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Ein Mann richtete sich über den Grabenrand auf, seine Armbrust zeigte in meine Richtung. Ich rannte auf das Seil zu, erst schnell, dann wieder langsam, wobei ich den Schützen die ganze Zeit nicht aus dem Blick verlor. Das abgefeuerte Geschoß jagte an mir vorbei und traf die Mauer. Der Cosianer hatte zu hoch gezielt. Dann hatte ich das Seil erreicht. Ich stieß mich von der Mauer ab und baumelte einen Moment lang unkontrolliert herum, dann ging es in die Höhe; halb kletterte ich, halb wurde ich gezogen. Im Graben ertönte der Befehl zum Schießen. Zwei Bolzen schlugen über mir ein. Auf der Mauer wurde zurückgeschossen. Ich kletterte weiter, zog mich fieberhaft Hand über Hand in die Höhe, wenn das Seil ruhte, wenn man es in die Höhe zog, beschränkte ich mich darauf, mich daran festzuklammern. Manchmal kletterte ich auch und wurde gleichzeitig gezogen. Dabei stieß ich mich die ganze Zeit immer wieder von der Mauer ab und baumelte vor und zurück, um den Schützen im Graben kein ruhendes Ziel zu bieten. Armbrustbolzen ließen Steinsplitter durch die Luft fliegen, ein paar ritzten mir die Haut auf, und dann, endlich, nach einem scheinbar nicht enden wollenden Aufstieg, hatte ich mit wundgescheuerten und brennenden Händen die Brustwehr erreicht, und Hände griffen nach mir und zogen mich über den Sims.

»Danke«, keuchte ich.

Man stieß mich hinter der Brustwehr auf den Wehrgang, hielt mich fest und nahm mir die Kuriertasche und alle Waffen ab.

»Zieht ihn aus und legt ihn in Ketten!« befahl eine Stimme.

Kurze Zeit später lag ich bäuchlings und nackt auf dem Laufgang, die Hände auf den Rücken gefesselt. Von den Handschellen führte eine Kette nach unten, wo sie mit der Kette zwischen den Fußschellen verschmolz.

»Ich bin Tarl aus Port Kar«, sagte ich. »Ein Kurier im Auftrag von Gnieus Lelius, dem Regenten von Ar!«

»Setzt ihm eine Haube auf«, befahl die gleiche Stimme wie vorher. »Nehmt seine weiße Flagge dazu.«

Das Tuch, das mir als Flagge gedient hatte, wurde zusammengefaltet, mir über den Kopf gestülpt und unter dem Kinn zusammengeknotet.

»Er soll knien!«

Die Soldaten zerrten mich auf die Knie.

»Das hier hatte er dabei.«

Durch die provisorische Haube konnte ich kaum etwas wahrnehmen, nicht mehr als ein paar Schatten.

»Legt ihm ein Seil um den Hals.«

Ein Schatten beugte sich über mich. Man streifte mir eine Schlinge um den Hals.

»Macht mich frei«, sagte ich. »Bringt mich zu Aemilianus! Die Botschaft in meinem Geldbeutel ist für ihn. Möglicherweise interessiert er sich auch für den Inhalt der Kuriertasche. Ich weiß es nicht. Ich habe sie einem von Artemidorus’ Kurieren abgenommen, südlich von hier, an der Vosk-Straße, in der Herberge Zum Krummen Tarn.«

»Mit verhülltem Kopf und einem Strick um den Hals wirst du nicht viel von unseren Verteidigungsstellungen sehen können«, sagte die Stimme.

»Bringt mich zu Aemilianus«, verlangte ich.

»Halt den Mund, Spion«, sagte ein Krieger.

»Ich bin kein Spion«, erwiderte ich aufgebracht.

»Wir sollten ihn aufhängen«, sagte der Krieger. »Zeigen wir den Sleen aus Cos, daß wir mit ihren Spionen keine Zeit verschwenden.«

»Ich bin kein Spion!«

»Machen wir das Seil hier fest«, fuhr der Sprecher fort. »Dann können sie zusehen, wie ihr Spion über die Mauer geworfen wird und dort hängenbleibt, keine Ihn nach seinem Eindringen in die Stadt.«

Jemand riß an dem Seil um meinen Hals.

Kräftige Hände packten mich an den Oberarmen.

»Sie haben auf mich geschossen! Ihr habt es doch gesehen!«

»Aber sie haben dich verfehlt!«

»Wäre es euch lieber, sie hätten mich getroffen?« fragte ich.

»Vielleicht wäre es für dich besser gewesen, sie hätten dich getroffen«, meinte der Soldat grimmig.

Man zerrte mich auf die Füße.

»Ich bin unter dem Schutz der weißen Fahne gekommen«, sagte ich. »Respektiert man in Ar-Station auf diese Weise die Kriegskonventionen?«

Der Griff der Männer war fest. Durch den weißen Stoff entdeckte ich links von mir die Umrisse der Zinnen. Ein Luftzug strich durch sie hindurch.

