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Er werde nicht weichen, rief er, während der Polizist ihn zu den Stiegen führte, dem Zwang nicht und keiner Bitte. Die wackeren Burschen würden es nicht erlauben.

Dies sei der Moment, da der Sturm beginne. Dann, während er die Stufen hinaufgeschoben wurde: Es sei alles ein Mißverständnis, er könne es erklären. Dann war er schon hinaus.

Er hole Verstärkung, sagte der Pedell und stieg eilig die Treppe hoch.

Keine Gespräche, sagte einer der Gendarmen. Kein Wort, von keinem zu keinem. Sonst gebe es unglaublich was auf den Schädel.

Eugen begann zu weinen.

Er war nicht der einzige. Mehrere junge Männer schluchzten hemmungslos. Ein paar, die aufgesprun-gen waren, setzten sich wieder. Fünfzig Studenten mit Knotenstöcken, dachte Eugen, und drei Polizisten. Einer mußte angreifen, dann würden die anderen folgen.

Und wenn das nun er wäre? Er konnte es tun. Ein paar Sekunden stellte er es sich vor. Dann wußte er, daß er zu feige war. Er wischte sich die Tränen weg und blieb schweigend sitzen, bis der Pedell mit zwanzig Gendarmen, befehligt von einem großen Offizier mit Seehund-schnurrbart, zurückkam.

Mitnehmen, befahl der Offizier, im Kotter erste Ver-nehmung, um den Stand festzustellen, morgen Übergabe an die Zuständigen!

Ein schmächtiger Junge fiel vor ihm auf die Knie, umklammerte seine Stiefel und bettelte um Milde. Der Offizier sah peinlich berührt an die Decke, ein Gendarm zerrte den Jungen fort. Eugen benützte den Moment, um eine Seite aus seinem Notizbuch zu reißen und eine Nachricht an seinen Vater zu schreiben. Bevor ihm Handschellen angelegt wurden, konnte er den Zettel zu-sammenknüllen und in der Faust verstecken.

Auf der Straße warteten Polizeifuhrwerke. Die Fest-genommenen saßen zusammengedrängt auf langen Bänken, hinter ihnen standen Gendarmen. Zufällig kam Eugen schräg gegenüber vom dumpf vor sich hin starrenden Bärtigen zu sitzen.

Sollen wir ausbrechen, flüsterte ein Student.

Das sei ein Mißverständnis, antwortete der Bärtige, er heiße Kösselrieder und komme aus Schlesien, er sei da in etwas hineingeraten. Ein Gendarm schlug ihm mit seinem Eisenstock auf die Schulter, leise brummend sank er in sich zusammen.

Noch jemand, fragte der Gendarm.

Keiner rührte sich. Die Türen schlossen sich knallend, und sie fuhren los.

Der

Aether

Mit halbgeschlossenen Augen sprach Humboldt von Sternen und Strömen. Seine Stimme war leise, aber im ganzen Saal zu hören. Er stand vor der riesigen Kulisse eines Nachthimmels, auf dem sich Sterne zu konzen-trischen Kreisen ordneten: Schinkels Bühnenbild zur Zauberflöte, für diesen Anlaß noch einmal aufgespannt.

Zwischen die Sterne hatte man die Namen deutscher Forscher geschrieben: Buch, Savigny, Hufeland, Bessel, Klaproth, Humboldt und Gauß. Der Saal war gefüllt bis zum letzten Platz: Monokel und Brillen, sehr viele Uniformen, sanft bewegte Fächer, sowie, in der Zentrums-loge, die reglosen Gestalten des Kronprinzen und seiner Frau. Gauß saß in der ersten Reihe.

Ach was, flüsterte ihm der gutgelaunte Daguerre ins Ohr, das werde noch Jahre dauern, bis er ein Bild machen könne. Zwar werde es mit der Belichtung irgendwann schon hinkommen, aber er und sein Kompagnon Niepce hätten nicht die geringste Idee, wie man das Silberjodid fixieren solle.

Gauß zischte, Daguerre zuckte die Achseln und verstummte.

Wer in den Nachthimmel sehe, sagte Humboldt, mache sich keine rechte Vorstellung von den Erstreckun-gen dieses Gewölbes. Der Lichtnebel der Magellanschen Wolken über der südlichen Hemisphäre sei keine amor-phe Substanz, kein Dunst oder Gas, sondern bestehe aus Sonnen, welche bloß die schiere Entfernung optisch in eins fließen lasse. Ein Milchstraßenabschnitt von zwei Grad Breite und fünfzehn Grad Länge, wie ihn das Okular eines Fernrohres erfasse, enthalte mehr als fünfzigtau-send zählbare Sterne und wohl an die einhunderttausend, die man ob ihrer Lichtschwäche nicht mehr unterscheiden könne. Somit bestehe die Milchstraße aus zwanzig Millionen Sonnen, die ein von ihr um einen Durchmesser ihrer selbst entferntes Auge allerdings nur mehr als matten Schimmer wahrnehmen würde, als einen jener Nebelflecke, von denen die Astronomen mehr als drei-tausend gezählt hätten. Man frage sich also, warum bei so viel Sternen nicht der ganze Himmel ständig von Licht erfüllt, wieso da draußen so viel Schwärze sei, und komme nicht umhin, ein der Helligkeit entgegengesetztes Prinzip, etwas Hemmendes in den Zwischenräumen, einen lichtlöschenden Äther anzunehmen. Einmal mehr beweise sich so die vernünftige Einrichtung der Natur, denn schließlich hebe jede menschliche Kultur mit der Beobachtung der Bahnen der Himmelskörper an.

