteher.
»Der Rat scheint sich heute abend durchzusetzen«, sagte Zdorab.
»Soll ich eine Eskorte abstellen?« fragte der Türsteher. »Wir haben nur ein paar Dutzend Leute in der Nähe, können in ein paar Minuten aber einige aus der Hundestadt kommen lassen, wenn du möchtest.«
»Nein«, brüllte Nafai.
»Ich dachte nur … vielleicht muß man den Rat noch einmal daran erinnern, wie beim letzten Mal …«
»Die vergessen das schon nicht«, sagte Nafai. Er fragte sich, was »beim letzten Mal« geschehen war.
Zdorab ging voraus, und Nafai stolperte ihm hinterher. Hinter ihnen fiel die Tür zu.
Als sie über die fast verlassenen Straßen Basilikas gingen, dämmerte Nafai allmählich, was er gerade geschafft hatte. Nach allen Fehlschlägen des Tages hatte er gerade Gaballufix’ Haus mit dem Index verlassen. Oder zumindest mit einem Mann, der den Index trug.
»Die frische Luft ist sehr belebend, nicht wahr, Herr?« sagte Zdorab.
»Nun ja«, entgegnete Nafai.
»Ich meine – dein Kopf scheint beträchtlich klarer geworden zu sein.«
Nafai wurde klar, daß er vergessen hatte, weiterhin den Betrunkenen zu spielen. Zu spät, jetzt wieder damit anzufangen – es wäre eine Dummheit, jetzt wieder herumzustolpern, nachdem Zdorab gerade festgestellt hatte, daß er nicht mehr so betrunken wirkte. Also blieb Nafai stehen, sah Zdorab an und warf ihm einen finsteren Blick zu. Nicht, daß Zdorab seinen Gesichtausdruck hätte sehen können. Nein, der Mann mußte ihn sich vorstellen.
Anscheinend hatte Zdorab eine sehr lebhafte Phantasie. Er schien sich augenblicklich zu ducken. »Nicht, daß dein Kopf nicht von Anfang an klar gewesen wäre. Ich meine, die ganze Zeit über. Das heißt, dein Kopf ist immer klar, Herr! Und du triffst dich heute mit dem Klans-Rat, und da muß er ja besonders klar sein!«
Na wunderbar, dachte Nafai.
»Wo trifft sich der Rat heute?« fragte Zdorab.
Nafai hatte nicht die geringste Ahnung. Er wußte nur, daß er zu seinen Brüdern vor dem Rauchfang mußte. »Was glaubst du denn?« knurrte er.
»Na ja, ich meine, es ist nur … du scheinst zum Rauchfang zu wollen, und … das soll nicht heißen, daß der Rat sich nicht in der Hundestadt treffen könnte, aber normalerweise … na ja, ich war noch nie dabei. Ich meine, ich weiß nicht, ob sie ihre Versammlungen jeden Abend an einem anderen Ort abhalten, ich habe nur gehört, daß jemand darüber sprach, daß der Klansrat sich im Haus deiner Mutter am Hinteren Tor trifft, aber das war nur … na ja, vielleicht nur das eine Mal.«
Nafai ging weiter und ließ Zdorab sich in immer größeres Entsetzen reden.
»O nein!« rief Zdorab.
Nafai blieb stehen. Wenn ich jetzt den Index nehme … kann ich das Tor erreichen, bevor er Alarm schlägt?
»Ich habe das Gewölbe nicht verschlossen«, sagte Zdorab. »Ich habe mir solche Sorgen um den Index gemacht … bitte vergib mir, Herr. Ich weiß, daß die Tür nur offenstehen darf, wenn ich dort bin, und ich … du meine Güte, mir fällt gerade ein, daß ich sie auch offenstehen ließ, als ich dich an der Hintertür abholte. Was ist nur in mich gefahren? Ich weiß, daß du mich deshalb entlassen könntest, Herr. Ich habe die Gewölbetür noch nie offenstehen lassen. Soll ich umkehren und sie abschließen? Die ganzen Schätze dort … wie kannst du sicher sein, daß keiner der Diener … Herr, ich kann zurücklaufen und habe dich in ein paar Minuten wieder eingeholt, ich versichere dir, ich bin sehr flink …«
Das war die perfekte Gelegenheit, Zdorab loszuwerden – nimm den Index, schicke den Mann zurück und laufe zum Rauchfang-Tor, bevor er dich wieder einholen kann. Aber was, wenn das nur ein Vorwand ist? Wenn Zdorab ihn nur abschütteln wollte, um Gaballufix’ Soldaten zu warnen, daß sich ein Betrüger in einem holographischen Kostüm mit dem Index davonmachte? Er konnte es sich nicht leisten, Zdorab gehen zu lassen, jetzt noch nicht. Erst, wenn er sicher zum Tor hinaus war.
