»Der Preis ist jetzt noch höher«, sagte ich. Als man mir den Korb heruntergelassen hatte, hatte ein Goldtarn daringelegen.
»Dann fing ich an, Botschaften in den Korb zu legen, zuerst ganz unverfängliche, zum Beispiel fragte ich nach der Position des Entsatzheeres und dergleichen.«
»Ich verstehe.«
»Aber anscheinend begriff man sehr schnell, was ich wollte, denn kurz darauf lagen unter den Lebensmitteln Zettel mit Fragen, die sich auf die Zustände in der Stadt bezogen.«
»Hast du sie beantwortet?«
Sie nickte.
»Zu diesem Zeitpunkt warst du eine Spionin.«
»Das habe ich anders gesehen«, sagte sie. »Diese Informationen waren doch bestimmt allgemein bekannt.«
»Nicht notwendigerweise«, erwiderte ich. »Sicher, für gewöhnlich gibt es Spitzel, wenn nicht sogar Verräter, die solche Dinge verläßlich erledigen.«
»Als ich den Korb das nächste Mal in die Höhe zog, war in einem Stück Sa-Tarna-Brot eine genau formulierte Frage versteckt. ›Bist du für Cos?‹ In der nächsten Nacht ließ ich die Antwort hinunter. Ich hatte ›Ja‹ geschrieben.«
»Ab diesem Augenblick warst du eine Verräterin«, sagte ich.
»Ar-Station hat mich verraten!« rief Claudia. »Es hat mir nicht das gegeben, was ich wollte. Es hat mich nicht einmal mit Missionen nach Ar betraut! Davon abgesehen – glaubst du etwa, daß eine Person wie ich ihr ganzes Leben hier am Vosk verbringen will?«
»Was ist dann geschehen?«
»Ich hatte meine Position klargemacht, ihnen war klar, daß ich verhandeln würde, und zwar hart verhandeln würde.«
»Hast du Lebensmittel verlangt?«
»Die hatte ich. Ich hatte sie seit dem Beginn der Belagerung gehortet, sie sogar aufgekauft, wenn sie billig waren, zu Anfang, als man noch glaubte, daß Ar jeden Tag mit flatternden Fahnen eintreffen und die Cosianer vertreiben würde wie die aufsteigende Sonne die Flußfrösche.«
»Also für Gold!« sagte ich.
»Ja! Für Gold und für Juwelen!«
»So wie es aussieht, hast du im Augenblick nur wenig Gold oder Juwelen.«
Ich hörte, wie sie aufgebracht in dem Stroh herumscharrte.
»Es wäre klüger gewesen, du hättest nicht angefangen, um Bezahlung zu feilschen, nachdem du Cos deine Treue erklärt hattest«, meinte ich.
»Warum denn das?«
»Weil du Cos deine Treue erklärt hast«, sagte ich. »Wie die Bürger Ars erwarten auch die Cosianer von jenen, die sich freiwillig ihrer Sache verschreiben, daß sie ihnen aus freien Stücken dienen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, eben nicht wie Kaufleute oder Söldner.«
»Wo liegt denn da der Unterschied?«
»Manchmal machen solche Dinge den Unterschied zwischen Reichtümern und dem Sklavenkragen aus.«
»Ich habe in meinen Verhandlungen Vorkehrungen getroffen, damit so etwas nicht geschieht«, sagte Claudia. »Für meine Hilfe habe ich nicht nur Geld verlangt, sondern auch die Gewährleistung meiner Freiheit und Sicherheit.«
»Also daß man dich nicht zur Sklavin macht zum Beispiel.«
»Genau.«
»Aber einmal angenommen, du wirst in der Zwischenzeit von anderen versklavt.«
»Das wäre eben das Ende gewesen«, erwiderte sie. »Ich wäre eine Sklavin gewesen. Eine Sklavin ist eine Sklavin.«
»Das ist richtig.« Die Cosianer hatten zugestimmt, sie nicht zu versklaven, aber nicht, sie zu befreien, falls sie eine Sklavin wurde. Wie sie gesagt hatte: Eine Sklavin ist eine Sklavin.
»Außerdem habe ich Macht in Ar-Station gefordert, sollte die Stadt nicht zerstört werden, denn hier gibt es Leute, die mich betrogen haben und an denen ich mich rächen wollte. Und ich wollte, daß man mir einige der Frauen als Sklavinnen zur Verfügung stellt, damit ich sie Männern verkaufen konnte.«
»Du warst gründlich.«
»Ja.«
»Du mußtest dich also nur auf die Ehre von Cos verlassen.«
»Männer sind ehrenhaft.«
»Manche Frauen auch«, sagte ich.
»Meine Treue gehört mir«, sagte sie gereizt.
»Für Frauen wie dich gibt es Einrichtungen«, murmelte ich.
