Doch hinter ihm kam bereits der nächste Cosianer, und ich stellte mich ihm entgegen. Er wehrte meinen Schlag mit seiner Klinge ab. Das gelang ihm auch noch ein zweites Mal. Beim drittenmal schaffte er es nicht mehr. Er klammerte sich an der Leiter fest, verzerrte das Gesicht und rutschte blutverschmiert ein paar Sprossen in die Tiefe, bis er sich einen oder anderthalb Meter unter mir befand. Ich sah mich rasch um. Dann schob ich das Schwert in den Gürtel, an dem sich mein Geldbeutel und der Dolch in seiner Scheide befanden, und zwar beide an der linken Seite. Ich rannte zu dem Spieß und stemmte ihn aus seiner Halterung. Die Sklavin, die einst Lady Publia gewesen war, fing wild an zu zappeln und warf den Kopf herum, als wolle sie durch die Haube hindurchblicken, dabei stieß sie durch den Knebel einen fragenden, hilflosen, verängstigten Laut aus. Ich legte den Spieß auf den Boden, stemmte den Fuß gegen die Schwertscheide, den Gürtel und das Seil und zog kräftig, bis ich die Waffe in der Hand hielt.
Ich eilte zurück zur Sturmleiter. Ein Cosianer erschien gerade am Sims, und ich stieß mit dem langen Spieß nach ihm. Die Spitze war stumpf, doch das war Absicht, damit die Pfählung lange dauerte. Aber da ich soviel Anlauf genommen hatte, durchbohrte sie den Soldaten und stieß ihn von der Leiter. Einen Augenblick lang wand er sich auf dem Spieß, dann stürzte er hinunter. Ich glaube, er prallte ein paar Meter tiefer noch einmal gegen die Leiter, denn ein Mann schrie auf.
Mit dem fünf Meter langen Spieß bewaffnet – was der Länge eines in der dritten oder vierten Reihe eingesetzten Phalanxspeeres entsprach – beugte ich mich über den Sims, und es gelang mir, die Spitze hinter die oberste Leitersprosse zu setzen. Niemand war in meiner Nähe. Der nächste Cosianer war der Schildträger, der sich eben zurückgezogen hatte. Er blickte auf, warf den Schild beiseite und begann mit aller Kraft auf den Spieß zuzuklettern, dann verharrte er. Die Leiter wurde von der Mauer fortgedrückt, vielleicht einen Meter. Ich verdoppelte meine Anstrengungen, und sie stand senkrecht da, allein von dem Spieß gehalten. Ein paar der Cosianer auf den unteren Sprossen sprangen bereits hinunter. Andere warfen sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Sturmleiter, um sie wieder nach vorn zur Mauer zu zwingen. Einige wiederum klammerten sich einfach nur fest. Ich ging einen Schritt zurück und stemmte mich erneut gegen den Spieß. Die Leiter schwankte. Sie mußte umkippen! Aber sie tat es nicht. Statt dessen krachte sie gegen die Mauer, als der Spieß abrutschte. Ich setzte ihn erneut an, und die oberste Sprosse brach. Ich wünschte mir, ich hätte einen Dreizack oder eine der scharfen stählernen Halbmondklingen, die an einem Metallschaft befestigt und für eine solche Arbeit wie geschaffen sind. Der ehemalige Schildträger kletterte auf mich zu. Ich versuchte es erneut, und diesmal gelang es mir, die Spitze unter den linken Leiterpfosten zu zwängen. Ich drückte mit aller Kraft. Der Cosianer schlug die Eisenspitze aus dem Holz, aber ich trat zurück und stieß erneut zu, wobei ich ihn zwischen Arm und Körper traf. Der Spieß verfing sich in seiner Tunika. Ich hoffte, seine Furcht gegen ihn benutzen zu können, seinen Widerwillen, die Leiter loszulassen, aber bevor ich ihn weit genug nach hinten drücken konnte, ließ er mit einer Hand los und drehte den Körper, so daß sich die Eisenspitze wieder löste. Ich gab nicht auf, und es gelang mir, den anderen Pfosten zu treffen. Die Sturmleiter rückte wieder von der Brustwehr ab, ich schob den Spieß einen halben Meter weiter vor, und dann noch einen, wobei meine schweißfeuchten Hände auf dem rutschigen Metall abzugleiten drohten, und einen Augenblick lang stand die Leiter senkrecht in der Luft. Einen Augenblick lang war der Ausgang ungewiß, und ich wußte nicht, ob ich es endlich geschafft hatte. Aber dann sprangen Männer aufschreiend in die Tiefe, und ich sah, wie sich die Leiter auf dem linken Pfosten drehte, woran zweifellos mehr die hektischen Bewegungen der Cosianer schuld waren als meine Bemühungen, und dann kippte sie um und zerbrach. Ich zog mich von dem Sims zurück, und zwei Armbrustbolzen verfehlten mich knapp. Vermutlich hatte mich die ganze Zeit, während ich mich mit der Sturmleiter abmühte, jemand unter Beschuß genommen, denn ich entdeckte mindestens einen neuen Kratzer im Stein. Ich hatte es nicht einmal bemerkt, obwohl ich die Treffer hätte hören müssen. Erst jetzt, im nachhinein, glaubte ich mich an seltsame vorbeizischende Geräusche zu erinnern.
