»Kniet nieder«, schlug ich den Straßenräubern vor. Eine Menge Leute hatte sich versammelt, und ich war mir nicht sicher, ob ich sie beschützen konnte. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß man sie kannte. »Die Köpfe nach unten. Seht so harmlos aus wie möglich.«
»Legt sie in Ketten und hängt sie an einem Eisenkragen vor die Herberge!« schlug jemand vor. Manchmal hält ein Delinquent diese Prozedur zwei oder drei Tage lang durch, bevor er stirbt.
»Kettet sie an die Pfosten!« rief sein Nachbar. Das ist eine ähnliche Form der Bestrafung. Man fesselt das Opfer mit einem Halseisen, Handketten und Fußketten an Pfosten, die auf Podesten stehen. Derartige Konstruktionen findet man gewöhnlich in Hafenstädten, in Nähe der Kais. Der Mann, der den Vorschlag gemacht hatte, kam vermutlich aus dem Flußhafen von Ar-Station. Auf dem Land ist das Pfählen weit verbreitet, der Pfahl wird gewöhnlich in unmittelbarer Nähe einer Kreuzung aufgestellt.
»Sollen die Tharlarion sie zu Tode trampeln.«
»Nein, sie sollen sie vierteilen.« Dazu befestigt man an den Hand- und Fußgelenken des Opfers Stricke, zurrt sie an den Geschirren zweier Tharlarion fest und treibt die Echsen in zwei Richtungen.
»Ja, das ist besser«, meinte der erste Sprecher.
Teilt man mit dem Opfer den Heimstein, fällt die Bestrafung meistens wesentlich menschlicher aus. Gewährt man ihm diese Gnade, zieht man ihn aus, fesselt ihn an einen Pfosten, prügelt ihn mit Stöcken und enthauptet ihn dann. Alle diese Hinrichtungsmethoden wie das Aufhängen an Ketten oder an Pfosten, damit die Verurteilten den Elementen ausgesetzt werden, sind sehr alt.
Im strömenden Regen blitzte ein Messer auf. »Wir haben keine Zeit«, sagte der Mann, »Ich schneide ihnen die Kehle durch.«
Zustimmendes Gemurmel ertönte.
Die gefesselten Straßenräuber blickten von ihrer knienden Haltung in die Höhe.
»Die Zeit drängt«, sagte der Mann mit dem Messer. »Wenn der Sturm sich legt und die Wolkendecke aufbricht, könnten Artemidorus’ Tarnsmänner die Flüchtlingskolonne angreifen.« Artemidorus war ein Cosianer, Hauptmann und Anführer einer fliegenden Söldnerbande.
»In wenigen Ahn ist es Morgen«, bemerkte ein Reisender.
Der Mann mit dem Messer trat vor, aber ich verstellte ihm den Weg.
»Das sind meine Gefangenen!«
»Man kennt sie gut in dieser Gegend.«
»Tritt beiseite«, sagte einer der Umstehenden. »Laß der Gerechtigkeit ihren Lauf.«
»Fahrt endlich weiter!« rief ein Kutscher von einem der hinteren Wagen.
»Wir sind viele«, sagte der Mann mit dem Messer; sein Tonfall klang nicht freundlich.
»Der Wagen steht noch immer nicht richtig auf der Straße«, wandte ich ein und deutete auf die Räder an der linken Seite. »Sehen wir zu, daß die Fahrt weitergeht.«
»Um drei Kehlen durchzuschneiden, braucht es nicht länger als drei Ihn«, sagte der Mann.
»Helft mir, den Wagen auf die Straße zu schaffen«, bat ich.
»Du bist schlau«, sagte der Mann. »So hättest du unsere Hilfe in Anspruch genommen, wir wären deine Freunde, und du könntest uns deshalb umstimmen.«
»Du willst mir nicht helfen?« fragte ich.
»Hol dir zehn Männer, die dir helfen«, erwiderte er. »Ich lasse mich nicht abhalten.«
»Fahrt endlich weiter!«
Trotz des Regens hörte man Tharlarion schnauben und blöken. Fünf Laternen erhellten die Szene. Weiter hinten in der Reihe wurden ebenfalls Laternen angezündet.
»Wenn wir nicht in zwei Ehn weiterfahren, werde ich ebenfalls ein paar Kehlen durchschneiden«, sagte ein Reisender. »Ich habe eine Gefährtin auf dem Wagen und zwei Kinder. Ich brächte sie gern in Sicherheit.«
»Du willst also nicht helfen?« fragte ich den Messerhelden erneut.
»Nein.«
»Tretet zurück«, sagte ich. Dann ging ich in die Knie und stemmte mich unter den hinteren Teil des Wagens.
»Tu das nicht«, sagte der Begleiter des Kutschers, der eine der Laternen hielt.
