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Dies sei ein belebter Hafen, sagte der Kapitän. Sicher komme bald ein anderes Schiff.

Er hätte nichts dagegen, sagte Humboldt. Aber er habe nun einmal diesen Paß, und die katholischen Majestäten erwarteten, daß er sich beeile.

Humboldt hielt sich an sein Versprechen und mischte sich nicht in die Navigation. Wäre nicht ein Affe ausge-brochen, der ganz allein den halben Proviant verzehrte, zwei Taranteln befreite und in der Kapitänskajüte alles in Fetzen riß, wäre die Reise ohne Störungen vorbeige-gangen. Er verbrachte die Fahrt auf dem Hinterdeck, schlief mehr als sonst und setzte Briefe an Goethe, seinen Bruder und Präsident Thomas Jefferson auf. Während in Philadelphia die Kisten abgeladen wurden, verabschiede-ten er und der Kapitän sich von neuem.

Er hoffe sehr auf ein Wiedersehen, sagte Humboldt steif.

Gewiß nicht mehr als er, antwortete der Kapitän, dessen Uniform notdürftig geflickt worden war.

Beide salutierten.

Eine Kutsche wartete, um sie in die Hauptstadt zu bringen. Ein Bote übergab eine formelle Einladung: Der Präsident ersuche um die Ehre, sie im neu gebauten Re-gierungssitz beherbergen zu dürfen; er sei begierig, alles und mehr über Herrn von Humboldts bereits legendäre Reise zu erfahren.

Erhebend, sagte Duprés.

Ein zu kleines Wort, sagte Wilson. Humboldt und Jefferson! Und er dürfe dabeisein!

Wieso Herrn von Humboldts Reise, fragte Bonpland.

Wieso eigentlich niemals die Humboldt-Bonplandsche Reise? Oder die Bonpland-Humboldt-Reise? Die Bonpland-Expedition? Ob ihm das einmal jemand erklären könne?

Ein Hinterwäldlerpräsident, sagte Humboldt. Wen interessiere schon, was der denke!

Die Stadt Washington befand sich im Aufbau. Überall waren Baugerüste, Gruben und Ziegelhaufen, überall hörte man Sägen und Hammerschläge. Der Regierungssitz, gerade fertiggestellt und noch nicht zu Ende gestrichen, war ein klassizistischer Kuppelbau, umgeben von Säulen. Er freue sich, sagte Humboldt, als sie aus der Kutsche stiegen, einmal wieder ein Zeugnis für den Einfluß des großen Winckelmann zu sehen!

Ein Spalier ungeschickt salutierender Soldaten hatte Aufstellung genommen, ein Trompetensignal wehte durch den Himmel, eine Fahne blähte sich im Wind.

Humboldt hielt sich sehr gerade und hob den Handrücken an den Rand seiner Kappe. Vom Gebäude her näherten sich Männer in dunklen Gehröcken; voran der Präsident, hinter ihm der Außenminister Madison.

Humboldt sagte etwas von der Ehre hierzusein, seinem Respekt vor der liberalen Idee, von der Freude, die Sphäre einer drückenden Despotie verlassen zu haben.

Ob er schon gegessen habe, fragte der Präsident und schlug ihm auf die Schulter. Sie müssen doch etwas essen, Baron!

Das Galadiner war miserabel, doch die Würdenträger der Republik hatten sich alle versammelt. Humboldt sprach von der Eiseskälte der Kordilleren und den Mük-kenschwärmen am Orinoko. Er erzählte gut, bloß verlor er sich immer wieder in Fakten: Er berichtete so detail-liert über Ströme und Druckschwankungen, über das Verhältnis von Höhenlage und Vegetationsdichte, über die feinen Unterschiede der Insektenarten, daß mehrere Damen zu gähnen begannen. Als er sein Notizbuch hervorholte und anfing, Meßergebnisse vorzutragen, ver-setzte Bonpland ihm unter dem Tisch einen Tritt. Humboldt trank einen Schluck Wein und kam auf die Last des Despotismus und die Ausbeutung der Bodenschätze zu reden, welche einen sterilen Reichtum erzeuge, von dem die Volkswirtschaft niemals profitieren könne. Er sprach über den Alpdruck der Sklaverei. Wieder spürte er einen Tritt. Er sah Bonpland böse an, dann erst begriff er, daß es der Außenminister gewesen war.

Jefferson habe Ländereien, flüsterte Madison.

Und?

Mit allem, was dazugehöre.

