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»Und jetzt leg den Schleier an und wickle dir den Turban um den Kopf«, sagte ich. »Genau wie sie.«

»Was hat dieses empörende Verhalten zu bedeuten?« verlangte Lady Publia zu wissen und kämpfte gegen die Fesseln an.

»Das ist sehr gut.« Lady Claudia hatte ebenfalls braune Augen. Wenn man Publia nicht persönlich oder besonders gut kannte, fiele einem nicht auf, daß es sich um Claudia handelte.

»Was soll das?« rief Lady Publia.

»Geh zu einem der bewußtlosen Soldaten und schneide ihm die Tunika vom Leib. Ich brauche dringend Stoff.«

Lady Claudia gehorchte. In der Zwischenzeit hob ich den Kragen auf und legte ihn Publia um den Hals. Die Leine war bereits angebracht. Nun kniete unsere Gefangene dort, wie zuvor Claudia.

»Ich verstehe nicht«, sagte Publia aufgebracht.

»Du wirst uns helfen, die Zitadelle zu verlassen«, sagte ich.

«Niemals!«

»Ich habe einen Plan.«

»Du glaubst wohl, du könntest sie für mich ausgeben«, sagte Publia verächtlich und sah Claudia an, die mit einem großen Stück Stoff an meine Seite zurückkehrte.

In diesem Augenblick gab es irgendwo einen Einschlag. »Die Artillerie!« sagte Claudia und erbebte. »Sie haben wieder angefangen.«

»Worauf wartet ihr dann noch?« fragte Publia ängstlich. »Warum flieht ihr nicht?«

»Wir warten auf unseren Besucher.«

»Auf wen?«

»Den wirst du doch nicht vergessen haben. Er sollte doch in wenigen Ehn hier sein. Ich rechne jeden Augenblick mit ihm, jetzt, da der Sturmangriff ruht.«

Plötzlich starrte Publia Lady Claudia voller Angst an, die ihr Kleid und ihren Turban einschließlich Schleier trug. »Wenn sie in dieser Farce meine Rolle übernehmen soll, was wird dann aus mir?«

Während wir sprachen, hatte ich Claudia den Stoff abgenommen und mich daran zu schaffen gemacht.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Nein!« rief sie. »Nein!«

»Vielleicht doch.« Ich drehte eines der Stoffstücke zu einem festen kleinen Ball zusammen.

»Bist du kein Cosianer?« fragte Publia.

»Nein.«

»Aus welcher Stadt kommst du?« Es klang ängstlich.

»Port Kar«, sagte ich.

Sie wurde bleich.

»Ruhm und Ehre für Port Kar«, sagte ich.

»Gnade!« schrie sie.

»Ruhm und Ehre für Port Kar«, wiederholte ich in aller Ruhe.

»Ruhm und Ehre für Port Kar!« rief sie verzweifelt und voller Inbrunst.

»Dreimal.«

»Ruhm und Ehre für Port Kar!« rief sie dreimal.

Dann stieß ich ihr den Stoffball in den Mund, der, da er aus einem ziemlich großen, eng zusammengerollten Stück bestand, sofort auseinanderfiel.

»Unter Umständen waren das die letzten Worte, die du je gesprochen hast«, belehrte ich sie.

Publia starrte mich mit wildem Blick und Tränen in den Augen an, wand sich, schüttelte den Kopf, gab leise Geräusche von sich, aber dann befestigte ich den Knebel mit zwei Stoffstreifen, die ich in ihrem Nacken zusammenband.

»Wenn der Henker kommt – wen, glaubst du, wird er hier wartend vorfinden?«

Ihr Gesicht verlor den letzten Rest Farbe. Sie wand sich, warf den Kopf hin und her.

»Halt die Leine fest«, befahl ich Claudia, die ebenfalls totenbleich geworden war. Das sollte verhindern, daß Publia den Kopf auf den Boden schmetterte.

Sie wollte zurückweichen, aber ich griff ihr ins Haar und legte ihr das übriggebliebene große Stoffstück über den Kopf. Ich stieß unten mit dem Gürtelmesser ein paar Löcher hinein, knüpfte ein paar Stoffstreifen zusammen und bastelte eine behelfsmäßige Haube, die ich dann im Nacken zusammenband.

Sie fing an, verzweifelt zu stöhnen und sich zu winden. Also nahm ich die Leine, führte sie von oben zwischen ihren Schenkeln hindurch und band ihr die Füße zusammen. Nun kniete sie zusammengekrümmt da, hilflos. Ich ging neben ihr in die Hocke. »Wenn ich mich recht erinnere«, sagte ich und rief mir ihre früheren Worte ins Gedächtnis, »besteht der Pfahl aus einem einzigen Stück hartem, poliertem Eisen. Er ist sehr lang und weniger als einen Hort dick. Er ist spitz zugefeilt. Er steckt in einer Halterung.«

Lady Publia hüpfte wie von Sinnen auf den Knien auf und ab. Dabei stieß sie gedämpfte Laute des Protests aus.

Claudia sah mich mit Tränen in den Augen ungläubig an. In diesem Augenblick brachte ein fürchterliches Krachen den Raum zum Erbeben; der Treffer mußte in der Nachbarzelle eingeschlagen sein, denn Steine prasselten zu Boden, und eine Staubwolke wurde durch den Korridor getrieben, von der ein paar Schwaden durch die offene Tür hereinwehten. Ich legte schützend die Hand vor Mund und Nase.

