»Warum?« fragte ich mit ehrlichem Interesse. Schließlich war sie noch immer eine freie Frau.
»Du mußt doch mindestens eine goldene Tarnscheibe bezahlt haben, damit ich dir eine ganze Ahn zur Verfügung stehe.«
Es war nur ein Tarnstück gewesen. Ich würde es ihr später erzählen. Ich berührte sie, ihr Körper reagierte. Ich ließ mir Zeit mit ihr.
Danach klammerte sie sich an mich. »Oh«, schluchzte sie leise. Sie schien verwirrt darüber zu sein, was man mit ihr gemacht hatte, was sie gefühlt hatte. Der Hausdiener würde bald kommen.
»Du schuldest einen Silbertarsk und fünf«, sagte ich nachdenklich.
»Denkst du daran, mich auszulösen?« fragte Temione.
»Vielleicht.« Ich mußte mir auf irgendeine Weise Zugang zu Ar-Station verschaffen. Es wurde von den Cosianern und ihren Söldnern belagert. Möglicherweise konnte sie mir von Nutzen sein.
»Ich hätte Angst, von dir ausgelöst zu werden«, sagte sie.
»Warum?«
»Wenn du meine Schulden bezahlst, besäßest du völlige Macht über mich. Du würdest mich praktisch besitzen.«
»Dir ist natürlich bewußt, daß du überhaupt keinen Einfluß darauf hast, wer dich auslöst, genausowenig wie eine Sklavin eine Wahl hat, wer sie kauft.«
»Ich weiß«, sagte Temione.
Ich lag dort und dachte nach. Ja, eine Frau wie sie könnte ich gebrauchen. Sogar mehrere von ihrer Sorte.
»Du hast mich wie ein Tarskweibchen genommen«, sagte sie schmollend.
»Du hast mit aller Leidenschaft darauf reagiert«, sagte ich. »Vielleicht muß man dich so behandeln.«
»Du respektierst mich nicht.«
»Du willst doch gar nicht respektiert werden«, erwiderte ich. »Du willst verehrt, geschätzt, beherrscht, besessen werden. Du willst gezwungen werden, zu dienen und zu lieben.«
Temione schwieg.
»Da kommt jemand«, sagte ich. »Hörst du die Schritte auf der Treppe?«
»Nein«, sagte sie.
»Er ist auf dem ersten Treppenabsatz.« Ich setzte mich auf. »Es ist ein Mann.«
»Jetzt höre ich ihn auch«, sagte sie einen Augenblick später. »Was soll das?«
Ich hatte sie auf den Bauch gedreht.
»Meine Handgelenke!« Ich hatte sie nach hinten gezogen, übereinandergelegt und hielt sie nun mit der linken Hand fest. Mit der Rechten hatte ich die Schnur von ihrem linken Handgelenk gelöst. Einen Augenblick später war sie gefesselt. Eigentlich hatte ich mit dem Hausdiener gerechnet, aber der Schritt schien viel schwerer zu sein. Lady Temione stemmte sich auf den rechten Ellbogen, die Hände auf den Rücken gefesselt. Ich konnte mir denken, wer da kam. Unwillkürlich blickte ich auf den Schlafplatz neben mir. Allem Anschein nach war er später als ich in der Herberge eingetroffen, da er auch später zum Essen gekommen war. Falls meine Annahme zutraf, hatte man ihm auch nach mir einen Schlafplatz zugeteilt. Das würde alles vereinfachen. Ich müßte nicht einmal in der Dunkelheit nach ihm suchen müssen. Auf Platz neunundneunzig in der Ecke schlief ein Mann. Er mußte ziemlich früh in der Herberge eingetroffen sein, um einen der begehrten Eckplätze zu erringen. Falls tatsächlich derjenige die Treppe heraufkam, mit dem ich rechnete, und er sich neben mir zum Schlafen hinlegte, konnte ich die Hilfe des Reisenden in der Ecke gebrauchen. Der zweite Teil meines Plans erforderte einen Verbündeten.
Ein paar Meter entfernt schrie jemand auf. Der Krieger hatte einigen Paga getrunken, vielleicht einen zweiten oder dritten Kantharos. Ich fragte mich, ob er dafür bezahlt hatte. Ein weiterer wütender Aufschrei ertönte, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Der Krieger ging etwas unsicher auf den Beinen weiter. Ein weiterer Gast wurde unsanft geweckt und kam auf die Beine. Als er jedoch sah, daß er seinem Gegenüber nicht einmal bis zur Schulter reichte, trat er einen Schritt zurück. Der Krieger winkte ihn heran. Ängstlich gehorchte er. Ohne Vorwarnung schlug der Krieger ihm die Faust in den Magen, und er sank stöhnend in die Knie. Sein Nachbar sagte etwas zu dem Krieger; der zog das Schwert zur Hälfte aus der Scheide, und der Mann rollte sich schnell auf die andere Seite und tat so, als schliefe er. Das Schwert wurde zurück in die Scheide gerammt. Das Geräusch reichte aus, daß die nächsten beiden Männer zur Seite rückten. Im nächsten Augenblick hatte der Krieger Schlafplatz achtundneunzig erreicht. Er sah wütend nach unten. Ich bemerkte erfreut, daß er noch immer die Tasche trug.
