»Da gibt es nicht mehr viel zu erzählen«, sagte sie zornig. »Zur siebzehnten Ahn war er unserer Anwesenheit wohl überdrüssig, und er ließ uns aus der Nähe seines Tisches entfernen. Fünf von uns wurden nach draußen gebracht, und deinem Bericht entnehme ich, daß man sie auf dem Hof ankettete. Mich hat man in den Pagaraum gebracht, damit ich an den Tischen bediene.«
»Warum hat man dich nicht nach draußen gebracht?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Männer sind lustbesessene Tiere«, sagte sie dann. »Zweifellos bin ich hier, weil ich die Schönste bin.«
»Aber das stimmt nicht«, sagte ich.
Temione warf mir einen wütenden Blick zu.
»Lady Amina und das vierte Mädchen am Ring waren beide schöner als du.«
»Wer war die vierte? War sie zierlich und dunkelhaarig?«
»Ja.«
»Das ist Rimice«, sagte sie. »Sie ist eine zierliche, kurvenreiche Schlampe.«
Ich erinnerte mich an das Mädchen. Sie hatte wunderschöne Hüften gehabt, wie geschaffen für die Liebe.
»Ich bin hübscher als sie«, sagte Temione.
»Für eine freie Frau scheinst du sehr eitel zu sein.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte sie. »Ich kümmere mich nicht um solche Dinge.«
»Sicher, die Frauen dort draußen sind nicht so schön, wie sie sein könnten. Das gilt auch für Lady Amina und Lady Rimice. Sie sind zu steif, zu angespannt, zu gehemmt, um wirklich schön zu sein.«
»Siehst du!« sagte Temione triumphierend.
»Aber du schlägst sie um Längen«, sagte ich.
»Sleen!«
»Es ist eine reizvolle Überlegung, was für eine Frau aus dir werden könnte, wenn du zu einer Schönheit würdest.«
»Sleen! Sleen!«
»Welchen Eindruck machte der Verwalter, als er den Befehl gab, dich in Ketten zu legen und im Pagaraum arbeiten zu lassen?« wollte ich wissen.
»Es belustigte ihn«, sagte sie erbost.
»Vermutlich hast du ihm widersprochen«, dachte ich laut nach, »obwohl du nichts anderes als eine Zechprellerin bist.«
»Das ist mein Recht«, erwiderte sie. »Ich bin eine freie Frau!«
»Du hast gewagt, gegen deine Behandlung zu protestieren?«
»Natürlich!« rief Temione. »Wie kann es angehen, daß man mich, eine freie Frau, auszieht, einer Leibesvisitation unterzieht und dann in einen Käfig sperrt?«
»Hast du Forderungen gestellt, ihn bedroht oder ihn beleidigt?«
»Vielleicht.«
»Ich kann verstehen, warum er es lustig fand, dich als Bedienung arbeiten zu lassen.«
»Schon möglich.«
»Wieviel schuldest du ihm?«
»Einen Silbertarsk, fünf«, sagte sie.
»Das könnte ein weiterer Grund sein«, sagte ich. »Es ist weit mehr, als die anderen Frauen ihm schulden.« Immerhin handelte es sich um einen Silbertarsk und fünf Kupfertarsk.
»Vielleicht wollte er mich auch nur an einem Ort haben, wo er oder seine Männer mich im Auge behalten können«, sagte Temione nachdenklich.
Glaubte sie wirklich, die Männer der Herberge könnten ihre Flucht befürchten – über die Palisade, nackt und in Ketten?
»Wer weiß, möglicherweise glauben sie auch, daß deine – entschuldige den Ausdruck – Zurschaustellung deine Aussichten erhöht, freigekauft zu werden.«
»Ja«, sagte sie. »Das ist auch möglich.«
Am Morgen würden die Mädchen auf dem Hof vermutlich größere Aussichten haben. Dann würden sie garantiert einen mitleiderregenden Eindruck machen. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, daß Lady Temione oder eine der anderen Frauen es tatsächlich schaffte, jemanden zu finden, der ihre Schulden bezahlte.
»Möchtest du nun endlich bestellen, Herr?« fragte sie gereizt.
Ich betrachtete sie. Ja, sagte ich mir, das war vermutlich der wahre Grund, warum sie im Pagaraum arbeitete, nicht aus Zufall oder aus Glück oder weil sie mehr als die anderen schuldete, sondern weil der Verwalter sie nicht mochte. Auf gewisse Weise stellte es eine Bestrafung dar. Außerdem hatte er zweifellos dafür gesorgt, daß sie ausführlich über ihren Status aufgeklärt wurde.
»Ich warte, Herr!«
»Hältst du dich für begehrenswert?« fragte ich.