Humboldt wechselte das Thema. Er erzählte vom schmutzigen Hafen Havannas, vom Hochland von Caxamarca, von Atahualpas versunkenem Goldgarten, von den Tausende Meilen langen Steinwegen, mit denen das Inkavolk die unzähligen Anhöhen verbunden hatte. Er hatte schon mehr getrunken, als er es gewöhnt war, sein Gesicht rötete sich, seine Bewegungen wurden ausladender. Immer schon sei er unterwegs gewesen, seit seinem achten Lebensjahr. Nie habe er mehr als sechs Monate an einem Ort verbracht. Er kenne alle Kontinente und habe die Fabelwesen gesehen, von denen die orientalischen Märchenerzähler berichteten: fliegende Hunde, mehr-köpfige Schlangen und äußerst polyglotte Papageien.

Leise vor sich hin lachend, ging er schlafen.

Am nächsten Tag hatte er, trotz seiner Kopfschmerzen, eine lange Unterredung im elliptisch geformten Arbeits-zimmer des Präsidenten. Jefferson lehnte sich zurück und nahm seine Brille ab.

Bifokalgläser, erklärte er, sehr brauchbar, eine der vielen Erfindungen seines Freundes Franklin. Offen gesagt, der Mann sei ihm immer unheimlich gewesen, er habe ihn nie begriffen. Ja natürlich, gern. Hier!

Während Humboldt die Brille untersuchte, faltete Jefferson die Hände auf der Brust und begann Fragen zu stellen. Wenn Humboldt abschweifte, schüttelte er mild den Kopf, unterbrach und fragte noch einmal. Auf dem Tisch lag wie zufällig eine Karte von Mittelamerika. Er wollte alles über Neuspanien, dessen Transportwege und Bergwerke wissen. Es interessierte ihn, wie die Admi-nistration arbeitete, wie im Land und über den Ozean hinweg Befehle übermittelt wurden, wie die Stimmung unter den Adeligen war, wie groß die Armee, wie ausgerüstet, wie gut ausgebildet. Wenn man eine Großmacht zum Nachbarn habe, könne man nie genug Information besitzen. Dennoch mache er den Herrn Baron darauf aufmerksam, daß er im Auftrag der spanischen Krone gereist sei. Womöglich verpflichte ihn das zu Verschwie-genheit.

Ach warum, sagte Humboldt. Wem solle es schaden? Er beugte sich über die Karte, deren zahlreiche Fehler er gerade berichtigt hatte, und markierte mit genau gesetzten Kreuzen die Standorte der wichtigsten Garnisonen.

Jefferson bedankte sich seufzend. Was wisse man hier schon? Man sei eine kleine Protestantengemeinde am Rand der Welt. Unendlich weit von allem.

Humboldt warf einen Blick durchs Fenster. Zwei Arbeiter schleppten eine Leiter vorbei, ein dritter hob eine Kiesgrube aus. Um ehrlich zu sein, er könne es nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen.

Nach Berlin?

Humboldt lachte. Kein Mensch von Verstand könne diese greuliche Stadt sein Zuhause nennen. Er meine natürlich Paris. In Berlin, soviel sei sicher, werde er nie wieder wohnen.

Der

Sohn

Mißmutig legte Gauß seine Serviette weg. Das Essen hatte ihm gar nicht geschmeckt. Aber da er sich schlecht darüber beschweren konnte, begann er über die Stadt zu schimpfen. Er fragte, wie man es hier aushalten könne.

Es habe auch Vorteile, sagte Humboldt unbestimmt.

Welche?

Humboldt sah ein paar Sekunden starr auf die Tischplatte. Ihm schwebe vor, sagte er dann, die Erde mit einem Netz magnetischer Beobachtungsstationen zu über-ziehen. Er wolle herausfinden, ob es einen, zwei oder unzählige Magneten in ihrem Inneren gebe. Die Royal Society habe er schon dafür gewonnen, aber er brauche noch die Hilfe des Fürsten der Mathematiker!

Dazu brauche man keinen besonderen Mathematiker, sagte Gauß. Er habe sich schon mit fünfzehn mit Magnetismus beschäftigt. Kinderkram. Bekomme man hier auch Tee?

Konsterniert schnippte Humboldt mit den Fingern.

Es war früher Nachmittag, und der Professor hatte sechzehn Stunden Schlaf hinter sich. Humboldt dagegen war wie jeden Tag um fünf Uhr morgens aufgestanden, hatte nicht gefrühstückt, sondern ein paar Versuche über die Fluktuation des Erdmagnetfelds gemacht, dann ein Memorandum über Kosten und möglichen Nutzen einer Robbenzucht in Warnemünde diktiert, vier Briefe an zwei Akademien aufgesetzt, mit Daguerre über das offenbar unlösbare Problem der chemischen Bildfixierung auf Kupferplatten diskutiert, zwei Tassen Kaffee getrunken, sich zehn Minuten ausgeruht und drei Kapitel seines Reisewerkes mit Fußnoten zur Kordillerenflora versehen.