»Wartet«, sagte der Mann, der Befehl gegeben hatte, mich zu fesseln. »Wir hätten beinahe unsere Ehre vergessen. Wir danken dir, daß du uns daran erinnert hast. Natürlich beschämt es uns, daß es ein Sleen aus Cos tat. Doch das spielt keine Rolle. Daß wir daran erinnert wurden, zählt allein.« Der Soldat verstummte. »Bis zu diesem Augenblick war mir nicht bewußt, daß wir sosehr gelitten haben. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht bewußt, daß man uns sosehr verletzt hat, daß unsere Wunden so schwerwiegend sind.«

»Ich glaube, in den Gräben formieren sich die Cosianer«, unterbrach ihn ein Soldat.

»Es ist der Morgenangriff«, sagte ein anderer Soldat müde.

»Fremder«, sagte der Mann, der von Ehre gesprochen und hier anscheinend als Offizier das Kommando hatte. »Du sollst wissen, daß dich die weiße Flagge gerettet hat. Und ich muß gestehen, daß es tragischerweise beinahe anders ausgegangen wäre. Aber nun, unter ihrem Schutz, bis du so sicher, als wärst du von Eisenmauern umgeben. Dafür sorgt die Ehre von Ar-Station. Darum gebe ich dir die Möglichkeit, zu den Männern aus Cos zurückzukehren, wenn das dein Wunsch ist.«

»Bringt mich zu Aemilianus«, verlangte ich.

»Ich halte dich für einen Spion«, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf.

»Du weißt, daß du den Schutz der Flagge verlierst, wenn du jetzt zu Aemilianus gehst«, sagte er.

»Ja.«

»Bringt ihn zu Aemilianus«, befahl er.

»Gebt mir etwas, um meine Blöße zu bedecken«, bat ich, »selbst wenn es nur ein Fetzen meiner Tunika ist.«

»Es sind viele Cosianer«, sagte der Soldat an der Brustwehr.

»Du kamst als Spion«, sagte der Offizier. »Und als gefangener Spion wirst du auch vor Aemilianus gebracht. Schafft ihn hier weg!«

11

»Da ist er«, sagte die Stimme.

Man zwang mich auf die Knie. Der Boden war hart und kalt, vermutlich Steinfliesen.

Das Tuch, das ich als weiße Flagge benutzt hatte, wurde mir vom Kopf gerissen. Ich blinzelte, sah mich um.

Wie ich vermutet hatte, kniete ich auf Steinfliesen, vor einem kurulischen Stuhl, der auf einem mit Stufen versehenen Podest stand.

Neben dem Stuhl, auf einer der breiten Stufen, kniete eine blasse Sklavin, sie hatte blonde Haare und trug eine knappe Tunika.

»Du darfst gehen, Shirley«, sagte der Mann auf dem Stuhl.

»Ja, Herr«, sagte sie. Ihr Kopf war zur Seite gedreht, ihr Blick abgewandt. Ich war ein freier Mann; hätte sie mich ohne Erlaubnis angesehen, wäre sie möglicherweise bestraft worden. Es kommt vor, daß Sklavenmädchen auf der Straße nackte freie Gefangene ansehen, sie manchmal sogar verspotten, aber in Gegenwart ihres Herrn würden sie es bestimmt nicht wagen.

Shirley ist ein irdischer Name, aber ich glaubte nicht, daß sie von der Erde kam. Ihr Akzent deutete jedenfalls nicht darauf hin. Goreaner geben ihren Mädchen manchmal irdische Namen, da sie sie für ausgezeichnete Sklavennamen halten. Für goreanische Ohren haben Namen wie ›Jean‹ oder ›Joan‹ einen exotischen Klang, außerdem werden sie als passend angesehen für Sklavinnen, die von solch weit entfernten, geheimnisvollen Orten wie ›Tennessee‹ oder ›Oregon‹ kommen.

»Ja«, sagte der Mann auf dem kurulischen Stuhl; er war kräftig, machte aber einen erschöpften Eindruck.

Ein blutiger Verband war um seinen Kopf gewickelt. »Sie war einmal sehr schön.«

Ich wandte ihm meine Aufmerksamkeit zu. Auf seinem Schoß lagen die geöffnete Kuriertasche und der Briefzylinder aus meinem Geldbeutel. Er war mit Wachs und Schlaufe versiegelt gewesen, das Wachs hatte das Siegel von Gnieus Lelius getragen, des Regenten von Ar.

»Bist du Aemilianus, der Kommandant von Ar-Station?« fragte ich.

»Das bin ich«, sagte er und betrachtete mich.

Ich warf der Sklavin einen Blick zu, die sich umgedreht hatte und mich ansah.

Aemilianus lächelte. »Hat sie es gewagt, dich anzusehen?«