»Nein, Kommandant.«
Aemilianus war verblüfft. »Ich habe noch nie erlebt, daß du einen Befehl verweigerst.«
Surilius zog sein Schwert, »Wenn schon ein Körper als Schild dienen soll, dann nimm meinen an deiner Stelle.«
»Nein, alter Freund«, flehte Aemilianus. Doch Surilius machte sich bereit, sich das eigene Schwert ins Herz zu stoßen.
»Du«, sagte Aemilianus und wies auf mich. »Töte mich.«
»Ich bin müde«, erwiderte ich.
»Zieh dein Schwert«, bat er verzweifelt. »Halte es so, daß ich mich auf die Klinge stürzen kann.«
»Nein.«
»Nein?«
»Ich bin kein Bürger von Ar-Station«, sagte ich. »Versuche nicht, jemandem einen Befehl zu geben, der weder für Ar noch für Ar-Station große Sympathien hegt.«
»Aber du hast für uns gekämpft«, sagte Aemilianus.
»Ich sah Dinge, die mir nicht gefielen«, erwiderte ich. »Und ich habe gekämpft, aber es liegt in der Natur des Tarns zu fliegen und eines Kaiilas zu laufen.«
Männer erschauderten. Im Kodex steht geschrieben, daß alle Krieger einen gemeinsamen Heimstein haben. Sein Name ist Kampf.
Aemilianus wandte sich wieder an Surilius. »Du hast dein Wort gegeben«, sagte er flehend.
»Mein Wort ist mir heilig«, sagte der Adjutant. »Aber das gleiche gilt für die Bedingungen, unter denen ich es dir gegeben habe, und danach darf ich nicht zulassen, daß du in die Hände der Cosianer fällst, falls du es aus eigener Kraft nicht verhindern kannst. Dann, und nur dann, werde ich dich töten.«
»Du bist ein guter Soldat«, sagte Aemilianus. »Ich bitte dich um Verzeihung, mein Freund.« Er verzog das Gesicht. Wieder sickerte ein Blutstrom unter dem Verband hervor.
»Laßt ihn ruhen«, sagte ich.
Caledonius half dem Kommandanten, sich hinzulegen, der die Hand nach seinem Freund ausstreckte.
»Ich werde an deiner Seite sein«, sagte Surilius.
Ein Soldat kam heran. »Sie kommen«, verkündete er. »Es müssen über hundert Boote und Flöße sein, und sie kommen von beiden Seiten.«
»Nun wird es nicht mehr lange dauern, mein Freund, nicht wahr?« fragte Aemilianus.
»Nein, lieber Freund«, sagte Surilius. »Ich glaube nicht, daß es noch lange dauert.«
»Seht doch«, sagte Caledonius und zeigte auf den Hafen. »Ich wußte nicht, daß sie so viele Schiffe haben.«
»Was?« rief ich.
»Da«, erwiderte Caledonius und zeigte in Richtung Fluß.
Jenseits des an drei Stellen geöffneten Floßwalls kam eine Gruppe von Segeln in Sicht, sie waren lang und dreieckig und gehörten zu mit Lateinersegeln getakelten Galeeren.
»Sie kommen, um das Ende zu besiegeln«, sagte Caledonius.
»Wo ist ein Glas?« rief ich, »ein Hausbauerglas?«
Unter unseren Blicken senkte sich das Segel des ersten Schiffes auf die waagerechte Unterrah, die dann parallel zum Kiel geschwenkt und gesenkt wurde. Im nächsten Augenblick wurde der Mast umgelegt. Die anderen Galeeren folgten dem Beispiel. Mir sträubten sich die Nackenhaare. Das sind die Vorbereitungen, die eine Galeere trifft, wenn sie in die Schlacht fährt. Die Schiffe wurden jetzt nur noch durch die Kraft ihrer Ruder bewegt. Es fiel schwer, sie auf diese Entfernung genau zu sehen. Aber es waren keine Rundschiffe. Es handelte sich um schmale Schiffe, um Rammschiffe. Sie waren flach gebaut und lagen niedrig auf dem Wasser, wie Messer.
»Bringt mir ein Fernglas!« rief ich.
»Ein Glas her!« nahm Caledonius den Ruf auf.
»Eines der cosischen Schiffe wendet«, sagte einer der umstehenden Soldaten.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Surilius.
»Wie viele Schiffe sind das überhaupt?« fragte der Soldat.
»Und wo hat Cos solche Schiffe her?«
»Die Cosianer in den Booten und auf den Flößen sind fast da«, meldete jemand. »Gleich werden sie mit dem Angriff beginnen.«
Ein Tarnsmann kam aus Richtung Fluß angeflogen, überquerte den Pier und raste dann der Kaimauer entgegen.
»Die Schilde an die Ränder der Pier!« rief Surilius. Er hatte sein Schwert gezogen.
