Dann hob ich den langen Spieß aus der Halterung und legte ihn mit einem hörbaren Laut neben meine gefesselte Gefangene. Sie wollte aufstehen, aber es gelang ihr nicht. Dann versuchte sie wegzukriechen, aber ich packte sie am Fußgelenk und zog sie näher zu mir heran.
»Bitte, nein!« schluchzte Lady Claudia und streckte die Hand aus. Ich stieß sie beiseite.
Ich ging neben Publia in die Hocke. »Würdest du dich zur Sklavin erklären?« fragte ich.
Sie wand sich, stieß zustimmende Laute aus und nickte heftig.
»Du erkennst meine Stimme?«
Sie nickte erneut.
»Du erklärst dich also dem Gesetz nach freiwillig zur Sklavin. Du willst nicht länger Publia sein, sondern eine Sklavin, für die noch ein Name gefunden werden muß?«
Sie nickte.
Claudia berührte dankbar meine Schulter.
Ich erhob mich.
»Was tust du da?« rief Claudia.
»Sie hat uns bis hierher gebracht«, sagte ich. »Sie hat uns so weit gebracht, wie zu erwarten war, ohne daß wir kontrolliert worden wären. Sie hat soviel für uns getan, wie zu erwarten war. Und somit hat sie ihren Zweck erfüllt.«
»Was meinst du damit?« flüsterte Claudia.
Ich griff nach dem Spieß.
»Nein«, stieß Claudia hervor.
Ich drückte der Sklavin die kalte Spitze gegen die Innenseite des Oberschenkels. Sie stöhnte auf. Plötzlich warf sich Claudia auf die Sklavin, als könne sie sie mit ihrem Körper schützen. Eine rührende Geste, wie ich fand. Natürlich sinnlos und etwas lächerlich. Ich konnte sie mühelos ein Dutzend Schritte wegstoßen oder mit einem leichten Schlag in den Magen dafür sorgen, daß sie hilflos auf dem Rücken lag und nach Luft schnappte. Falls nötig, hätte ich sie fesseln können.
»Du würdest sie tatsächlich beschützen, nicht wahr?«
»Ja!« stieß sie hervor.
»Sie ist vielleicht deine schlimmste Feindin«, erinnerte ich sie.
»Das spielt keine Rolle«, weinte sie.
»Du hast unglaublich tiefe Gefühle«, sagte ich. »Du gäbst eine ausgezeichnete Sklavin ab.«
Claudia sah mich verwundert an. Ihr Schleier war naß von Tränen.
»Nun, wir sollten diese Sklavin endlich auf den Pfahl stecken«, sagte ich und nahm den Schwertgürtel ab.
»Das war nur ein grausamer Scherz«, stieß Claudia plötzlich hervor. »Du hast nie vorgehabt, sie zu pfählen!«
»Sie wird an dem Pfahl hängen, das schon«, sagte ich. Ich zog das Schwert aus der Scheide und schob die Scheide zwischen den Rücken der Sklavin und die Fesseln. Dann zwang ich den Spieß so weit wie möglich in die Scheide. Das beulte sie zwar aus und tat ihr alles andere als gut, aber schließlich hatte ich sie nicht mit meinen Tarsk bezahlt, also war es einerlei. Dann bohrte ich mit dem Gürtelmesser ein neues Loch in den Schwertgürtel und schnallte ihn um die schmale Taille der Sklavin, so fest, wie es nur möglich war. Dabei achtete ich darauf, daß er zwischen zwei Seilbahnen verschwand. Die Spitze steckte nun in der Schwertscheide, die von den Fesseln der Sklavin gehalten wurde; der Gürtel sorgte für zusätzliche Festigkeit. Sie konnte nicht den Spieß hinunterrutschen, da dieser in der Scheide steckte. Auf diese Weise sähe es aus, als hätte man sie gepfählt; zumindest hoffte ich das. Um den wahren Sachverhalt zu erkennen, mußte man schon ziemlich nahe herankommen. Außerdem fließt bei einer derartigen Pfählung nur wenig Blut, da der Spieß die Wunde verschließt.
»Du verschonst sie!« Lady Claudia atmete erleichtert auf.
Die ehemalige Lady Publia erschauderte, da sie erkannte, welchem Schicksal sie gerade noch entronnen war.
Ich hob den Spieß mit seiner Last an und steckte ihn in die Halterung.
Auf dem Wehrgang ertönte vereinzelter Jubel. Doch die meisten der Männer hatten anderes im Sinn. Im Schutz der sich langsam nähernden Belagerungstürme rückten Hunderte von Cosianern heran. Die Türme selbst waren keine fünfundsiebzig Meter mehr entfernt. Sie standen nun in einer Reihe ausgerichtet, und man würde die Zugbrücken gleichzeitig absenken, sobald alle ihre Stellung erreicht hätten. Sicherlich würde man unten in der Zitadelle Männer abziehen, um bei der, Verteidigung der Mauer zu helfen. Der Beschuß mit Wurfhaken hatte mittlerweile nachgelassen, dafür kamen Dutzende von Leitermannschaften heran.
