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Na gut, sagte Gauß.

Vogt sah ihn erschrocken über die Tischplatte an. Er hatte sie jetzt erst bemerkt.

Auf ein Wort, sagte Humboldt. Er war blaß, sein Gesicht maskenhaft starr.

Faszinierend, sagte die schwarzgekleidete Frau.

Ein einmaliger Moment der Kommunikation zwischen den Welten, sagte Lorenzi. Alle sahen ihn vorwurfsvoll an, er hatte ohne italienischen Akzent gesprochen; eilig wiederholte er es, wie es sich gehörte. Das Mädchen schaute sich verlegen um. Gauß beobachtete sie aufmerksam.

Vogt fragte, ob sie ihm gefolgt seien.

Gewissermaßen, sagte Humboldt. Einer Bitte wegen.

Ein Gespräch unter vier Augen. Er machte Gauß ein Zeichen, daß er bleiben solle, und ging mit Vogt hinaus in den Flur.

Er sei wegen seiner Großmutter hier, flüsterte Vogt.

Niemand wisse, wo das Geld sei. Seine Lage sei nicht leicht. Ein Gentleman müsse seine Schulden bezahlen, komme, was wolle. Und da versuche er eben alles.

Humboldt räusperte sich. Er schloß ein paar Sekunden lang die Augen, als müßte er sich zur Ordnung rufen. Ein junger Mann, sagte er dann, der Sohn des Astronomen dort drüben, sei auf einer törichten Versammlung verhaftet worden. Noch sei Zeit, ihn einfach heimzuschicken.

Vogt strich über seinen Schnurrbart.

Man würde dem Land einen Dienst erweisen. Preußen sei viel an der Zusammenarbeit mit diesem Mann gelegen. Es sei im höchsten Interesse, ihn nicht zu ver-prellen.

Im höchsten Interesse, wiederholte Vogt.

Anderswo, sagte Humboldt, gebe es Orden für so etwas.

Vogt lehnte sich an die Wand. Was man diesen Leuten vorwerfe, sei keine Kleinigkeit. Eine zutiefst bedenk-liche Geheimversammlung. Zunächst habe man sogar geglaubt, der verabscheuungswürdige Verfasser der Deutschen Turnkunst habe selbst gesprochen. Nun scheine es gottlob, daß der Redner bloß einer der vielen Nachahmer sei, die unter seinem Namen das Land durchstreiften. Ein Eilbote sei jedenfalls unterwegs nach Freyburg, um für Gewißheit zu sorgen.

Die Pest der vorgetäuschten Identitäten, sagte Humboldt. Zwei Mitarbeiter von ihm, Daguerre und Niepce, arbeiteten an einer Erfindung, die Abhilfe schaffen werde.

Dann werde die Obrigkeit offizielle Abbilder haben, und man werde sich nicht mehr als Berühmtheit ausgeben können. Er kenne das Problem gut, kürzlich erst habe in Tirol ein Mann monatelang auf Gemeindekosten gelebt, weil er behauptet habe, Humboldt zu sein und zu wissen, wie man Gold finde.

In jedem Fall, sagte Vogt, die Lage sei ernst. Et sage nicht, daß sich nichts machen lasse. Erwartungsvoll sah er Humboldt an. Aber leicht sei es nicht.

Et müsse nur ins Polizeigefängnis gehen und den jungen Mann heimschicken, sagte Humboldt. Der Name sei noch nicht aufgeschrieben. Keiner werde es erfahren.

Ein Risiko sei dabei, sagte Vogt.

Aber ein geringes.

Gering oder nicht, unter zivilisierten Leuten gebe es für so etwas Abgeltungen.

Humboldt versprach Dankbarkeit.

Die könne sich auf verschiedene Arten äußern.

Humboldt versicherte, daß er in ihm immer einen Freund haben werde. Auch sei er bereit zu jedem Gefallen.

Gefallen. Vogt seufzte. Da gebe es solche und solche.

