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Eine Klinge zwängte sich zwischen Rammbock und Tor und stach nach mir, gefolgt von einem Speer. Der große Verrschädel rückte ein paar Zentimeter nach vorn und wieder zurück. Die Soldaten versuchten, den Felsblock mit Speeren zur Seite zu stoßen. Hier konnte ich nichts mehr ausrichten. Sobald sie den Rammbock aus der Öffnung gezogen hatten, würden sie ihn festhalten, und die Soldaten hatten freie Bahn. Ich konnte das Tor nicht lange verteidigen, nicht gegen Armbrüste, nicht ohne Schild. Die Ramme bewegte sich wieder. Ich schob das Schwert in die Scheide, rutschte und lief den Schutthaufen hinunter und landete auf dem Steinboden. Aemilianus sah mich teilnahmslos an. Männer warteten vor dem Gerüst, das die Steinlast hielt, die den Ostkorridor blockieren würde. Ich verspürte nicht die geringste Lust, hier festzusitzen, wenn die Cosianer kamen. »Helft mir«, sagte ich zu den beiden Offizieren, die treu bei Aemilianus ausharrten.

»Geht«, sagte Aemilianus. »Ich werde hierbleiben.«

»Ich trage ihn, oder ihr stützt ihn«, sagte ich.

»Wer bist du?« fragte Aemilianus.

In diesem Augenblick ertönte vor dem Tor Jubel, und der von den Speeren beiseite gedrückte Felsblock rollte den Schuttberg hinunter. Gleichzeitig schwang die Ramme zurück.

»Hört auf!« rief Aemilianus, aber seine Leute hatten ihn bei den Armen gepackt, legten sie sich über die Schultern und schleppten ihn auf den Ostkorridor zu.

Ich blickte hoch und sah vier oder fünf Cosianer über den Schutthaufen schleichen.

Sofort wich ich auf den Ostkorridor zu.

»Hier ist es aber dunkel«, sagte einer der Cosianer. Zwei seiner Kameraden zwängten sich an ihm vorbei und sahen von oben in den Torgang.

Hinter mir hörte ich die Schläge von Holzhämmern, die auf die Gerüststützen einhieben.

»Laßt sie nicht entkommen!« rief ein Cosianer.

»Greift sie von den Seiten an!« rief ich, als würden Männer im Hinterhalt warten.

Die zwölf Cosianer, die sich mittlerweile durch das zerstörte Tor geschoben hatten, blieben unvermittelt stehen und sahen sich wild um.

Ich schlüpfte durch den Torbogen des Ostkorridors. Im gleichen Augenblick schlug man die letzten Stützen weg, und Steine und Geröll stürzten in einer gewaltigen Staubwolke in die Tiefe.

Die anderen Männer und ich waren keine zehn Schritte in den Korridor eingedrungen, als man hinter uns die ersten Steine aus der Blockade riß. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Cosianer ohne Gegenwehr länger als ein paar Ehn brauchten, um sich einen Weg in den Korridor zu bahnen.

Plötzlich wurden Schwerter gezogen und der Gang von Männern versperrt, die zweifellos über die Mauer gekommen waren. Allerdings trugen sie nicht das Blau der Cosianer, sondern lediglich blaue Armbinden. Aemilianus, seine beiden Offiziere, die beiden Männer, die den Korridor blockiert hatten und ich blieben stehen.

»He, Leute!« rief ich. »Seht den Glanz des Goldes!« Ich zog die Goldstücke aus dem Geldbeutel, die ich Lady Publia in der Zelle abgenommen hatte. Ich warf sie an den Männern vorbei in den links abzweigenden Gang hinein, aus dem sie gekommen waren.

»Gold oder Stahl?« fragte ich.

»Warum nicht beides?« fragte einer der Söldner und trat einen Schritt vor. Im nächsten Augenblick lag er tot am Boden.

»Gold«, sagte einer seiner Kameraden mit einem Grinsen. Dann wichen er und die anderen in den Seitengang zurück, in den ich die Münzen geworfen hatte, und machten sich in dem Dämmerlicht daran, sie aufzulesen.

