»Warum eigentlich ist sie, die das meiste Geld schuldet, im Haus, während man uns, die weniger Schulden haben, auf so beschämende Weise hier draußen angekettet hat und den Elementen aussetzt?« fragte die fünfte Frau.
»Vielleicht hat sie schon angefangen, sich Kost und Logis zu verdienen«, sagte ich.
Sie drängte sich gegen die Wand.
»Meine Arme schmerzen«, sagte die Blonde.
»Haben andere freie Frauen den Hof betreten, seit ihr hier seid?« fragte ich Lady Venna.
»Ja. Und sie haben uns gesehen. Einige von ihnen verließen die Herberge wieder, nachdem sie beim Verwalter waren. Vermutlich hatten sie nicht genug Geld.«
»Also scheint es einen Sinn zu haben, euch hier anzuketten«, sagte ich. »Einmal davon abgesehen, euch auf Männer aufmerksam zu machen, die euch auslösen könnten, macht die Herberge mit dieser Handlung eindeutig klar, was sie von versuchtem Betrug hält. Ihr dient anderen freien Frauen als Warnung, Frauen, die ansonsten vielleicht versucht gewesen wären, ähnliche Schliche zu versuchen.«
»Wenn man uns nicht auslöst, was wird dann mit uns geschehen?« jammerte die vierte Frau.
»Das könnt ihr euch doch sicher denken«, sagte ich.
»Nein, nein nein!« riefen sie im Chor.
»Löse mich aus«, bat die Fragestellerin. »Ich werde mich erkenntlich zeigen, ansehnlicher Mann.«
»Sklavin!« schrie Amina sie wütend an.
»Sklavin!« schrie auch die Blonde.
»Hört auf«, sagte ich. »Sie ist keine Sklavin – noch nicht!«
Der Gedanke, daß Amina und die Blonde offenbar dachten, Sklavinnen könnten handeln, amüsierte mich. Wie viele freie Frauen hatten sie eine völlig falsche Vorstellung, was die Sklaverei eigentlich bedeutete. Die Sklavin – das gilt natürlich auch für den Sklaven – ist Besitz. Sie handelt nicht. Sie schuldet alles dem Herren und gibt ihm alles von sich. Sie bemüht sich, ihn auf jede nur erdenkliche Weise zufriedenzustellen, und hofft verzweifelt, daß es ihr auch gelingt. Vielleicht würden die beiden Frauen es irgendwann begreifen.
Ich wandte mich ab und schritt über den überdachten Platz auf das rechte Haus zu, wo sich laut Türsteher der Tisch des Verwalters befand. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß solche überdachten Durchgänge hauptsächlich für die Passagiere von Mietkutschen bestimmt sind, damit sie vom Werter geschützt aus- und einsteigen können.
Es war spät. Der Regen hatte nachgelassen. Doch die Nacht war merklich kühler geworden. Ich freute mich auf ein heißes Bad, einen Ort, wo ich meine Kleidung trocknen konnte, eine Mahlzeit und ein warmes Bett.
»Bitte!« rief mir Lady Amina nach. »Bitte!« Aber ich ließ sie an die Wand gefesselt zurück.
3
Ich klopfte zweimal auf den Tisch des Verwalters.
Dahinter, an der Wand, hing eine Preisliste. Die Preise waren recht hoch. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es sich um reguläre Preise handelte. Falls doch, war die Herberge kaum konkurrenzfähig.
Ich klopfte noch zweimal auf den Tisch.
Von der Decke hing eine Tharlarionöl-Lampe an drei Ketten.
Die Liste sah folgendermaßen aus:
Brot und Paga — 2 K.T.
Andere Speisen — 3-5 K.T.
Unterkunft — 10 K.T.
Decken (2) — 2 K.T.
Bad — 1 K.T.
Bademädchen — 2 K.T.
Schwamm, Öl und Schaber — 1 K.T.
Mädchen für die Nacht — 5 K.T.
T., Grünfutter und Stall — 2 K.T.
T., Fleisch und Sitzstange — 5 K.T.
Zu dieser Preisliste sind ein paar Anmerkungen nötig. Erstens sind diese Preise in keiner Weise typisch. In vielen Herbergen kann man – je nach Jahreszeit und wenn der Verwalter mit sich handeln laßt – für zwei oder drei Kupfertarsk einen ganzen Tag verbringen, wobei alles eingeschlossen ist. Natürlich unter der Voraussetzung, daß man beim Pagakonsum und dergleichen nicht übertreibt. In den meisten Herbergen sind Bademädchen, Schwamm, Öl und Schaber im Preis für das Bad enthalten. Die Preise auf dieser Liste erschienen weit überhöht, etwa um den Faktor fünf und mehr. Das K. T. stand natürlich für Kupfertarsk.