Humboldt fragte, was er meine.

Vogt stöhnte. Ratlos blickten sie einander an.

Herrgott, sagte Gauß’ Stimme neben ihnen. Ob er denn wirklich nicht verstehe? Der Kerl wolle bestochen werden.

Vogt wurde bleich.

Gekauft wolle er werden, sagte Gauß ruhig. Das elende Bürschchen. Der kleine Dreckfresser.

Dagegen verwahre er sich, rief Vogt mit schriller Stimme. Das müsse er sich nicht anhören!

Humboldt machte Gauß hektische Handzeichen. Neugierig kamen die Leute aus dem Salon: Der Glatzkopf und die schwarzgekleidete Frau tuschelten, das Mädchen im Nachthemd sah ihnen über die Schulter.

Müsse er schon, sagte Gauß. Wenn man ein Kotkerl sei, ein ehrloser Lippenbär, ein gieriger Scheißzwerg, solle man auch die Wahrheit vertragen können.

Das reiche jetzt, schrie Vogt.

Aber noch lange nicht, sagte Gauß.

Er werde morgen früh seine Sekundanten schicken!

Um Gottes willen, rief Humboldt, es sei alles ein Miß-

verständnis.

Die werde er rauswerfen, sagte Gauß. Schöne Tunicht-gute müßten das sein, sich von einem Mistkäfer herum-schicken zu lassen. Fußtritte könnten die sich holen, in den Arsch und anderswohin!

Mit gepreßter Stimme fragte Vogt, ob das heiße, der Herr verweigere ihm Genugtuung.

Na sicher. So weit komme es noch, daß er sich von einem Stinkmolch totschießen lasse!

Vogt öffnete und schloß den Mund, ballte die Fäuste und starrte an die Decke. Sein Kinn zitterte. Wenn er recht verstanden habe, so habe der Sohn des Herrn Professors Schwierigkeiten. Der Herr Professor solle nicht damit rechnen, seinen Sohn bald wiederzusehen. Er stolperte zum Garderobenständer, packte seinen Mantel, riß einen Hut an sich und rannte hinaus.

Aber das sei sein Hut, rief der Glatzkopf und lief ihm nach.

Das sei ja nun nichts gewesen, sagte Gauß schließlich in das Schweigen. Er warf noch einen langen Blick auf das Medium, dann schob er die Hände in die Taschen und verließ die Wohnung.

Ein schrecklicher Irrtum, sagte Humboldt, als er ihn auf der Treppe eingeholt hatte. Der Mann habe doch kein Geld gewollt!

Ha, sagte Gauß.

Ein hoher Beamte des preußischen Staates sei nicht bestechlich. So etwas habe es nie gegeben.

Ha!

Dafür lege er seine Hand ins Feuer!

Gauß lachte.

Sie traten ins Freie und stellten fest, daß ihre Kutsche weggefahren war.

Dann eben zu Fuß, sagte Humboldt. Es sei schließlich nicht weit, seinerzeit habe er ganz andere Entfernungen gemeistert.

Bitte nicht schon wieder, sagte Gauß. Er könne es nicht mehr hören.

Die beiden sahen einander wütend an, dann gingen sie los.

Es sei das Alter, sagte Humboldt nach einer Weile.

Früher habe er jeden überzeugen können. Habe jede Blockade überwunden und jeden Paß bekommen, den er gewollt habe. Ihm habe niemand widerstanden.

Gauß antwortete nicht. Sie gingen schweigend neben-einanderher.

Gut, sagte Gauß schließlich. Er gebe es zu. Klug sei das von ihm nicht gewesen. Aber es habe ihn nun einmal so geärgert!

Solch einem Medium gehöre das Handwerk gelegt, sagte Humboldt. So nähere man sich den Toten nicht.

Ungebührlich sei es, dreist und vulgär! Er sei mit Geistern aufgewachsen und wisse, wie man sich ihnen gegenüber benehme.