»Was?«
»Erzähl weiter.«
»Nachdem man meine Bedingungen akzeptiert hatte, erhielt ich ausgesprochen genaue Anweisungen. Diese Anweisungen bezogen sich auf alle möglichen Informationen, die Versorgungslage der Stadt, den Zustand der Mauern und Tore, wo sich die schwächeren und weniger verteidigten Stellen befinden, die zahlenmäßige Stärke der Garnison, die Stärke der Bürgermiliz, die Posten der Wächter, ihre Ablösung und dergleichen mehr. Dinge wie Parolen konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Soweit ich herausfand, wurden sie täglich gewechselt.«
»So verfährt man im allgemeinen.«
»Jede Nacht gab ich alles weiter, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Im Gegenzug erhielt ich Gold und Juwelen.«
Ich lächelte.
»Hast du deinem Kontaktmann oder vielmehr deinen Kontaktleuten, denn es waren bestimmt mehrere, deinen Namen mitgeteilt?«
»Dafür war ich zu schlau«, sagte sie. »Allerdings habe ich einen Passierschein und eine Bestätigung für geleistete Dienste verlangt. Beides sollte für die Person gelten, die sie bei sich führt. Und ich habe die Dokumente auch bekommen.«
»Du bist eine kluge Frau.«
»Ich bin sogar außerordentlich klug.«
»Und wie kommt es dann, daß du nackt in einer Zelle sitzt?«
Claudia stieß einen unterdrückten, wütenden Laut aus.
»Erzähl weiter.«
»Vielleicht habe ich Verdacht erregt«, sagte sie. »Vielleicht sind den Wächtern meine häufigen Besuche auf der Mauer aufgefallen, immer an derselben Stelle zur selben Zeit. Einmal mußte ich ein anderes Mädchen von meinem Platz vertreiben. Es verstand meine Beharrlichkeit nicht. Vermutlich nahm es an, daß es eine besonders gute Stelle zum ›Fischen‹ sei. Aber es war meine Stelle! Vielleicht hat man bemerkt, daß ich überall in der Stadt Fragen stellte oder überall umherstreifte. Vielleicht haben mich auch meine Feinde denunziert. Aber ich war eine freie Frau!«
Draußen ertönte ein leises Geräusch, vielleicht ging jemand an der Zelle vorbei. Es mußte um die Mittagszeit sein.
»Fahr fort«, sagte ich.
»Ich wurde tollkühn«, sagte Claudia. »Ich würde reich sein. Zu meiner Befriedigung konnte ich verfolgen, wie Ar-Station jeden Tag schwächer wurde. Aber wenn es fiel, würde mir nichts geschehen! Und ich würde mich an meinen Feinden rächen!«
»Die Stadt wird aller Voraussicht nach zerstört werden«, sagte ich.
»Wie es auch ausginge, ich hätte meine Rache.«
»Ich verstehe.«
»Außerdem hatte ich mir, wie du dich vielleicht entsinnen wirst, das Recht ausbedungen, daß man mir bestimmte Frauen als Sklavinnen überließ.«
»Persönliche Feinde?« fragte ich.
»Natürlich. Und so stieg ich wieder zur Brustwehr hinauf, wie so oft zuvor. Diesmal beschrieb der in meinem Korb versteckte Brief die Verteidigung des großen Stadttores, die Posten der Wächter und was noch dazugehört. Ich schob den Korb zwischen zwei Zinnen hindurch und ließ ihn hinunter. Ich hatte auf der Brustwehr sogar Schwäche vorgetäuscht, war getaumelt, als wäre mir schlecht vor Hunger. Ich war überzeugt, mich geschickt verstellt zu haben. Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das Seil und den Korb. Plötzlich legte mir jemand eine Schlinge um den Hals und zog sie zu. Man zog mich zurück. ›Kein Laut!‹ warnte mich eine Stimme. Dabei hätte ich keinen Laut ausstoßen können, da die Schlinge so eng saß. Ich wollte den Korb fallen lassen, aber dazu hatte ich keine Gelegenheit mehr. Sie waren zu dritt. Während der erste Mann mir die Schlinge umlegte und mich zu seiner Gefangenen machte, nahm mir der zweite das Seil aus den Händen. Der dritte Mann, der ein Stück abseits stand, hielt eine geschlossene Laterne. Ich hatte sie nicht einmal kommen hören. Nachdem sie die Laterne geöffnet hatten, dauerte es nicht einmal einen Augenblick, bis sie den Korb durchsucht und den Bericht gefunden hatten. Es war sofort klar, worum es sich handelte. Man zog mich auf der Stelle aus. Die Schlinge um meinen Hals wurde festgeknotet und diente als Fessel. Sie legten meine Kleidung in den Korb und ließen ihn hinunter. Die Cosianer würden die Botschaft verstehen. Dann zog man den Korb wieder in die Höhe und löste das Seil. Man benutzte es dazu, mir die Arme eng an den Leib zu fesseln. Ich finde nicht die richtigen Worte, um dir verständlich zu machen, wie hilflos ich mich fühlte. Dann zerrte man mich in mein Haus, wo man die Juwelen und das Gold fand sowie Notizen für die nächsten Berichte. Sie fanden auch den Passierschein und das Dokument, in dem man meine Dienste würdigte. Dann brachte man mich gefesselt und nackt zu Aemilianus. Ich mußte mich vor ihn hinknien. Man zeigte ihm die Beweise. Und noch in derselben Nacht brachte man mich in diese Zelle.«