»Das ist wahr«, erwiderte ich. »Aber es kann sein, daß nicht jeder Mann zur selben Zeit dasselbe mit dir machen will.«
»Das wohl nicht.«
»Und darin liegt unsere Hoffnung.«
»Welche Hoffnung habe ich schon, als daß sie mich etwas später auf den Spieß stecken?«
»Ich glaube, du hast mehr Möglichkeiten, als du weißt.«
»Wie das?«
»Du hast unerwartete Verbündete.«
»Wen denn?«
»Die Cosianer.«
»Ich glaube, der Tag bricht an«, flüsterte sie. Die Dunkelheit schien sich aufzuhellen. Wir richteten unsere Blicke auf das Fenster.
»Ich glaube, du hast recht.«
Plötzlich schrie sie erschrocken auf und warf sich in meine Arme.
»Das sind die Fanfaren«, erklärte ich. »Das Signal für den Angriff.«
Aus der Zitadelle ertönte eine Antwort.
Draußen waren bestimmt Hunderte von Instrumenten erklungen. Die Antwort von der Mauer war zwar eine tapfere Geste, aber es hatte kläglich geklungen. Zusätzlich zu der Musik waren vor der Zitadelle die Kriegsrufe Tausender von Männern erschollen. Auch sie waren von der Mauer beantwortet worden, aber diese Rufe waren dünn und brüchig gewesen. Claudia sah zu mir hoch, halb kniete sie im Stroh, halb lag sie in meinen Armen. Es ist ein gutes Gefühl, eine nackte Frau in den Armen zu halten. Ich wünschte, sie hätte mir gehört. Sie fühlen sich noch besser an, wenn sie einem gehören.
In der Ferne ertönte ein dumpfer Einschlag.
»Was ist das?« fragte sie entsetzt.
Das Geräusch wiederholte sich.
»Komm her«, sagte ich und zog sie zu der Wand, hinter der die Außenseite lag. Wir legten uns ins Stroh. Dort, wo der Boden die Wand wie ein Pfeiler stützte, war es sicherer, vor allem vor möglicherweise einstürzenden Mauern.
»Das ist die Artillerie«, sagte sie.
»Ja.«
Gelegentlich konnten wir auch hören, wie über uns auf der Mauer ein Katapult abgeschossen wurde; beim Rückstoß federte es; beim Spannen ächzten die Seile. Man macht die Katapulte oft mit Seilen am Boden fest, da sich ihre Stellung sonst ruckartig und unberechenbar verändert; sie wirbeln herum oder rutschen sogar quer über den Wehrgang. Auf nachgiebigen Oberflächen sind sie leichter zu bedienen, da man dort die Räder eingraben kann. Ich schützte Claudia mit meinem Körper. Immer öfter hörten wir den Einschlag von Geschossen. Zwei Angriffe wurden zurückgeschlagen. Als es heller wurde und ich fürchtete, daß sie kommen und sie abholen würden, ließ ich sie dort zurück, kehrte zu meinem früheren Platz zurück und legte mich dort hin. Den Topf hatte ich dort abgestellt, wo man ihn durch die Klappe sehen konnte. Ich lag wie leblos im Stroh, als wäre ich zu schwach, um mich zu bewegen.
15
»Komm schon, kleine Vula, sei nicht schüchtern«, sagte der Mann. Er winkte Lady Claudia aufmunternd zu. Sie hockte noch immer an der Außenwand im Stroh, starr vor Angst. Ich wußte nicht, ob sie überhaupt in der Lage war, aus eigener Kraft auf den Beinen zu stehen. In der linken Hand hielt er ein zusammengerafftes Seil, eine Leine und einen Kragen. Claudia starrte ihn entsetzt an. »Nun mach schon«, sagte er und ging an mir vorbei auf sie zu. In der Zelle standen zwei weitere Soldaten, rechts neben der Tür, die gespannten Armbrüste in der Hand. Unsere Wärterin stand in der Tür.
Ich glaubte nicht, daß der Bursche mit dem Seil sich in die unmittelbare Nähe der Außenwand, der Wetterwand, begeben wollte. Gelegentlich konnten wir die Einschläge der cosischen Projektile hören und manchmal auch fühlen, wenn sie den Zellenboden zum Erzittern brachten, große Felsbrocken, die bis zu tausend Pfund wogen und von gewaltigen, manchmal haushohen Katapulten abgefeuert wurden. Man konnte sogar das rhythmische Pochen des weit entfernten Rammbocks hören, der von Männern bedient wurde, die ihn unter dem langen Schutzdach, das seine ganze Länge überspannte, mit hundert Seilen in Schwung brachten.
»Beeil dich«, sagte die Gefängniswärterin zu dem Mann mit dem Seil. »Es ist gefährlich auf dieser Seite.«
»Komm her«, befahl der Mann Claudia. »Knie dich da hin, die Arme an die Seiten.«
»Bitte!« schluchzte Lady Claudia.
