Über die Voskliga wußte ich Bescheid. Ihr Hauptquartier befand sich in Victoria, am Nordufer des Vosk, zwischen Fina und Tafa. Ihre Patrouillen hatten dafür gesorgt, daß es die Piraterie im großen Stil kaum noch gab, und zwar von Weißwasser im Osten bis zu Lara, einer Stadt der Salerianischen Konföderation am Flußdelta, wo der Vosk und der Olni zusammenströmten.
»Aber ein Topas ist ein Stein«, sagte ich, »eine Art Halbedelstein.«
»Und ein solcher Stein ist das Symbol des Bündnisses. Einstmals handelte es sich um einen recht ungewöhnlichen Stein, dessen Muster und Farbe den Eindruck erweckten, es handele sich um die Darstellung einer Flußgaleere. Der Stein wurde jedoch in zwei Teile zerbrochen. Auf den Einzelstücken kann man das Schiff nicht sehen, da die Verfärbungen und Einschlüsse bedeutungslos erscheinen. Fügt man die Teile aneinander, ist das Schiff zu erkennen. Das eine Stück befand sich ursprünglich im Besitz von Ragnar Voskjard, dem Anführer der Piraten des Westens, das andere gehörte Policrates, dem Anführer des Ostens. Brauchte einer von ihnen Rat oder Hilfe, schickte er dem anderen sein Stück. Dann vereinten sie ihre Kräfte.«
»Was hat der Topas mit der Voskliga zu tun?«
»Mit der Liga selbst überhaupt nichts«, sagte Caledonius. »Er symbolisiert jetzt ein privates Versprechen zwischen Port Cos und Ar-Station.«
»Aber die Sympathien von Port Cos liegen doch bestimmt bei seinem Mutter-Ubarat«, sagte ich, »und die von Ar-Station bei Ar.«
An dem Pier legten mehrere Galeeren an. Männer mit Schilden sprangen von Bord und liefen zu der dem Innenhafen zugewandten Seite. Cosianer, die versuchten, die Anlegestellen zu erklimmen, würden dort nun auf Hunderte ausgeruhte und bewaffnete Männer stoßen.
»Port Cos und Ar-Station haben auf dem Fluß Rumpf an Rumpf schreckliche, blutige Schlachten gekämpft. Nach dem Endsieg über die Piraten, das war 10.127 C.A., gelangten die Topasstücke in den Besitz von Calliodorus, dem Ersten Kapitän von Port Cos, und Aemilianus, der damals die Marine von Ar-Station befehligte. Sie haben den Schwur untereinander erneut bekräftigt, sozusagen als Kriegskameraden, da Ar verbot, daß Ar-Station Mitglied der Voskliga wurde.«
»Warum denn das?« fragte ich.
»Das weiß ich nicht. Vermutlich hatte Ar die Befürchtung, eine solche Allianz könnte seinen Ansprüchen im Voskbecken schaden.«
Ich nickte. Das machte Sinn. Meine Gedanken waren in die gleiche Richtung gegangen. Der Soldat hatte als Jahr der Schlacht 10.127 C.A. angegeben. Es war nur natürlich, daß er als Bürger von Ar-Station den Kalender von Ar benutzte. Viele Städte haben ihre eigene Zeitrechnung, die auf den Listen ihrer Administratoren oder dergleichen beruht; vielleicht liegt das in ihrer Eitelkeit begründet, vielleicht auch in ihren Traditionen. Daraus folgt allerdings, daß die goreanische Zeitrechnung ein heilloses Wirrwarr darstellt. Nach dem Kalender von Port Kar fand die Schlacht im Jahr acht der Herrschaft des Kapitänrates von Port Kar statt. Fast jedes Jahr schlägt eine kleine Gruppe aus der Kaste der Schriftgelehrten auf dem Jahrmarkt im En’Kara in der Nähe des Sardargebirges eine umfassende Reform der Zeitrechnung vor, aber so vernünftig dieser Vorschlag auch erscheinen mag, erhält er nur selten Unterstützung, nicht einmal von den eigenen Kastenmitgliedern. Das mag darin begründet liegen, daß die Koordination eines solchen Unternehmens genau wie die Darstellung und Bewahrung der Gesetze für gewöhnlich als Vorrecht dieser Kaste betrachtet werden.
»Das ist die Tais«, sagte Caledonius und zeigte auf das Flaggschiff der kleinen Flotte. »Die würde ich überall erkennen!« Die Galeere wurde gerade festgemacht. Ihr Kapitän, der vom Achterdeck Befehle gegeben hatte, stieg nun den Niedergang hinab, vorbei an den beiden Rudergängern. Einen Augenblick später sprang er wie ein gewöhnlicher Matrose über die Reling. Er trug weder einen Hut noch einen Helm. Ein junger Mann folgte ihm. Ich kannte ihn; er hatte damals in der Zitadelle das Audienzgemach verlassen. Sein Name war Marcus, und er gehörte der Kriegerkaste an. Männer jubelten, klopften ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. Sie versuchten sogar, den wehenden Umhang des Kapitäns zu berühren.