Ich wischte meine Klinge an der Tunika des Burschen ab, der sich uns hatte entgegenstellen wollen.

»Du bist nicht Marsias«, sagte einer Männer. Ich erkannte ihn wieder. Er war auf der Mauer gewesen. Sein Name war Caledonius.

»Nein.« Ich bückte mich, nahm dem Toten den Geldbeutel ab und steckte die drei Münzen ein, die sich darin befanden.

Caledonius schloß die Tür zu dem Korridor, in den ich das Geld geworfen hatte.

An einem Ort wie dieser Zitadelle ist man sehr vorsichtig, was geschlossene Türen angeht, vor allem in Kriegszeiten. Man öffnet sie behutsam oder tritt sie auf, geht in Deckung und wartet. Man platzt nicht einfach herein. Denn man weiß nie, was sich auf der anderen Seite befindet.

»Laß uns weitergehen«, sagte Caledonius.

Unsere kleine Gruppe setzte sich wieder in Bewegung. »Da hinten wird es heller«, sagte ich. »Dort steht ein Tor offen.«

»Das ist das Tor zur Kaimauer und zu der Brücke, die zu dem Pier führt«, sagte einer der Offiziere.

Es fiel mir zu diesem Zeitpunkt nicht auf, aber hätte er mich für einen Bürger aus Ar-Station gehalten, hätte er sich diese Erklärung vermutlich gespart. Heute glaube ich, daß mehr als nur einer der Männer einen Verdacht hatte, wer sich unter der schwarzen Kapuze verbarg.

»Du hättest mich am Haupttor zum Sterben zurücklassen sollen«, sagte Aemilianus.

»Möchtest du nicht lieber im Sonnenlicht sterben?« fragte ich. »An der frischen Luft, unter dem blauen Himmel, mit Blick auf den Hafen, auf das Wasser?«

»Ich würde lieber vor den Mauern von Ar sterben, damit ich auf sie spucken kann«, erwiderte er.

»Es hat nie ein Entsatzheer gegeben«, sagte ich.

»Laß uns weitergehen«, sagte Caledonius. »Ich höre schon die Verfolger.«

»Und ich höre Frauen und Kinder«, sagte der Adjutant.

»Es ist eine Schande, vor ihren Augen zu sterben«, sagte Aemilianus. »Laßt mich hier, damit ich unsere Verfolger aufhalte, solange ich noch ein Schwert halten kann.«

»Bringt ihn mit«, befahl ich und ging auf das Tor zu.

»Und wer bist du?« fragte Caledonius.

»Jemand, der an diesem Nachmittag klarer denkt als andere,«

»Und warum sollte ausgerechnet dir das gelingen?«

»Vielleicht habe ich mehr zu essen bekommen«, erwiderte ich.

18

»Hauptmann, ich grüße dich!« rief der junge Armbrustschütze, der neben dem Tor zum Kai stand. Von dort führte eine geländerlose Brücke, die etwa zweihundert Meter Wasser überspannte, zu einer langen Pier mit Dutzenden von Anlegeplätzen. Jenseits des Hafens und des Walls aus aneinandergeketteten Flößen, der die Ausfahrt blockierte, schwammen fünf cosische Kriegsschiffe. Ausgebrannte Schiffswracks zerrten an ihren Ankern, an einigen Stellen ragten Mastspitzen aus dem Wasser.

»Hauptmann!« rief auch sein Freund.

»Hauptmann!« riefen andere der Männer, die auf der Mauer gekämpft hatten.

Auf der Kaimauer drängten sich Frauen und Kinder. Viele waren bereits zur Pier unterwegs.

»Kommandant, wir grüßen dich!« riefen die Männer, als sie Aemilianus bei uns entdeckten.

»Warum nennen sie dich Hauptmann?« wollte Aemilianus wissen.

»Er hat die Mauer befehligt«, rief ein Soldat. Ich erkannte sein Gesicht wieder; auch er hatte an der Brustwehr gekämpft.

»Du warst derjenige, der die Mauer solange gehalten hat?« fragte Aemilianus.

»Ich und ein paar Hundert deiner tapferen Männer wie diese hier«, erwiderte ich und zeigte auf die jungen Burschen an meiner Seite.