Temione warf den Kopf hochmütig in den Nacken. »Du hast vorhin von Schönheit gesprochen und dich abwertend über meine vermeintliche Absicht geäußert, damit etwas zu erreichen. Also sieh her.«
»Das war nicht meine Frage.«
»Ja, ich halte mich für begehrenswert.« Sie sah mich wütend an. »Du nicht?«
»Die richtige Ernährung in Verbindung mit Körperertüchtigung, durchgeführt unter den richtigen disziplinierenden Bedingungen, würde ein Wunder an dir bewirken.«
»Möchtest du nun endlich bestellen?«
»Hast du schon andere Männer bedient?«
»Ja.«
»Und du bist nicht diszipliniert worden?«
»Nein. Ich bin eine freie Frau.« Der Zorn in ihrem Blick schien noch leidenschaftlicher zu werden. »Willst du jetzt bestellen?«
»Ja.«
»Und?«
»Knie nieder«, sagte ich.
»Was?«
»Du sollst niederknien. Das ist mein erster Wunsch.«
Sie starrte mich nur an.
»Weißt du nicht, wie ein Pagamädchen zu bedienen hat?«
»Ich bin eine freie Frau!«
»Soll ich dich schicken, mir eine Sklavenpeitsche zu holen?«
Temione erbebte und kniete nieder. Aber schon einen Augenblick später hatte sie sich wieder gefangen und starrte mich aufsässig an.
»Du darfst die Knie zusammen lassen«, sagte ich. »Schließlich bis du ja eine freie Frau.«
Wütend schloß sie die Schenkel. »Ich hasse dich!«
»Du darfst jetzt den Kopf senken, wie es sich gehört.«
»Niemals!«
»Sofort!«
Vor Wut zitternd senkte sie den Kopf. »Das habe ich noch nie zuvor getan«, sagte sie und hob den Kopf wieder.
»Und jetzt das Gesicht auf den Boden, zwischen die Hände.«
Sie gehorchte, dann erhob sie sich und hockte sich auf die Fersen.
»Was hast du anzubieten?« fragte ich.
»Paga und Brot kosten zwei Tarsk«, leierte sie herunter. »Andere Speisen kosten zwischen drei und fünf Tarsk.«
»Ist der Paga verdünnt?«
»Eins zu fünf.«
Das war in einer Herberge nicht ungewöhnlich. Auf einen Teil Paga kamen fünf Teile Wasser. In einer Paga-Taverne würde man ihn weniger oder gar nicht strecken. Der Wein, der auf Gor in den eigenen vier Wänden zum Essen getrunken wird, wird grundsätzlich verdünnt; man vermischt ihn in einer tiefen Schale mit Wasser. Bei einem Fest oder einem zwanglosen Beisammensein unter Freunden bestimmt der Gastgeber oder ein vorher bestimmter Festmeister die Menge des beigemischten Wassers. Unverdünnter Wein wird zumeist bei der Festen der jungen Männer ausgeschenkt, bei denen Tänzerinnen und Flötensklavinnen zugegen sind. Als Erklärung muß ich hinzufügen, daß goreanische Weine sehr stark sind, manchmal haben sie einen Alkoholgehalt von vierzig bis fünfzig Prozent.
»Wieviel Brot?«
»Zwei von vier.« Das war ein halber Laib. Goreanisches Brot wird immer in flacher, runder Form gebacken und der Laib dann in vier oder acht Teile geschnitten.
»Was gibt es sonst noch?«
»Es ist spät«, sagte sie. »Nur noch Haferbrei ist übrig.«
»Ich nehme nicht an, daß man Brot und Paga dazu bekommt, wenn man den Haferbrei bestellt.«
»Nein.«
Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, besonders nicht nach meiner Unterhaltung mit dem Verwalter. Gut, er war zwar ziemlich habgierig, aber bestimmt kein schlechter Kerl. Zum Beispiel hatte er dafür gesorgt, daß Lady Temione nackt an den Tischen bediente.
»Brot, Paga, Haferbrei«, bestellte ich.
»Gut.«
»Gut – was?« fragte ich.
»Gut, Herr!«
»Verbeuge dich anständig, bevor du gehst.«
Sie legte wütend die Handflächen auf den Boden und senkte den Kopf. Ich scheuchte sie mit einer Handbewegung auf, damit sie zur Küche eilen konnte.
»Lady Temione!« rief ich ihr hinterher.
Sie blieb stehen.
»Wenn du dich auf die Zehen stellst und kleine Schritte machst, kommst du schneller voran.«
Sie stieß einen Wutschrei aus, stolperte und fiel. Sie stand wieder auf, eilte auf die Küchentür zu und verschwand dahinter. Ich sah zu, wie sie hinter dem Mädchen hin- und herschwang, bis sie wieder bewegungslos an ihren Scharnieren hing. Solche Schwingtüren sind in Herbergen und Tavernen weit verbreitet, denn sie können leicht von jemandem aufgestoßen werden, der die Hände voll hat. Noch öfter findet man auf Gor allerdings Perlenvorhänge, die in Tavernen und ähnlichen Gebäuden Räume voneinander trennen. Lady Temione brauchte, wie ich bemerkt hatte, Disziplin. Und je früher sie sie spürte, desto besser wäre es für sie.