»Beeil dich«, fauchte die Wärterin.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er es besonders schätzte, von der Wärterin belehrt zu werden. Er sagte jedoch nichts. Er nahm ziemlich ärgerlich seinen Mut zusammen, ging zu Claudia, packte sie an den Haaren und zerrte sie in die Zellenmitte, wo er sie dann auf die Knie stieß.
Die Gefängniswärterin lachte.
Der Soldat fesselte Claudia mit dem Seil, er legte eine Bahn nach der anderen um ihren Körper. Genauso hatte man sie zu Aemilianus gebracht, wenn ich mich recht an ihre Erzählung erinnerte. Dies geschah zweifellos mit Absicht, sie an diesen Abend zu erinnern.
»Zieh das Seil straff!« sagte die Wärterin.
Claudia stöhnte auf, als er das Seil enger zog.
»Und jetzt den Kragen und die Leine«, stieß die Wärterin hervor.
Einen Augenblick später hatte er ihr den Kragen angelegt. Claudia kniete jetzt in der Zellenmitte, gefesselt, mit dem Kragen versehen, die Leine baumelte vor dem Seil herunter.
»Großartig«, sagte die Wärterin.
Tränen liefen Claudia die Wangen hinab. Sie sah mich an und lächelte. Sie schürzte leicht die Lippen und warf mir einen fast unmerklichen Kuß zu. Ich lag im Stroh, die Augen halb geschlossen. Ich reagierte nicht auf ihre kleine pathetische Geste. Allerdings fand ich es bemerkenswert, daß sie mir nichts nachtrug. Hatte ich nicht versucht, ihr Mut zu machen? Hatte ich ihr nicht zu verstehen gegeben, ich würde ihr helfen? Aber offensichtlich hatte sie niemals erwartet, daß ich im Augenblick der Wahrheit tatsächlich handeln würde. Es wäre sinnlos gewesen.
»Wie rührend«, sagte die Wärterin.
Ich tat so, als würde ich versuchen, auf die Knie zu kommen. Anscheinend schaffte ich es nicht.
»Bleib, wo du bist«, knurrte einer der Armbrustschützen.
»Er ist zu schwach, um irgend etwas zu tun«, sagte die Wärterin. »Er kann nicht einmal mehr auf den Beinen stehen.« Dann baute sie sich vor Claudia auf. »Der Spieß, liebe Claudia, auf dem du gepfählt werden wirst, besteht aus einem einzigen Stück hartem, poliertem Eisen. Er ist sehr lang und weniger als einen Hort dick. Er ist spitz zugefeilt. Er steckt in einer Halterung.«
Lady Claudia schloß die Augen.
Ich tat erneut so, als wolle ich aufstehen. Einer der Wächter sah zu mir her und wandte den Blick wieder ab.
»Ruhm und Ehre für Ar!« fauchte die Wärterin.
»Ruhm und Ehre für Ar!« weinte Claudia.
»Weißt du, worauf wir warten?« fragte die Wärterin.
Claudia schüttelte den Kopf.
Etwas traf die Außenwand, vermutlich keine zwei Meter von uns entfernt.
»Das war knapp«, sagte einer der Wächter unbehaglich.
Wie erwartet hatten sie andere Sorgen als das, was sich hier in der Zelle abspielte.
Wieder kämpfte ich mich hoch, aber diesmal blieb ich dort knien; ich ließ den Kopf hängen, als könnte ich mich nicht rühren.
»Bleib, wo du bist«, sagte der Wächter. Er stand vielleicht zwei Meter von mir entfernt.
»Wir warten auf den Henker«, sagte die Wärterin begeistert. »Er wird kommen und dich holen. Er wird dich zur Mauer und zum Pfahl bringen.«
Lady Claudia senkte den Kopf.
»Ruhm und Ehre für Ar!«
»Ruhm und Ehre für Ar!« wiederholte Claudia tonlos. Sie hatte die Augen geschlossen. Das war auch gut so. Der Wächter sah mich an, dann konzentrierte er sich wieder auf die beiden Frauen. Die Männer hielten sich nun schon seit einiger Zeit in der Zelle auf, sie wären jetzt nicht mehr so angespannt. In den ersten paar Ehn war die Aufmerksamkeit am größten; in diesen Augenblicken rechnete man mit Widerstand. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, daß ihre Wachsamkeit unter diesen Umständen noch einmal so ausgeprägt wäre, und falls doch, dann kurz vor Verlassen der Zelle. Sie warteten auf die Ankunft des Henkers, der Lady Claudia zum Pfählen bringen sollte. Ihre Aufmerksamkeit befand sich jetzt vermutlich auf dem tiefsten Stand. Natürlich ist das genau der richtige Moment, um alle Sinne zu schärfen. Doch es ist unmöglich, lange Zeit ununterbrochen wachsam zu sein. Es ist psychologisch unmöglich. Das bedeutete, daß die Initiative bei mir lag. Falls sie mit Widerstand gerechnet hatten, waren sie bestimmt und auch zu Recht davon überzeugt gewesen, daß ich vor dem Eintreffen des Henkers etwas unternähme, da er ein zusätzlicher Gegner war.