Frauen und Kinder begaben sich in die Mitte des Piers und kauerten sich nieder. Viele der Frauen schützten die Kinder mit ihren Körpern. Alles geschah mit erstaunlicher Lautlosigkeit.
Jemand hielt mir ein Hausbauerglas hin. Ich hob den Apparat vor die Augen. Es dauerte nur kurz, dann hatte ich ihn justiert und richtete ihn auf das Flaggschiff der näherkommenden Flottille. Ich suchte nach der Flagge, die an ihrem Tau zwischen Bug und Vordersteven flatterte. Dann senkte ich das Glas wieder und verschloß es.
»Welche Farben haben sie?« fragte Caledonius.
»Es ist das Blau von Cos«, antwortete ich.
Surilius packte das Schwert fester und starrte auf die bewußtlose Gestalt von Aemilianus hinab.
»Cos hat auf dem Fluß keine so große Streitmacht«, sagte ein Mann.
»Seht euch die Männer auf den Flößen an«, meinte Caledonius. »Sie scheinen sehr aufgeregt zu sein.«
»Darf ich mal sehen?« fragte der Soldat.
Ich gab ihm das Glas.
Er richtete es auf die Hafenmündung. Die Schiffe waren näher heran. Man konnte die blaue Flagge bereits mit bloßem Auge erkennen.
»Das ist nicht die Flagge von Cos!« rief der Soldat.
»Dann ist es eben eine Variante«, sagte ich, »vielleicht die Flagge ihrer Flußstreitmacht.«
»Es ist die Flagge von Port Cos!« rief er. »Es ist die Flagge von Port Cos!«
»Die Flagge von Port Cos!« nahmen andere den Ruf auf.
»Und?« fragte ich. »Port Cos ist eine cosische Kolonie, seine Machtbasis am Vosk.«
»Der Topas!« rief der Soldat.
»Der Topas! Der Topas!« erscholl der Ruf aus Hunderten von Kehlen.
Surilius schüttelte Aemilianus, versuchte ihn aufzuwecken. Tränen strömten aus seinen Augen, »Der Topas!« rief er. »Marcus ist durchgekommen! Es ist Calliodorus aus Port Cos! Es ist der Schwur des Topas!«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich.
Dann war das Flaggschiff heran, schoß durch die Öffnung in dem Floßwall und rasierte die Ruder des cosischen Schiffes im Hafen ab. Die nächste cosische Galeere wurde mittschiffs gerammt. Die drei restlichen Schiffe des Feindes versuchten, an den Hafenseiten anzulegen. Eines lief vor einem Wachturm auf Grund. Die Männer auf den Flößen versuchten die Ketten zusammenzuziehen und den Hafen wieder zu verschließen. Aber vier Galeeren schoben sich über sie hinweg; Holz zersplitterte, während sich die Rammsporne aus dem Wasser erhoben, dann waren sie im Hafen. Die Besatzungen der beiden anderen cosischen Schiffe, die nicht auf Grund gelaufen waren, sprangen über Bord und wateten in dem hüfthohen Wasser aufs Ufer zu. Weitere Galeeren gingen längsseits zu den noch nicht zerstörten Teilen des Floßwalls, und Männer schwärmten aus. Die Cosianer, die sich dort aufgehalten hatten, ergriffen die Flucht. Die drei Öffnungen in der Floßkette blieben bestehen. Davon abgesehen trieben zwei Flöße ziellos im Hafenbecken umher, während die beiden Flöße an den jeweiligen Enden der Ausfahrt nur noch an den dicken Pfählen vertäut waren, die man in der Nähe der Wachtürme in den Sand getrieben hatte; sie schwammen zur Seite. Die Ruderboote und Flöße der Cosianer, die sich im Hafenbecken zum Angriff bereitgemacht hatten, flohen nun in den Schutz des nächsten Wachturms. Noch immer liefen Galeeren in den Hafen ein. Das Flaggschiff legte an dem äußersten Anlegeplatz der Pier an.
»Ich verstehe nicht, was hier vorgeht«, sagte ich. »Was hat es mit diesem Topas auf sich?«
»Dann mußt du wirklich ein Fremder in Ar-Station und am Fluß sein«, meinte Caledonius. »Ursprünglich war der Schwur des Topas ein Abkommen der Flußpiraten, das Versprechen, sich gegenseitig zu helfen und im Falle einer Gefahr einander beizustehen. Es war ein Bündnis zwischen dem östlichen und dem westlichen Vosk, zwischen Policrates im Osten und Ragnar Voskjard im Westen. Als sich die Hafenstädte des Flusses gegen die Raubzüge, die Tributzahlungen und Zölle der Piraten erhoben, fiel der Topas in die Hände der siegreichen Rebellen. Aus diesem Kampf entstand die Voskliga.«