»Wo ist Aemilianus?« rief der Kapitän. Sonnenstrahlen fingen sich auf der polierten Oberfläche eines gelbbraunen Steines in seiner erhobenen Hand, der etwa die Größe einer halben Faust besaß. Männer, die ihn erblickten, fingen an zu weinen.
»Das sind doch bestimmt mehr Schiffe, als Port Cos zur Verfügung hat«, murmelte Caledonius.
»Sei still!« zischte Surilius. Seine Vorsicht verblüffte mich.
Mittlerweile waren ungefähr fünfundzwanzig Schiffe in den Hafen eingelaufen, von denen die meisten an den Anlegeplätzen vertäut wurden. Die ersten Frauen und Kinder wurden bereits über Planken an Bord genommen.
Der Kapitän und Marcus bahnten sich einen Weg durch die Menge, bis sie vor Aemilianus standen. Surilius half dem Kommandanten, sich aufzusetzen.
Ich trat ein paar Schritte zurück, damit ich die Szene besser beobachten konnte. Der Kapitän, bei dem es sich wohl um Calliodorus handelte, der vor langer Zeit, als beide noch niederrangige Offiziere gewesen waren, an Aemilianus’ Seite auf dem Fluß gekämpft hatte, kniete neben ihm nieder. Er drückte ihm den mitgebrachten Stein in die Hand. Aemilianus hielt ihn mit Tränen in den Augen fest. Calliodorus griff nun unter die Tunika und holte einen ähnlichen Stein hervor. Dann führte er beide Steine zusammen, wobei er Aemilianus’ Hand stützte, da dieser den Topas kaum halten konnte. Es war verblüffend, wie auf der Oberfläche beider Steine das Bild einer Galeere erschien.
Ein Soldat, der neben mir stand, brach in Tränen aus.
Eine blonde, abgemagerte, in Lumpen gekleidete Sklavin wagte es, zwischen den Beinen der freien Männer vorbeizukriechen, bis sie Aemilianus erreicht hatte. Sie berührte sein Bein. Auch sie weinte. Ich erkannte sie wieder, es war Shirley aus dem Audienzsaal der Zitadelle.
Calliodorus legte Aemilianus’ Hände um den Stein und umschloß sie seinerseits mit seinen Händen. Nun berührten sie beide die geeinter Hälften des Topas. »Ich habe den Schwur erfüllt!«
»Ich danke dir, Kommandant«, sagte Aemilianus leise.
»Nicht der Rede wert, Kommandant«, erwiderte Calliodorus.
Noch immer bestiegen Frauen und Kinder die Galeeren. Vom Kai konnte man Rückzugsfanfaren hören. Die Ruderboote und Flöße im Innenhafen drehten um und zogen sich zurück. Die Flagge von Cos wurde von der Brustwehr eingeholt. Kein einziger Bolzen war abgefeuert worden.
»Ich habe Tage gebraucht, bis ich Port Cos erreichte«, sagte der junge Marcus. »Man hat mich verfolgt. Einmal wurde ich gefangengenommen. Ich konnte entfliehen. Ich reiste nur noch nachts. Ich verbarg mich in den Sümpfen. Es tut mir leid.«
Aemilianus griff mühsam nach seiner Hand. »Du hast Port Cos erreicht.«
»Es dauerte einige Zeit, bis wir die Schiffe ausgerüstet hatten«, sagte Calliodorus. »Es tut mir leid.«
»Solche Vorbereitungen brauchen ihre Zeit«, sagte Aemilianus.
»Es gab keine Probleme, genügend Mannschaftsmitglieder zu finden«, fuhr Calliodorus fort. »Es gab unzählige Freiwillige. Tatsächlich ist hier kein Mann, der nicht ein Freiwilliger war. Wir mußten sogar Männer abweisen. Die meisten der Matrosen haben mit uns gegen Policrates und Voskjard gekämpft.«
Aemilianus lächelte. »Gut.«
»Wir, die wir so weit im Westen leben, hatten nicht erkannt, daß eure Lage so verzweifelt war.«
Das war bemerkenswert. Soweit ich herausgefunden hatte, befand sich Ars Heer irgendwo im Westen, südlich des Flusses. Ich hätte jede Wette abgeschlossen, daß keiner seiner Soldaten besser über die Lage Bescheid wußte als die Bürger von Port Cos.
»Wie viele Schiffe hast du mitgebracht?« wollte Aemilianus wissen; es war die Frage eines Kommandanten.