Jemand hustete.

Im nächsten Moment betrat ein hochgewachsener Mann unsere Zelle. Er trug eine schwarze Kapuze, die bis auf die rechteckigen Öffnungen für die Augen den ganzen Kopf bedeckte. Er klopfte sich den Staub aus dem Gewand. »Die Mauer gibt nach«, sagte er an mich gewandt. »In ein paar Ehn greifen sie wieder an. Sie formieren sich schon. Wir können sie nicht länger zurückschlagen. Ihre Belagerungstürme haben die Zitadelle fast schon erreicht.«

Ich nickte.

»Du bist Lady Publia, die Gefangenenwärterin?« fragte er Claudia.

»Das bin ich«, sagte sie mutig.

»Ich halte nichts von Gefängniswärterinnen«, meinte er. »Das ist Männerarbeit.«

Sie warf den Kopf in den Nacken.

»Vielleicht bedauerst du ja, diesen Posten angenommen zu haben«, fuhr er fort.

»Vielleicht«, erwiderte Claudia.

Lady Publia, die zusammengekrümmt zu unseren Füßen kniete, unfähig, den mit der Haube verhüllten Kopf zu heben, kämpfte gegen die Fesseln an und stieß gedämpfte Schreie aus. Wir schenkten ihr keine Beachtung, da sie die Gefangene war. Allerdings konnte ich mir durchaus vorstellen, daß sie es nun im nachhinein bereute, die Stellung der Gefangenenwärterin angenommen zu haben.

»Du hast hübsche Beine«, sagte der Henker zu Claudia. Sie antwortete nicht.

»Welcher Kaste gehörst du an?«

»Den Kaufleuten.«

»Warum trägst du dann nicht Weiß und Gold, vor allem heute, an diesem Tag?« fragte er. Weiß und Gold sowie Weiß und Gelb sind die Farben der Kaste der Kaufleute.

Sie antwortete nicht.

»Du trägst nicht einmal ein Gewand der Verhüllung!«

»Das schien hier nicht angebracht zu sein.«

»Trägst du es nicht, weil es den Gefangenen gegenüber nicht angebracht wäre, oder bist du aus diesem Grund überhaupt erst hier, weil es eben nicht angebracht ist, solche Kleidung hier zu tragen?« wollte er wissen.

»Es gibt viele Orte, an denen es unpassend ist, ein Gewand der Verhüllung zu tragen«, sagte sie.

»Ja«, erwiderte er. »Zum Beispiel auf einem cosischen Sklavenmarkt.«

»Ich hatte andere Orte im Sinn!«

»Das ist wahr. Zum Beispiel, wenn man in den Trümmern umherklettert, den Arbeitern an der Mauer Steine zum Ausbessern bringt oder sich um die Verwundeten kümmert. Genau darum frage ich mich ja auch, warum du dir diese Aufgabe ausgesucht hast.«

»Hier ist es kühl.«

»Und hier kannst du dich mehr wie ein Mann fühlen, wie?«

»Vielleicht«, sagte sie ärgerlich.

Lady Publia gab einen Laut von sich, es klang wie eine Mischung aus Begreifen, Verzweiflung, Bedauern und Schmerz. Aus irgendeinem Grund hatten die Fragen des Henkers eine tiefe Bedeutung für sie.

Er wandte sich ihr zu. »Keine Angst, kleine Vulo«, sagte er und tätschelte ihr den Kopf. »Bald ist alles vorbei.« Er überhörte ihr Aufschluchzen, bückte sich und löste die Fesseln um ihre Fußknöchel.

»Denk an das cosische Gold«, sagte er.

Sie erschauderte.

»Dann wollen wir deinen cosischen Freunden mal zeigen, wie hübsch du auf dem Pfahl aussiehst.«

Publia schüttelte wie betäubt den Kopf. Der Henker beugte sich tief hinunter, um sie sich auf die Schulter zu laden. Plötzlich verharrte er. Er hatte die Soldaten entdeckt, die mit Stroh bedeckt in der Zellenecke lagen. Ich eilte auf ihn zu.

In diesem Augenblick explodierte die Welt. Ich fuhr herum und riß die Arme vor den Kopf; es donnerte, und die Zelle füllte sich mit zerberstenden Ziegelsteinen. Lady Claudia schrie entsetzt auf, und ich konnte nichts sehen oder gar Luft holen, denn die Luft bestand nur aus Staub, aus dichtem weißen Staub, und wir husteten, und mir brannten die Augen. Überall waren Trümmer; grelles Licht flutete in die Zelle, denn fast die halbe Wand war verschwunden. Der Henker kauerte am Boden, einige der großen Steinfliesen hatten sich gelöst und wölbten sich in die Höhe, Er schien verwirrt und halb betäubt zu sein. Er drehte sich um, zeigte auf die Wand, um mich auf seine Entdeckung hinzuweisen, allem Anschein nach nicht einmal mißtrauisch, und sackte zusammen, als ich ihn mit dem Stein traf, den ich vom Boden aufgehoben hatte. Lady Claudia krümmte sich zitternd zusammen, den Kopf mit den Händen schützend. Lady Publia lag reglos zwischen den aufgerichteten und zerborstenen Fliesen. Beide waren staubbedeckt.