Männer eilten auf mich zu, hoben die Schilde und hielten sie so aneinander, daß sie sich an den Rändern überschnitten. Ich erzwang mir einen Weg zwischen den Männern und brachte ihre Schilde gewaltsam in die richtige Position. Um mich herum schlugen Armbrustbolzen ein. Tulvinius drehte sich um. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck voller Verzweiflung und Unglauben. Dann stürzte er zu Boden. Die beiden Armbrustbolzen ragten aus seiner Brust.
»Zurück!« rief ich den schreienden Frauen und Kindern zu, »Drückt euch so dicht an die Mauer, wie es nur geht! Zurück! Zurück!«
Aber viele flohen in unsere Richtung.
Ein Soldat stürzte von der Mauer, einen Bolzen in der Brust, der nicht befiedert war. Ein Seitenblick verriet mir, daß mein junger Schützenfreund seine Waffe senkte.
Geschosse regneten auf uns herab.
Ich kommandierte Männer dazu ab, mit ihren Schilden die auf die Brücke zulaufenden Frauen und Kinder zu schützen.
Mittlerweile hatten sich Hunderte von Schützen auf der Mauer versammelt. Aus der Brücke schienen Armbrustbolzen wie Gras zu sprießen. Viele der Schützen hatten offensichtlich den Befehl erhalten, die Brücke unter Beschuß zu nehmen und die Leute zwischen dem Wasser und der Mauer festzuhalten wie Schlachtvieh.
Ich ging hinter dem Schildwall in die Hocke. »Bringt den Kommandanten im Schutz der Schilde rüber«, befahl ich.
»Ich werde hierbleiben«, sagte Aemilianus.
»Du wirst von dort weiterbefehlen«, sagte ich.
»Ich werde hierbleiben!«
Ich gab den Trägern ein Zeichen, die das zwischen zwei Speeren gespannte Netz anhoben. Aemilianus streckte die Hand nach mir aus, und ich ergriff sie. Die Träger wurden von vier Schildträgern von der Mauer abgeschirmt und eilten geduckt auf die Brücke zu.
Die Frauen und Kinder, die sich an die Mauer drückten, hatten nichts von dem Beschuß zu befürchten. Es war nicht möglich, sie von der Brustwehr aus zu treffen.
Ich sah in die Höhe. Der Befehlshaber war verschwunden.
Nach kurzem Überlegen schickte ich Männer einzeln und in Gruppen aus dem Schildwall heraus, um Frauen und Kinder auf die Brücke zu holen. Sobald sie Erfolg hatten, eilten sie wieder zurück, um noch mehr Leute in die zeitweilige Sicherheit des Schutzwalls zu holen.
Oben auf der Mauer ertönten Wutschreie.
Der junge Armbrustschütze huschte im Schutz eines Schildes, der von seinem Freund gehalten wurde, über die Brücke und sammelte Bolzen auf. Es waren prächtige, von Metallarbeitern gefertigte Geschosse, nicht angespitzte oder stumpfe Stöcke, die man nur dazu gebrauchen konnte, um Vögel zu betäuben. Er teilte sie an seine Kameraden aus, vergaß aber nicht, selbst welche zu behalten. Er war jung, aber seine Treffsicherheit war zum Fürchten. Er war in Hunderten von Angriffen auf die Mauer geschult worden.
Nun warfen einige der Cosianer Steine und Dachschindeln in die Tiefe.
Einer kippte plötzlich zurück, die Hände um einen Bolzen geklammert, der aus seinem Kinn ragte. Die Innenseite des Helmes hatte verhindert, daß das Geschoß seinen Kopf durchschlug.
Der junge Schütze legte den nächsten Bolzen in seine gespannte Armbrust ein.
Ich schickte noch ein paar Männer los, um die sich zusammenkauernden Zivilisten zu schützen, bevor man sie von der Mauer wegbringen konnte, aber es nutzte nicht viel.
Viele flohen blindlings in Richtung Brücke und wurden niedergeschossen, bevor sie unseren Schildwall erreichten.
»Bleibt an der Mauer!« rief ich. Mein Blick fiel auf einen Cosianer, der einen Stein über den Kopf hielt. Er wurde angeschossen und verschwand von der Brustwehr.
Der junge Armbrustschütze lud nach.
»Es ist schwerer für sie, als ihnen lieb sein kann«, sagte ein Soldat.
»Sie werden jeden Moment aus dem Tor strömen«, meinte sein Kamerad.
»Und die Mauer herunter!« sagte ein dritter grimmig.
Er hatte kaum ausgesprochen, als das Innentor, das zum Kai führte, nach innen aufschwang und mit Helmen und Schilden ausgerüstete Cosianer sich mit Schwertern und Speeren auf die Verteidiger stürzten. Im gleichen Augenblick fielen Hunderte von Seilen von der Brustwehr in die Tiefe, und ein Soldat nach dem anderen ließ sich auf den Kai hinunter. Die Frauen und Kinder flohen voller Panik von der Mauer. Sie eilten weiter, genau auf uns zu, durchbrachen den Schildwall und liefen weiter auf die Brücke zu. Als die Schilde kippten, flogen Salve auf Salve von der Brustwehr, und Männer schrien getroffen auf.