»Er ist verrückt.«
»Seht euch das an!«
Ich ging langsam in die Höhe und hob den beladenen Wagen an. Ich blickte dabei den Mann mit dem Messer an. Das Wagenrad zu meiner Rechten drehte sich, als es freikam, der Regen funkelte im Licht der Laternen auf dem Eisenbeschlag. Die Umstehenden waren verstummt. Ich bewegte mich nach links, Zentimeter für Zentimeter. Dann setzte ich den Wagen langsam auf der Straße ab, wobei ich den Messerträger nicht aus den Augen ließ. Das Rad berührte die Steine der Straße.
Ich trat unter dem Wagen hervor. Schmerzerfüllt richtete ich mich auf. Ich sah auf den Mann mit dem Messer hinab.
Er trat zurück. Dann steckte er das Messer weg. »Es sind deine Gefangenen«, sagte er.
»Geh zum Kutschbock«, sagte ich zu dem Begleiter des Kutschers. »Verliert keine Zeit. Verschwindet von hier. Wenn ihr Zeit habt, solltet ihr den Gefangenen Hauben aufsetzen, aus Stoff oder Säcken, einerlei, und sie sicher an den Hälsen festbinden. Sorgt dafür, daß man sie im Umkreis von hundert Pasang nicht erkennt. Wenn man sie euch umbringt, wird euch der Herr der Arbeitskette wohl kaum etwas für sie zahlen.«
»Unser Wagen gehört Septimus Entrates«, sagte er.
»Gut.« Der Name sagte mir nichts.
»Ich wünsche dir alles Gute!« sagte er und eilte nach vorn.
»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte ich den traditionellen goreanischen Gruß und nahm mein Bündel vom Wagen. Einen Augenblick später knallte die Peitsche, gefolgt von Rufen, die die Echsen antrieben. Die anderen Männer eilten zurück zu ihren Fahrzeugen. Der schwere Wagen setzte sich in Bewegung. Ich stand auf der Straße, mein Bündel in der Hand, und sah ihm nach. Ein paar Männer liefen hinterher, um den Gefangenen, die es eilig hatten, dem Wagen nachzulaufen, Tritte zu versetzen. Sie waren Straßenräuber gewesen, hatten Beute angehäuft. Nun stellten sie in gewisser Weise selbst Beute dar und würden am Ende ehrlichen Männern einen Gewinn bringen. Ich sah ihnen eine Zeitlang nach. Ja, sie waren jetzt tatsächlich selbst Beute, wie es sonst eigentlich eher Frauen waren.
»Gestattest du, daß wir weiterfahren?« fragte ein Mann.
»Einen Moment noch«, erwiderte ich. Der Wagen sollte einen kleinen Vorsprung bekommen. Bedingt durch das langsame Vorankommen der Flüchtlinge und den Sturm, war es unwahrscheinlich, daß man ihn schnell einholte.
»Wurde jemand von euch von den Männern beraubt?« fragte ich.
»Ich«, meldete sich ein Reisender.
»Der größte Teil der Beute liegt dort unten im Straßengraben. Vielleicht wollt ihr euch etwas davon zurückholen.«
»Androns Beute!« rief ein Mann.
»Die Reifenspuren des Wagens führen möglicherweise zu einem Versteck.«
Laternen wurden gehoben.
»Da unten liegt etwas«, sagte ein Mann. Unverzüglich stieg er die Böschung hinunter. Zwei weitere Reisende schlossen sich ihm an. »Fahrt schon weiter«, sagte ein dritter. »Ich hole euch später wieder ein.« Er stieg ebenfalls in die Tiefe. Ich trat zur Seite, und der Wagenzug setzte sich wieder in Bewegung. Ich hörte, wie jemand sagte: »Androns Beute!« – »Wo?« – »Dort unten, wo die Männer stehen!« Weitere Männer verließen die Straße. Wagen fuhren an mir vorbei. Der Reisende, der das Messer gezogen hatte, sah mich an. »Ist dort unten wirklich was?« fragte er.
»Ja.«
»Nun, vielleicht bekomme ich ja doch noch etwas, was mich für diesen Abend entschädigt.« Er rutschte die Böschung hinunter, um sich den anderen anzuschließen. Ich begab mich wieder auf die linke Straßenseite; als der nächste Wagen vorbeikam, warf ich mein Bündel hinten auf die Ladefläche, ohne daß es der Kutscher bemerkte. Dann hielt ich mich wieder mit der linken Hand an der rechten Seite fest, um nicht zu stolpern.
Der Sturm hatte meiner Meinung nach in seiner Wut nachgelassen, aber der Regen fiel unverändert heftig.
Gelegentlich zuckten Blitze über den Himmel und tauchten die Straße und das umliegende Land in ihr ungebändigtes weißes Licht, dem unverzüglich, schneller oder langsamer, ein krachender Donner folgte.
»Es hat den Anschein, als würden die Priesterkönige Mehl mahlen«, lachte ein Mann in meiner unmittelbaren Nähe.