»Die Cosianer stehen auf der Innenmauer«, meldete ein Soldat.
Ich sah hoch. Da waren sie, auf der Mauer, die sich genau oberhalb des Kais befand. Einige hatten die Helme abgenommen und hielten die Köpfe in den Wind, der dort oben heftiger wehte.
»Sie können in die Menge schießen«, sagte ein Soldat.
»Aber sie haben es nicht getan«, sagte ein anderer.
»Sie warten auf den Kommandanten«, sagte ein dritter Mann.
»Mich bringt keiner in einem Käfig nach Cos, nackt und in Ketten«, sagte Aemilianus zu seinem Adjutanten, der ihn stützte. »Surilius, wenn das Ende gekommen ist, dann weißt du, was du zu tun hast.«
»Wie du wünschst, Kommandant«, erwiderte Surilius mit belegter Stimme.
»Wie viele Leute haben sich hier eigentlich versammelt?« fragte ich einen der Umstehenden. Die Kaimauer war wie der lange Pier voller Frauen und Kinder.
»Wer weiß das schon?« erhielt ich zur Antwort. »Meiner Meinung nach müssen das zweitausend oder dreitausend Frauen und Kinder sein, und vielleicht fünfhundert Männer. Ich weiß es nicht.«
»Von der gesamten Bevölkerung von Ar-Station?«
»Viele sind schon vor Monaten geflohen. Die ersten, als bekannt wurde, daß die Cosianer in Brundisium gelandet sind, die nächsten, als es Gerüchte gab, sie würden auf Ar-Station zumarschieren. Viele sind entkommen, bevor sich der Belagerungsring schloß. Die nächsten Flüchtlinge haben sich den Weg freigekauft, das war zu Anfang noch möglich, bevor die Cosianer diese hohen Verluste erlitten.«
»Gut und schön, aber als sich der Belagerungsring schloß, müssen sich doch Tausende von Menschen in der Stadt aufgehalten haben.«
»Das stimmt«, sagte der Mann verbittert.
»Und das hier ist alles, was davon übrig blieb?«
»Es hat Desertionen gegeben.«
»Trotzdem.«
»Etliche sind an Hunger oder Krankheit gestorben«, sagte er. »Und viele sind im Feuer umgekommen.«
Ich sah ihn an.
»Viele haben es nicht mehr bis zur Zitadelle geschafft. Zahlreiche Straßen, sogar ganze Bezirke, waren abgeschnitten.«
»Ich verstehe.«
»Warum ist die Verstärkung aus Ar nicht eingetroffen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich, obwohl ich es zu wissen glaubte.
»Man sagt, die Cosianer hätten in der Stadt Massaker verübt.«
»Das ist schon möglich«, erwiderte ich.
»Sie sind mit Wagen voller Beute vor der Zitadellenmauer vorbeimarschiert und mit unseren Frauen, die alle entkleidet und wie Sklavinnen gefesselt waren.«
Ich nickte. Natürlich hatte ich das in der Zelle nicht sehen können, aber es bestand kein Zweifel, daß es die Wahrheit war. Es war typisch goreanisch.
»Und doch sind noch viele hier.«
»Ja«, sagte ich und blickte mich auf dem überfüllten Kai und der Pier um. »Das ist wahr.«
»Es wird ein schreckliches Blutbad geben.«
Aemilianus saß ganz in der Nähe auf dem Boden. Der Adjutant stützte ihn, indem er ihn bei den Schultern hielt.
Ich sah zu der Mauer hoch.
Dann sprach ich ihn an. »Kommandant, viele deiner Bürger stehen in Schußweite der Mauer.« In der Tat dürfte es schwer gewesen sein, von dort oben zu schießen, ohne jemanden zu verfehlen.
»Ich bin müde«, erwiderte er.
»Viele haben Angst, den Pier zu betreten«, sagte Caledonius. »Sie haben Angst vor den cosischen Schiffen, daß der Floßwall geöffnet wird und sie durch die Lücke angreifen. Sie fürchten sich, den Kai und damit den Schutz der Zitadellenmauer zu verlassen.«
»Was für einen Schutz denn?« stieß ich ärgerlich hervor.
»Viele fürchten sich auch, über die Brücke zu gehen.«
»Im Wasser sind Haie«, sagte der Armbrustschütze.
»Man kann ihre Rückenflossen sehen«, sagte sein Freund. »Sieh nur, da vorn schwimmen zwei!«
»Blut wurde das Delta herabgespült«, sagte Caledonius verbittert. »Die Flußhaie kommen von so weit westlich wie Turmus. Aufgedunsene Deltahaie haben das Salzwasser des Deltas verlassen und verseuchen zwischen dem Delta und Ven die Ufer.«
»Aber es gibt noch einen viel bedeutsameren Grund, die Brücke zu meiden«, sagte ein anderer Soldat.