Humboldt öffnete zum erstenmal weit die Augen.

Einer dieser im schwarzen Äther schwimmenden Körper sei die Erde. Ein Feuerkern, umschlossen von einer starren, einer tropfbar flüssigen und einer elastisch flüssigen Hülle, welche alle drei dem Leben Heimat böten.

Selbst in unterirdischen Tiefen habe er lichtlos wuchern –

des Pflanzenzeug gefunden. Dem Feuerkern der Erde dienten die Vulkane als natürliche Ventile, die steinerne Kruste wiederum sei von zwei Meeren bedeckt, einem aus Wasser und einem aus Luft. Durch beide laufe ein beständiges Strömen: etwa jener berühmte Strom des Golfs, welcher die Wasser des atlantischen Meeres über die Landenge von Nicaragua und Yucatan treibe, dann durch den Kanal von Bahama nordöstlich gegen die Bank von Neurundland und von dort südöstlich zu den Azoren, worin man auch die Ursache für die wunderliche Erscheinung von Palmenfrüchten, fliegenden Fischen und manchmal sogar lebenden Eskimos in ihren Paddelbooten zu sehen habe, die man immer wieder an der irischen Küste antreffe. Er selbst habe im stillen Meer einen nicht minder wichtigen Strom entdeckt, der längs Chile und Peru das kalte Nordwasser an die Wendekreise führe. All sein Bitten, er lächelte halb eitel und halb verlegen, habe den Seeleuten nicht austreiben können, ihn den Humboldtstrom zu nennen. Ähnlich bewirkten die Ströme des Luftozeans, in Bewegung gehalten von den Schwankungen der Sonnenwärme und gebrochen an den Schräghängen der großen Steinmassive, daß die Verteilung der Gewächsarten nicht den Brei-tengraden, sondern isothermisch geschwungenen Linien folge. Dieses System der Ströme verbinde die Erdteile zur wirkenden Einheit. Humboldt schwieg einen Moment, als ob der kommende Gedanke ihn rührte. Wie in den Erdhöhlungen, so auch im Meer, so auch an der Luft: Überall gediehen Pflanzen. Vegetation, das sei die offen liegende, die in stumme Reglosigkeit aufgefaltete Spiel-art des Lebens. Pflanzen besäßen keine Innerlichkeit, nichts Verstecktes, alles an ihnen sei Außen. Ausgesetzt und wenig geschützt, an die Erde und deren Bedingungen gefesselt, lebten sie doch und überdauerten. Insekten hingegen und Tiere und Menschen seien geschützt und gepanzert. Die konstante Temperatur ihres Inneren setze sie instand, wechselnde Bedingungen zu ertragen. Wer ein Tier ansehe, wisse noch nichts, während das Gewächs jedem Blick sein Wesen offenbare.

Jetzt werde er sentimental, flüsterte Daguerre.

So steige das Leben durch Stadien wachsender Verber-gung seiner Organisation, bis es jenen Sprung mache, den man getrost den weitestmöglichen nennen könne: dem Blitzschlag der Vernunft. Hin zu ihm finde keine Entwicklung in Graden statt. Die zweitgrößte Beleidi-gung des Menschen sei die Sklaverei. Die größte jedoch die Idee, er stamme vom Affen ab.

Mensch und Affe! Daguerre lachte.

Humboldt legte den Kopf in den Nacken und schien den eigenen Worten nachzuhorchen. Das Verständnis des Kosmos sei weit fortgeschritten. Mit Fernrohren erkunde man das Universum, man kenne den Aufbau der Erde, ihr Gewicht und ihre Bahn, habe die Geschwindigkeit des Lichtes bestimmt, verstehe die Ströme des Meeres und die Bedingungen des Lebens, und bald werde man das letzte Rätsel, die Kraft der Magneten, gelöst haben. Das Ende des Wegs sei in Sicht, die Vermessung der Welt fast abgeschlossen. Der Kosmos werde ein begriffener sein, alle Schwierigkeiten menschlichen Anfangs, wie Angst, Krieg und Ausbeutung, würden in die Vergangenheit sinken, wozu gerade Deutschland und nicht zuletzt die Forscher dieser Versammlung den vordringlichsten Beitrag leisten müßten. Die Wissenschaft werde ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeiführen, und wer könne wissen, ob sie nicht eines Tages sogar das Problem des Todes lösen werde. Einige Sekunden stand Humboldt unbewegt. Dann verbeugte er sich.