Es dauerte nicht lange, und sie trat mit einem Tablett durch die Tür. Sie kniete neben dem Tisch nieder, stellte das Tablett auf dem Boden ab, verneigte sich, ohne daran erinnert werden zu müssen, und stellte dann unterwürfig das Tablett auf den Tisch. Sie räumte den Paga in seinem kleinen Kantharos und das Brot auf seinem Schneidebrett ab. Die Schüssel mit dem Haferbrei bildete den Abschluß. Ein Löffel steckte darin. Temione nahm das Tablett, stellte es wieder auf den Boden, verneigte sich und blieb knien.
Ich trank einen Schluck Paga, tunkte ein Stück Brot in den Wein und aß es. Dann machte ich mich über den Haferbrei her.
Während ich in aller Ruhe aß, dachte ich über meine Pläne nach. Wie sollte ich mich Ar-Station nähern und Aemilianus, dem Stadtkommandanten, die Botschaft Gnieus Lelius’ zukommen lassen? Falls ich den Anschein erweckte, aus Ar zu kommen, würde ich bei den Cosianern unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Gab ich mich als Cosianer aus, hätte ich beträchtliche Schwierigkeiten, mich den Verteidigern von Ar-Station zu nähern. Doch ich mußte bald etwas unternehmen. Die Belagerung von Ar-Station näherte sich einem kritischen Punkt.
Plötzlich wurde die Tür des Pagaraumes aufgestoßen, und der ungestüme, bärtige Krieger aus dem Bad trat ein. Er trug tatsächlich die Uniform der Truppe des Artemidorus aus Cos. Sein Schwert ragte über der linken Schulter auf. So wird es immer von goreanischen Kriegern getragen, sofern sie sich nicht auf dem Marsch befinden oder auf einem Tarn reiten. Bei dieser Tragweise kann man das Schwert ziehen und mit derselben Bewegung Scheide mitsamt Schnüren von sich werfen. Er hatte den Helm aufgesetzt und trug die geheimnisvolle Tasche, die schon zuvor im Bad meine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Ich mied seinen Blick, da ich einen Zusammenstoß und die sich daraus ergebenden Folgen vermeiden wollte. Falls nötig würde ich es schaffen, mich von ihm demütigen zu lassen, denn ich wollte meinen Auftrag auf keinen Fall gefährden. Doch ich bin nicht immer so beherrscht, wie ich sein sollte, und falls er mich bedrohte oder herausforderte, könnte ich möglicherweise die Selbstbeherrschung oder Verstellung verlieren, die nötig waren, um mich herumschubsen zu lassen. Ich bin gelegentlich ein großer Hitzkopf, der zu schnell und unüberlegt auf eine Beleidigung oder Kränkung reagiert, gleichgültig, ob sie nur eingebildet oder wirklich ist. Das ist zweifellos einer meiner vielen Fehler. Vielleicht sollte ich mehr wie Dietrich von Tarnburg sein, der sich nie etwas anmerken ließ, um dann später, wenn es für ihn von Vorteil war und in seine Pläne paßte, mit tödlicher Schnelligkeit zuzuschlagen.
Ich bemühte mich, dem Blick des Mannes auszuweichen, und konzentrierte mich auf meinen Paga. Er grunzte verächtlich. Ich fragte mich, ob er bemerkte, daß sich meine Hand fester um den Griff des Kantharos schloß. Es war besser, wenn ich das unter Kontrolle bekam. Ich an seiner Stelle hätte es bestimmt an der Bewegung der Oberarmmuskeln bemerkt. Er blieb ein paar Schritte entfernt stehen. Ich fing an, mich beleidigt zu fühlen. Hitze stieg in mir auf. Ich nahm mich zusammen. Genau das hätte Dietrich von Tarnburg auch getan. Ich sah nicht auf. Krieger sind darauf trainiert, den Blick in die Ferne zu richten. Kam er mir zu nahe, unterschritt er einen bestimmten Abstand, konnte ich ihm den Paga in die Augen schütten, den Tisch in die Höhe stemmen und ihm ein Tischbein in den Unterleib stoßen. Im nächsten Augenblick konnte ich ihm dann den Fuß an die Kehle setzen oder ihm das Schwert in den Körper treiben. Manche Meister in der Kunst des Kampfes empfehlen auch, den Kantharos im Gesicht des Gegners zu zerbrechen, mit dem Becherrand auf den Nasenrücken zu zielen. Mit einem metallenen Becher ist das natürlich noch viel gefährlicher. Viele Zivilisten fragen sich immer, warum Krieger, die in öffentlich zugänglichen Häusern essen, stets darauf bestehen, daß ihnen der Paga in einem metallenen Becher serviert wird. Sie betrachten das als Schrulligkeit. Ich hörte, wie er noch einmal verächtlich grunzte, dann ging er weiter, zu einem anderen Tisch. Er war noch immer am Leben. Ich fragte mich, was sich wohl in der Kuriertasche befand, denn darum handelte es sich.