»Winde dich«, befahl ich der neuen Sklavin, die in der Luft hing. »Winde dich vernünftig, oder ich pfähle dich richtig.«
Sie wand sich hilflos.
»Tätest du das wirklich?« fragte Lady Claudia leise.
»Aber sicher«, antwortete ich. Es war die Wahrheit.
An einigen Stellen der Mauer ertönte nun Gelächter, und vermutlich konnte man es sogar von den Cosianern unten vor der Mauer hören. Auch sie hatten wenig Respekt vor einer Verräterin.
Lady Claudia erschauderte.
»Übertreib es aber nicht«, wies ich die neue Sklavin an. »Zuerst stärker, dann weniger. Und zum Schluß bleibst du reglos hängen.«
Sie nickte schwach.
»Was ist?« fragte ich Lady Claudia, die ganz elend aussah.
»Das dort oben hätte ich sein können, nur daß man mich richtig gepfählt hätte«, sagte sie.
»Aber du bist es nicht.«
»Der Rammbock schlägt gegen das Tor«, sagte sie.
Man konnte die Vibrationen noch hier oben spüren.
»Laß uns gehen«, sagte ich.
»Es ist doch nirgendwo sicher.«
Unten auf dem Wehrgang drehten wir uns zur Plattform um. Es sah tatsächlich so aus, als wäre die ehemalige Lady Publia gepfählt worden.
Die Belagerungstürme waren noch etwa dreißig Meter entfernt. Es bestand keine Aussicht, daß die Verteidiger den Soldatenstrom abwehren würden, den sie ausspucken würden.
»Falls sie gerettet wird«, sagte Claudia, die noch immer auf die zappelnde nackte Gestalt blickte, »wird sie zweifellos bestreiten, daß sie eine Sklavin ist.«
»Und wenn schon«, erwiderte ich. »In ihrem Herzen weiß sie es.«
»Ja.«
Die Türme blieben in einer Reihe stehen, höchstens zwanzig Meter entfernt. Sie überragten die Zinnen. Wenn sie angriffen, würden sie es gemeinsam tun.
»Du solltest jetzt gehen«, sagte ich zu Claudia.
»Aber ich will dich nicht verlassen.«
»Wenn die Mauer gestürmt wird, werden sich die Cosianer nicht damit aufhalten, jemanden zu versklaven. Geh, versteck dich. Später, wenn die Zitadelle brennt, wenn der Widerstand gebrochen ist, wenn der Blutdurst nachgelassen hat, erhältst du vielleicht Gelegenheit, dich den Siegern hinzugeben.«
Sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich bin eine freie Frau. Ich glaube, ich bleibe an deiner Seite.«
»Freie Frau oder nicht«, sagte ich. »Ich wünschte, ich hätte eine Sklavenpeitsche. Dann brächte ich dir schnell Gehorsam bei.«
»Und ich wäre dir auch ohne die Peitsche gehorsam«, erwiderte sie. »Herr.«
»Was hast du doch für ein Glück, daß du keine Sklavin bist!«
Sie lachte fröhlich.
»Geh!«
»Ich will aber nicht.«
»Ich werde dich hier nicht beschützen können, das kann keiner.«
»Ich bleibe hier!«
»Hier bist du im Weg«, sagte ich. »Du brächtest andere nur in Gefahr.«
Sie sah mich wütend an.
»Geh. Du gehörst nicht hierher.«
»Und du?« fragte sie. »Du hast nichts mit Ar-Station zu tun. Du kommst nicht einmal aus Cos!«
»Geh«, sagte ich. »Hier findet bald Männerhandwerk statt.«
Sie ging vor mir auf die Knie, obwohl sie eine freie Frau war, und nahm den Schleier ab. Dann sah sie mit Tränen in den Augen zu mir hoch. »Ich wünschte, ich wäre deine Sklavin, Herr.«
»Geh. Und wenn ich du wäre, würde ich den Schleier anbehalten, solange noch ein Mann aus Ar-Station mit einem Schwert in der Nähe ist.«
Sie nickte ängstlich. Dann warf sie der nackten, gefesselten Publia, die nun eine Sklavin war und am Pfahl hing, einen letzten Blick zu, sah mich noch einmal kurz an und eilte von der Mauer.
Ich drehte mich um und betrachtete die düsteren, drohenden Belagerungstürme. Man konnte schon die Spalten im Holz erkennen. Hinter einigen herrschte unübersichtliches Gedränge, und zwar auf den verschiedensten Ebenen. Die unzähligen Häute, die an den Außenwänden hingen, troffen vor Wasser. Der Rammbock rannte noch immer gegen das Tor an.