»Vorwärts!« rief ich und hob den Schild eines Gefallenen auf. »Zur Mauer!« Hinter uns ertönten die Schreie der Frauen und Kinder, die sich auf der Brücke drängelten. Dazu kamen die Schreie derjenigen, die von dem reißenden Strom der Flüchtlinge von der Brücke ins Wasser gestoßen wurden. In der entstandenen Panik waren viele Menschen aus der Nähe der Zitadelle geflohen. Obwohl es sie dem Feuer der Angreifer auslieferte, verschaffte es uns Platz zum Kämpfen. Vor mir sprang ein Cosianer von dem Seil, und bevor er das Gleichgewicht wieder erringen konnte, war er tot. Ein anderer schrie, als ihm die Beine abgehackt wurden. Ein Cosianer landete genau auf einem Speer. Der Mann aus Ar-Station stemmte den Fuß gegen die Leiche, riß den Speer heraus und stieß ihn dem nächsten Angreifer in den Leib. Die Schlächterei nahm ihren Lauf. Einige versuchten mit nur einer Hand hinabzuklettern und mit der anderen zu kämpfen. An einigen Stellen packten je zwei Verteidiger das Seilende, zogen es zurück und schmetterten es solange gegen die Mauer, bis die daran hängenden Cosianer in die Tiefe stürzten. Die nachrückenden Angreifer zögerten, sich auf die erhobenen Klingen zu stürzen, die wie blitzende Stahlzähne auf sie warteten. Einige versuchten an ihren Kameraden vorbeizuklettern, die sich verzweifelt an den Seilen festklammerten, nachdem sie gesehen hatten, was sie dort unten erwartete. Männer landeten auf dem Kai, um in Stücke gehackt zu werden. Manche versuchten vergeblich, wieder nach oben zu klettern, da sie an jenen, die über ihnen waren, nicht vorbeikamen. Ein paar Cosianer, die es bis zur Brustwehr schafften, wurden von den zustechenden Speeren der eigenen Männer zurückgetrieben, die sie anbrüllten. Wenn sie abstürzten, kam es vor, daß sie andere die zwanzig Meter bis zum Boden mit sich rissen; die Mauer an der Hafenseite war niedriger als an der Stadtseite.
Einige der Angreifer klammerten sich an den Seilen fest, zu keiner Bewegung fähig. Unter ihnen hielten die Bolzen blutige Ernte, da die Schützen in aller Ruhe zielen konnten. Einige der Verteidiger stellten sich sogar auf die Toten, um an die Männer an den Seilen heranzukommen. Wieder regneten Steine und Dachschindeln in die Tiefe. Ich sah, wie ein Mann in die Knie ging, nachdem sein Schild von einem Stein getroffen worden war. Einen Augenblick lang erschien er benommen. Dann kämpfte er sich unsicher wieder auf die Beine, um seinen Abschnitt der Mauer zu bewachen. Bolzen regneten herab. Sie trafen die Brücke wie Hagel. Frauen schrien. Einige riefen, man solle zurück zur Mauer fliehen. Vermutlich hielten sich viele der Schützen, die sich in der Sicherheit der Brustwehr befanden, an ihre ursprünglichen Befehle, die Brücke mit Sperrfeuer zu belegen, um die Menge zurückzuhalten. Ein Kind rannte schreiend an mir vorbei, um sich gegen die Mauer zu drücken. Einen Augenblick später wurde es von einer Frau überholt, die es in ihren Umhang hüllte und sich mit ihm gemeinsam zusammenduckte. Wir wurden von Frauen angerempelt.
»Aus dem Weg!« schrie einer unserer Männer. Ein Cosianer rutschte im Schutz der Frauen das Seil hinunter. Er stieß einem Soldaten das Schwert in die Seite.
Doch ein Verteidiger sprang ihn von der anderen Seite an, und er prallte blutspuckend gegen die Mauer. Die Frau, die das Kind in ihrem Umhang beruhigte, sah zu, wie er zu Boden sank. Die Frau weinte. Ein Blick in die Runde verriet mir, daß die eigentliche Gefahr vom Tor kam, aus dem mittlerweile Hunderte von Cosianern auf den Kai stürmten. Ich eilte die Mauer entlang auf die linke Torseite zu.
»Zum Tor!« rief ich meinen Männern zu. »Zum Tor!« Mit blutigen Schwertern wandten sie sich um und eilten auf das Tor zu. Ich umging die Kämpfenden und kommandierte noch mehr Männer von der rechten Seite ab. Der Lederüberzug meines Schildes war gespickt mit Bolzen.