»Bleib bei mir«, sagte Nafai. Er zuckte zusammen, als er hörte, wie wenig seine Stimme der von Gaballufix jetzt noch ähnelte. Hatte Zdorab überrascht die Stirn gerunzelt, als er Nafai sprechen hörte? Fragte er sich in diesem Augenblick, was es mit der Stimme auf sich hatte? Geh weiter, dachte Nafai. Geh weiter und sage nichts. Er schritt schneller aus. Zdorab mußte mit seinen kürzeren Beinen in einen leichten Trab fallen, um mithalten zu können.
»Ich war noch nie auf so einer Versammlung, Herr«, sagte Zdorab. Er keuchte jetzt vor Anstrengung. »Ich werde doch nichts sagen müssen, oder? Ich meine, ich bin ja kein Ratsmitglied. O, was sage ich da nur? Wahrscheinlich werden sie mich gar nicht hereinlassen. Ich werde draußen auf dich warten. Bitte verzeih mir, daß ich so nervös bin, es liegt nur daran … ich arbeite natürlich hauptsächlich im Gewölbe und der Bibliothek, mache die Buchhaltung und so weiter, du weißt ja, daß ich nicht oft ausgehe, und da ich allein lebe, unterhalte ich mich auch nicht oft … Das meiste, was ich über Politik weiß, entnehme ich dem, was ich so aufschnappe. Ich weiß natürlich, daß du in der Politik eine wichtige Rolle spielst. Alle Bediensteten im Haus sind sehr stolz darauf, für so einen berühmten Mann zu arbeiten. Aber die Politik ist doch gefährlich, nicht wahr? Nachdem heute abend Roptat ermordet wurde … hast du nicht die geringste Angst um dich?«
Ist er wirklich solch ein Narr? fragte sich Nafai. Oder weiß er wirklich nicht, daß Gaballufix Roptats Mörder sein könnte, und versucht er auf diese unbeholfene Art und Weise, mir ein paar Informationen zu entlocken?
Auf jeden Fall bezweifelte Nafai, daß Gaballufix so eine Frage beantworten würde; also hielt er die Zunge im Zaum. Und da endlich war das Tor.
Die Wächter waren sehr wachsam. Natürlich – es würde Zdorabs Mißtrauen erregen, wenn sie diesmal so seltsam untätig wären. Nafai verfluchte sich, Zdorab mitgebracht zu haben. Er hätte den Mann loswerden sollen, als sich die Gelegenheit dazu bot.
Die Wächter nahmen Haltung an und griffen nach den Daumenscannern. Sie wirkten aggressiv – Nafais Soldatenkostüm machte ihn zum Feind oder zumindest zum Rivalen. Der Daumenscanner würde natürlich stumm seine wahre Identität enthüllen, doch da Nafai nun unter Verdacht stand, Roptat ermordet zu haben, würde ihm das auch nicht weiterhelfen.
Als er dort stand, vor Unentschlossenheit erstarrt, mischte sich Zdorab ein. »Ihr werdet doch nicht darauf bestehen, daß mein Herr seinen Daumen auf euern kleinen, dummen Bildschirm legt, oder?« rief er. Dann drückte er seinen Daumen auf den Scanner. »Da, verrät euch das nicht, wer ich bin? Der Schatzmeister des Herrn Gaballufix!«
»Das Gesetz lautet, daß jeder den Daumen auf den Scanner legt«, sagte der Wächter. Doch nun wirkte er keineswegs mehr so selbstsicher. Es war eine Sache, Gaballufix’ Soldaten zu schikanieren, aber eine ganz andere, sich mit dem Mann selbst anzulegen. »Es tut mir leid, Herr, aber wenn ich nicht darauf bestehe, verliere ich meinen Posten.«