Einer der beiden Burschen, die mir vor dem Angriff auf dem Wehrgang wegen ihrer Jugend aufgefallen waren, erschien auf der Plattform. Er hatte nur noch zwei Geschosse, eines steckte in der gespannten Armbrust, das andere hielt er in der Hand; es waren nicht einmal vernünftige Bolzen, sondern nur angespitzte Holzpflöcke. Selbst die stumpfen Bolzen, die eigentlich für die Vogeljagd bestimmt waren, hatte er verschossen. Ich hatte ihn und seinen Freund als Boten eingesetzt, ihn für den Westteil der Mauer, den anderen für den Ostteil, in der Hoffnung, sie auf diese Weise aus dem Kampfgetümmel heraushalten zu können. »Sie können den Wehrgang nicht länger halten!« rief er. »Die Frontlinie bricht!«
Ich gab ihm neue Befehle, und er rannte zurück. Selbst wenn ich mit meinem Plan Erfolg hatte, würde ich den Wehrgang in der Nähe des Befehlsstandes nur noch wenige Ehn halten können. Ich sah nach Osten. Dort stürmte die nächste Abteilung Cosianer aus dem Belagerungsturm und stolperte über die im Tarndraht verfangenen Toten und Verletzten. Männer stellten sich ihnen mit Piken und Äxten in den Weg. Die Schläge des Rammbocks drangen mir wieder ins Bewußtsein. In den letzten paar Ehn hatten sie sich irgendwie anders angehört. Und wieso hatte die Sturmleiter bis zu meinem Befehlsstand reichen können? Ich ging zu den Zinnen, beugte mich über die Mauer und sah, daß das Dach des Unterstandes schräg aufwärts zeigte. Sie hatten vor dem Tor einen Hügel aus Trümmern, Sand, Felsbrocken und Leichen errichtet und den Rammbock die Schräge hinaufgestemmt. So landeten die Schläge auf der oberen Torhälfte, weit über der Barriere, die die Verteidiger auf der anderen Seite zur Verstärkung des Tores aufgeschüttet hatten. Darum klangen die Schläge des Rammbocks so verändert. Welche Anstrengungen es gekostet haben mußte, den langen Unterstand den steilen Hügel hinaufzuzwingen, wie mühsam die Arbeit der Männer an den Seilen sein mußte, den großen Rammbock aufwärts zu schwingen! Zwischen seinen rhythmischen Schlägen konnte ich die Hiebe unzähliger Hämmer und Äxte hören sowie das Klirren von Brechstangen und Meißeln; Eisen kreischte, als Männer versuchten, die Beschläge des Tores zu zertrümmern, um die Platten dann abzustemmen. Die Sturmleiter hatte nur wegen des künstlichen Hügels bis zur Brustwehr gereicht.
Ich trat zurück und richtete meine Aufmerksamkeit auf die Westmauer. Die Verteidiger, die den Wehrgang bislang gehalten hatten, zogen sich plötzlich zurück. Sie hatten hinter einem Wall aus Toten gekämpft, der aus Cosianern und ihren eigenen Leuten bestand. Die Cosianer schienen einen Augenblick lang verblüfft, dann setzten sie jubelnd über die Leichen hinweg und nahmen die Verfolgung auf. Die Verteidiger blieben bei dem großen Kessel stehen, aus dem man die ganze Zeit mit dem kleinen Eimer Öl geschöpft hatte, stemmten sich gegen die Tragestangen und kippten ihn um. Brennendes Öl ergoß sich über den Wehrgang. Die Masse der Cosianer kam vor der breiten Flammenwand zum Stehen, einige liefen jedoch mitten in sie hinein. Viele starben in den Flammen. Andere drehten sich um und rannten brennend und schreiend zu ihren Kameraden zurück. Einige wenige schafften es bis auf die andere Seite und wurden dort niedergemacht. Zwar hatten wir mit diesem Rückzug den westlichen Wehrgang aufgegeben, aber dadurch verkleinerte sich das Gebiet, das verteidigt werden mußte, was wiederum die Anzahl der Verteidiger erhöhte. Die Cosianer, die die Mauer überwunden hatten, sahen sich nun einer viel stärkeren Gegenwehr gegenüber. Einige zogen sich sogar zu den Belagerungstürmen zurück, von denen vier lichterloh brannten. Ich sah, wie sich einige Soldaten trotzdem auf die Zugbrücken wagten, die unter ihnen zusammenbrachen.