Er stellte sie an der Wand ab, der Helm folgte.
»Oh!« stieß Lady Temione aus, als sie hochgezerrt wurde.
Die Tasche wies ein Schloß auf. Es wäre also nicht einfach, sie ohne weiteres zu öffnen, um den Inhalt zu begutachten oder zu entfernen. Natürlich war ich weniger am Inhalt der Tasche als an etwas anderem interessiert. Da er offensichtlich eine Art Kurier war, würde sie die Verkleidung vervollständigen.
Er hielt Lady Temione fest, ihr Kopf lag im Nacken, sein Bart berührte fast ihren Hals.
»Sie ist eine freie Frau«, sagte ich trocken.
Mit einem abfälligen Grunzen stieß er sie von sich. Ich weiß nicht, ob er sie aus dem Pagaraum wiedererkannte oder nicht. Er war betrunken. Es war dunkel.
Er blickte sich um. Wie erwartet fiel ihm der Eckplatz ins Auge. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sich daran stören würde, daß er belegt war.
»He!« rief der Mann, der dort geschlafen hatte, als er plötzlich in die Höhe gestemmt und gegen die Wand geschleudert wurde.
Der Krieger hielt ihn dort fest und beugte sich vor, bis sich ihre Gesichter fast berührten. »Warum liegst du auf dem falschen Platz?« fragte er.
»Ich habe nicht den falschen Platz!« keuchte der Bursche.
Er wurde erneut gegen die Wand gestoßen.
»Warum?« wollte der Krieger wissen.
»Es muß sich um ein Mißverständnis handeln!« sagte der Mann. Wie ich zu meiner Freude feststellte, handelte es sich doch tatsächlich um denselben Mann, den der Krieger zuvor aus der Wanne vertrieben und zum unfreiwilligen Dienst als Badediener gezwungen hatte. Zweifellos gehörte er zu der Art von Mensch, die alles in ihrem Leben von den Gesetzen der Vernunft bestimmen lassen und alles sorgfältig planen, die frühzeitig in der Herberge eintreffen und dergleichen mehr. Keine Frage, Kerle wie der Krieger sind der Fluch solcher Leute. Er krachte wieder gegen die Wand. Es war ziemlich laut, aber ich schlief ja nicht.
»Ich habe den Ostrakon für diesen Platz!« stammelte der Mann.
»Was hat das denn damit zu tun?« fragte der Krieger und stieß ihn gegen die Wand.
»Nichts!« sagte der Mann und rang nach Atem. »Es tut mir leid, daß ich auf dem falschen Platz war! Ich entschuldige mich! Vergib mir! Das war sehr dumm von mir!«
Der Krieger ließ ihn los, und der Mann suchte auf allen vieren schnell seine Habseligkeiten zusammen.
»Du hast doch nicht etwa vor, jetzt aufzubrechen oder dich beim Verwalter zu beschweren, wie?« fragte der Krieger.
»Nein, natürlich nicht«, murmelte der Mann hastig und breitete seine Sachen auf Platz achtundneunzig aus, genau neben mir.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es der Verwalter eilig gehabt hätte, sich auf einen derartigen Wortwechsel einzulassen, besonders nicht mit einem bewaffneten Soldaten, der Artemidorus’ Kompanie angehörte.
»Du bist auch ein großer Bursche«, sagte der Mann und sah mich an. »Kann ich davon ausgehen, daß du diesen Platz nicht haben willst?«
Ich nickte.
»Falls doch, könnte ich mich selbst gegen die Wand werfen. Ich habe Übung darin.«
»Sei nicht verbittert«, sagte ich.
»Scharf die Schlampe aus meinen Augen«, sagte der bärtige Krieger und sah Lady Temione an. Sie lag noch immer dort, wo er sie zu Boden geworfen hatte, die Hände auf den Rücken gefesselt, den Kopf neben meinen Füßen, zu ängstlich, um sich zu bewegen.
»Ich habe sie für eine Ahn gemietet«, sagte ich. »Die müßte gleich um sein. Der Hausdiener wird sie holen.«
»Was hat sie gekostet?« fragte der Krieger.
»Ein Tarskstück.«
»Das ist mehr, als sie wert ist.«
»Schon möglich.«
»In vielen Städten könnte man dafür ein Münzenmädchen haben.«