Um die Sache zu verdeutlichen: In einer normalen Paga-Taverne bekommt man für einen einzigen Kupfertarsk Paga, Essen und ein Mädchen für den Alkoven, wenn man will. Tänzerinnen kosten natürlich manchmal zwei Münzen. Ich wußte nicht, was es hier mit der Rubrik andere Speisen auf sich hatte. Danach muß man immer fragen. Das war der Jahreszeit unterworfen, kam auf die örtlichen Lebensmittelhändler an und manchmal auch auf das Glück der Jäger und Fischer. In den meisten Herbergen ist das Essen einfach und herzhaft. Stellt man besondere Ansprüche, bringt man sich seine Speisen mit und sagt dem Verwalter, wie sie zubereitet werden sollen. Reiche Männer bringen manchmal sogar ihre eigenen Köche mit. Schließlich kann man sich nicht immer darauf verlassen, daß die Herbergsköche wissen, wie man turianischen Vulo oder Parsit aus Kassau zubereitet. ›Grünfutter‹ und ›Fleisch‹ bezogen sich auf Zug-Tharlarion beziehungsweise Tarns; das gleiche galt für Stall und Stange.
Als ich vor einigen Jahren nach Gor kam, rissen die gezähmten Tarns wie ihre wilden Artgenossen in freier Wildbahn das Futter noch selbst. Das könnten sie natürlich noch immer tun, aber mittlerweile hat man ihnen anerzogen, sich mit vorbereitetem, sogar haltbar gemachten Fleisch zufriedenzugeben. Im Idealfall fangt man unmittelbar nach dem Ausschlüpfen damit an, sie daran zu gewöhnen; man stößt ihnen das Fleisch in die Schnäbel, so wie es die Muttervögel in der Wildnis tun. Das erledigt man mit Zangen. Bei älteren Vögeln, gefangenen wilden Tarns, geht man gewöhnlich so vor, daß man frisch geschlachtetes Fleisch an lebende Tiere bindet und später, wenn sich der Tarn daran gewöhnt hat, beides zu fressen, allein zu dem Schlachtfleisch übergeht. Ein jagender Tarn ist außerordentlich gefährlich, wie man sicherlich nicht eigens zu erwähnen braucht, und auch wenn seine bevorzugte Beute der Tabuk oder das wilde Tarsk ist, greifen sie durchaus auch Menschen an. Bemerkenswerter- und vielleicht auch vorhersehbarerweise lag dieser Neuerung in der Abrichtung weniger die Bestrebung zugrunde, die Sicherheit der Menschen zu erhöhen – vor allem der Bewohner ländlicher Gebiete –, sondern hauptsächlich der Versuch, militärische Vorgehensweisen zu verbessern, vor allem in der Logistik und im Nachschub der Tarnkavallerie. Es ist allein dieser Maßnahme zu verdanken, daß das Vorhaben, große, aus Hunderten von Tarnkämpfern bestehende Luftkavallerieabteilungen aufzustellen, überhaupt erst durchführbar wurde.
»Tal«, sagte der grauhaarige Bursche, der müde durch die Tür kam.
»Tal«, erwiderte ich.
»Es ist ruhiger draußen.«
»Es regnet noch immer.«
»Zehn Tarsk die Nacht«, verkündete er. Das stimmte mit der Liste überein.
»Das ist sehr teuer.«
»Stimmt«, sagte er. »Ich würde nicht so viel bezahlen.«
»Vielleicht sollte ich sofort wieder gehen.«
»Der Regen hat nachgelassen.«
»Kann man über diese Preise reden?« fragte ich.
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Ja«, sagte er. »Der Verwalter ist ein resoluter und gieriger Kerl, das kannst du mir glauben. Ich weiß es.«
»Vielleicht ist er gar nicht so übel, wie du glaubst.«
»Er ist es, vertrau mir.«
»Ich hätte gern ein Bad mit Schwamm und allem, was dazugehört, und ein Bademädchen«, sagte ich.
»Dann kommen noch zwei Münzen dazu.«
»Müßten das nicht vier sein?« fragte ich.
»Kein Bademädchen«, erklärte er. »Wegen der Überbelegung und des Bedarfs müssen sie als Schankmädchen arbeiten.«
»Ich verstehe.«
»Du wirst dich selbst waschen, einölen und schaben müssen.«
»Das ist irgendwie eine barbarische Vorstellung.« Außerdem war es schwer, gewisse Stellen am Rücken zu erreichen.
»Die Zeiten sind schwer.«
»Wo ist euer Bad?«
»Dahinten«, sagte er und zeigte auf einen weiteren Durchgang.