Ich trank noch einen Schluck Paga.
Der Krieger wählte einen der größeren Tische. Der Pagaraum war nicht gerade überfüllt. Zu dieser Stunde waren er und ich die einzigen Besucher. Ich hatte einen kleinen Tisch in der Nähe der Wand genommen. Seine Größe verhinderte, daß sich Fremde dazusetzten. Sein Standort war ebenfalls kein Zufall. Hier hatte man den ganzen Raum im Blick, einschließlich des Eingangs; außerdem hatte er die Wand im Rücken.
Er trommelte mit solcher Kraft auf den Tisch, daß er ein Stück in die Höhe sprang. »Bedienung!« brüllte er. »Bedienung!«
Die Küchentür schwang auf, und Lady Temione trat ein. Sie war wirklich hübsch anzusehen in ihren Ketten. Sie eilte auf den neuen Gast zu.
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle sie seine Bestellung aus Trotz stehend entgegennehmen, aber dann warf sie mir einen Blick zu, ging auf die Knie und verneigte sich, eine gehorsame Bedienung, die auf die Wünsche des Gastes wartete.
Ich trank noch einen Schluck. Sie würde natürlich noch einmal an meinen Tisch kommen müssen, um die Rechnung zu bringen.
Der Krieger sah sie in dem Dämmerlicht aus zusammengekniffenen Augen an. Sie zuckte vor dem Blick zurück. Er erhob sich, kam an ihre Seite und ging neben ihr in die Hocke. Er berührte ihren Hals. Dann drehte er sie einmal herum und sah sich ihre Oberschenkel an. Schließlich packte er sie an den Oberarmen und zerrte sie in die Höhe.
»Wo ist dein Kragen?« wollte er wissen. »Wo ist dein Brandzeichen?«
»Ich bin frei!« schluchzte sie.
Wütend schüttelte er sie wie eine Puppe. Ihr Kopf flog hin und her. Einen Augenblick lang hatte ich Angst, ihr Genick könne brechen.
»Wo ist dein Kragen? Wo ist dein Brandzeichen?« brüllte er.
»Ich bin frei«, schluchzte sie. »Frei!«
»Bringt mir eine Frau«, brüllte er in Richtung Küche, während er sie noch immer festhielt. »Bringt mir eine richtige Frau!«
»Was ist denn los?« Ein Bursche steckte den Kopf durch die Küchentür, vermutlich der Nachtkoch.
»Wo ist der Verwalter?« rief der Krieger.
»Er hat sich zurückgezogen.«
»Wie kannst du es wagen, so eine an meinen Tisch zu schicken?« brüllte der Krieger. »Schickt mir eine richtige Frau, eine, die weiblich ist!« Er stieß Lady Temione von sich. Sie schlug hart auf dem Boden auf und blieb vor Angst erstarrt dort liegen.
»Sofort, Herr!« rief der Koch. »Einen Augenblick!« Er wandte sich Lady Temione zu. »Schnell, in die Küche. Nein, steh nicht auf! Krieche!« Er verschwand hinter der Tür. Temione kam auf allen vieren an meinem Tisch vorbei.
»Die Rechnung«, befahl ich.
Sie nickte und eilte schluchzend in Richtung Küche weiter. Sie hatte sie noch nicht erreicht, als ein anderes Mädchen in den Raum eilte, das nur ein durchsichtiges Seidentuch um den geschmeidigen Körper gewunden hatte. Mit welcher Anmut sie sich bewegte! Um ihren Hals lag ein enger Kragen. Sie eilte zu dem Krieger und warf sich auf die Knie, und er schien sofort besänftigt.
Lady Temione brachte die Rechnung. Sie bestand aus zwei mit Scharnieren versehenen Holztafeln, von denen eine mit einer Wachsschicht überzogen war. Man benutzt sie für Notizen, zum Zusammenzählen, für Schulaufgaben und dergleichen mehr. Die Wachsschicht wird mit einem Griffel beschrieben. Die kleineren Ausgaben lassen sich aufschlagen wie Bücher. Temione legte sie auf dem Tisch ab und kniete gehorsam nieder.