»Und der wäre?« fragte ich.
Er gab keine Antwort.
Plötzlich sah Aemilianus mich an. »Was hast du gesagt?«
Ich ging neben ihm in die Hocke. »Schick deine Leute auf den Pier und zerstöre die Brücke hinter ihnen. Dann können die Cosianer nur übers Wasser folgen.«
»Dort haben wir nichts zu essen«, sagte Caledonius.
»Das haben wir hier auch nicht«, erwiderte ich.
»Es macht doch keinen Unterschied mehr«, sagte Aemilianus müde.
»Aber es ist die einzig richtige Handlung«, sagte ich.
»Das Sehen fällt mir so schwer«, sagte er plötzlich.
»Macht eine Trage«, befahl ich. »Bringt den Kommandanten auf den Pier.«
Man schob zwei Speere durch ein Fischernetz und legte Aemilianus auf die so entstandene Trage.
Er öffnete die Augen.
»Da stehen Cosianer auf der Mauer!« sagte er. »Warum haben sich die Menschen nicht auf den Pier zurückgezogen?«
»Der Befehl dazu wurde nicht gegeben«, sagte ich.
»Wo ist Marcus Tulvinius?« fragte er.
»An deiner Seite«, sagte ein Offizier und trat vor.
»Zieht euch zur Pier zurück!«
»Das geht nicht.«
Aemilianus bemühte sich, ihn anzusehen.
»Es ist verboten, die Brücke zu betreten«, sagte Tulvinius. »Die Leute, die schon auf dem Pier sind, haben es vor dem Eintreffen der Cosianer auf der Mauer dorthin geschafft. Jetzt liegen dort die Leichen derjenigen, die es später versucht haben. Setze einen Fuß auf die Brücke, und hundert Armbrüste richten sich auf dich.«
»Es hat den Anschein, als bliebe uns die Wahl, hier oder dort zu sterben«, sagte Aemilianus.
»Ich wäre dafür, es den Cosianern weniger einfach zu machen«, sagte ich.
Aemilianus lächelte.
»Die Lage ist hoffnungslos«, sagte Tulvinius. »Ich werde die Bedingungen zur Übergabe in Erfahrung bringen.«
»Die Bedingungen der Cosianer?« Aemilianus lächelte.
»Seht nur, dort auf der Mauer!« rief Caledonius.
Hinter der Brustwehr stand ein hochgewachsener Mann, dessen Helmbusch von einem Kranz Sleenhaar umgeben wurde. Hinter ihm wurden Standarten in die Höhe gehoben.
»Es ist ihr Befehlshaber!«
»Kommandant?« fragte Tulvinius.
»Tu, was du für richtig hältst«, sagte Aemilianus erschöpft.
Tulvinius drehte sich um, zog ein weißes Tuch unter dem Umhang hervor, das er dort verborgen hatte, hob es hoch und trat zum Fuß der Mauer.
Diese Handlung wurde von den Cosianern mit Verachtung begrüßt. Der Mann mit dem Sleenhaar auf dem Helm regte sich nicht.
»Aemilianus erbittet die Bedingungen zur Übergabe!« rief Tulvinius.
Mir entging nicht, daß Aemilianus auf der Trage die Fäuste ballte.
Auf der Mauer erscholl Gelächter.
Eure Frauen sollen sich ausziehen«, rief ein Soldat, sich uns am Tor zeigen, damit wir sie einschätzen können!«
»Vielleicht gefallen uns ja einige.«
»Dem Rest können wir die Hälse durchschneiden!«
Der hochgewachsene Mann hinter der Brustwehr verriet kein Gefühl. Er betrachtete kühl die Szene, die sich ihm bot. Aus der Zitadelle stieg Rauch in den Himmel.
»Aemilianus hat zugestimmt, sich euch zu ergeben!« rief Tulvinius.
Aemilianus legte den Kopf zurück und schloß die Augen.
»Die Übergabebedingungen«, rief Tulvinius. »Wir wollen die Bedingungen erfahren.«
Der Mann auf der hohen Mauer hob die Hand; es war eine unscheinbare Geste.
»Nein!« rief Tulvinius. Er trat zurück, die Hand mit dem weißen Tuch senkte sich. »Nein!«
Zwei Armbrustschützen traten nach der Geste des Befehlshabers vor und legten an.
»Nein!« schrie Tulvinius und wich weiter zurück.
Die Armbrustbolzen schossen wie zwei metallene Vogel durch die Luft, man konnte das Sirren der Sehnen deutlich hören.
»Schildwall!« rief ich. »Alle Männer mit Schilden zu mir! Bildet den Schildwall!«