»Und was schulden wir Ar jetzt noch, das uns im Stich gelassen hat, die wir in Ungnade gefallen sind, dessen Heimstein man anspuckt, die man zu Renegaten erklärt hat?«
»Wir schulden Ar nichts«, sagte Marcus bitter. »Aber ich würde es trotzdem gern warnen.«
»Das würde ich auch«, sagte Aemilianus und lächelte. »Das würde ich auch. Aber wovor genau sollte man Ar warnen?«
»Und an wen würdest du dich wenden?« fragte ich.
»Wir wissen nicht genau, was geschehen wird«, sagte Aemilianus. »Im Augenblick haben wir kaum mehr als einen Verdacht.«
»Ar wird die Cosianer im Norden vernichten, und dann die im Süden«, sagte Marcus.
Der Kommandant nickte. »Davon ist auszugehen.«
»Dann bleibt uns nichts, was wir tun könnten«, sagte der junge Krieger bedächtig.
»Im Augenblick nicht.«
Mittlerweile befanden wir uns innerhalb des Hafens von Port Cos. Die mit Menschen vollgestopften Piere waren noch dreihundert Meter entfernt. Musik erscholl. Wimpel wurden geschwenkt. Der Pharos auf seiner Mole lag nun hinter uns, auf der Backbordseite, etwa einen Pasang entfernt. Die Flottille mit ihrer Beflaggung bot einen großartigen Anblick.
»Belaste dich jetzt nicht mit solchen Problemen«, sagte Aemilianus zu dem jungen Krieger. »Freu dich. Wir sind sicher in Port Cos eingetroffen.«
An Bord der Tais ertönten Trommeln und Flöten. Die Galeere legte unter dem Jubel der Bürger an. Aemilianus begab sich gestützt von dem treuen Surilius auf das Hauptdeck, wobei er gelegentlich stehenblieb und der Menge zuwinkte. Calliodorus hatte das Heckkastell verlassen und wartete auf seinen Freund. Aemilianus, der Kommandant von Ar-Station, sollte wohl der erste sein, der von Bord ging. Ein paar der Männer, darunter auch Marcus und ich, blieben auf dem Vorderdeck stehen. Ein paar Augenblicke später schritt Aemilianus ohne Hilfe über die Planke, begleitet von Trommeln und Flöten und dem Jubel; er war offensichtlich noch sehr schwach. Hinter ihm kamen Calliodorus und Surilius. Am Fuß der Planke wurden sie bereits von einigen Bürgern erwartet, die als Zeichen ihrer offiziellen Ämter Medaillons auf der Brust trugen.
Nach den Ehrenmännern gingen die Flüchtlinge von Ar-Station von Bord; wenige drückten die winzigen Bündel mit geretteten Habseligkeiten fest an sich. Einige ihrer anderen Besitztümer folgten ihnen eingeschüchtert auf den nackten Füßen. Viele Einheimische verfolgten die Prozession aus Offiziellen und Offizieren, Flüchtlingen und Sklaven von dem Pier aus. Ruder wurden eingeholt. Dann luden sich die Matrosen und Ruderer Waffen und Seesäcke auf die Schultern, um sich auf ihren verdienten Landgang zu begeben. Überall kam es zu oftmals demonstrativen Zusammenkünften, wenn sich Familienangehörige, Liebende oder Herren und Sklavinnen in die Arme fielen.
Marcus hatte keinen Blick für die Stadt übrig, die sich hinter dem Hafen erhob. Er schien seine Aufmerksamkeit auf den Hafeneingang gerichtet zu haben.
»Du scheinst es nicht eilig zu haben, Port Cos zu sehen«, wandte ich mich an ihn.
Er starrte stur geradeaus. »Was glaubst du, wo befindet sich das Heer von Ar?«
»Südlich des Flusses, irgendwo im Osten.«
»Das Belagerungsheer wird es niemals schaffen, zwischen ihm und dem Fluß hindurchzuschlüpfen.«
»Schon möglich.«
»Es wäre unmöglich.«
»Vielleicht.« Ich betrachtete den Pharos. Wie man sagte, konnte man in der Nacht sein Licht pasangweit sehen, im Osten wie im Westen.
»Woran denkst du?«
Marcus schüttelte den Kopf. »An Vergeltung«, sagte er bitter. »Und an Treue.«
»Eine seltsame Mischung«, bemerkte ich. Dann drehte ich mich um, um zuzusehen, wie man Publia und Claudia von Bord brachte, nackt, aneinandergekettet, die Hände auf den Rücken gefesselt. Für sie begann nun ein neues Leben.
»Ich bin so wütend«, sagte Marcus mehr zu sich selbst als zu mir.
»Warum?«
»Es gibt viele Dinge, die ich nicht verstehe.«
»Es gibt viele Dinge, die keiner von uns versteht.«
»Ich bin verbittert.«
»Weil der Krieg mehr ist als wehende Helmbüsche und Sonne, die sich auf versilberten Schilden spiegelt?« wiederholte ich Aemilianus’ Worte.
»Vielleicht«, sagte Marcus.
Ich blickte zum Pier hinüber. Drei Sklavinnen standen dort, zwei davon barbusig.
»Verscheuche die düsteren Gedanken«, sagte ich. »Du bist sicher in Port Cos eingetroffen. Freu dich. Sieh dir die Stadt an. Begleite mich, wenn du Lust hast, iß mit mir. Laß uns sehen, was Port Cos an Sklavinnen zu bieten hat. Die Stadt hat in dieser Beziehung einen guten Ruf.«
»Ich danke dir«, erwiderte er. »Aber bitte geh ohne mich.«
»Du bist ein Held und ein Krieger«, sagte ich. »Du hättest doch sicher nichts dagegen, eine sinnliche, schöne Frau in den Arm zu nehmen.«
»Alles, woran ich im Augenblick denken kann, ist Verrat, Blut und Haß, ich bin zornig und verwirrt«, sagte Marcus. »Mir steht nicht der Sinn nach den mit Glöckchen geschmückten, parfümierten Leibern von Sklavinnen.«
»Es ist schwer vorstellbar, daß du sie nicht gern tanzen sehen würdest.«
»Ich denke im Augenblick an weniger angenehme Dinge.«
»Einige dieser hübschen, kurvigen Mädchen mit ihren Kragen würden dich vor Vergnügen aufschreien lassen.«
Er schwieg und starrte nach Osten.
»Es ist schwer, Ideale zu verlieren«, sagte ich. »Aber manchmal kann man sie durch Taten zurückgewinnen, wenn auch in neuer Form.« Ich erinnerte mich an das Voskdelta, an Torvaldsland.
Marcus schwieg.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich.
»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte er.
Ich ging zurück zu der Stelle auf dem Hauptdeck, wo ich meinen Seesack verstaut hatte; ich hatte den Matrosen ein Rasiermesser und ähnliche Kleinigkeiten abgekauft. Das Schwert ruhte auf der anderen Schulter. Ich winkte dem Decksoffizier zu und verließ die Tais.
Ich hatte den Pier noch nicht betreten, als die drei Mädchen ankamen und vor mir niederknieten.
»Komm ins Dina!« sagte die erste Sklavin. »Alle unsere Mädchen sind Dinas!« Sie schob die Tunika hoch und entblößte das Brandzeichen auf dem linken Oberschenkel. Die Dina ist eine kleine, rosenähnliche Blume, die man im Volksmund auch ›Sklavenblume‹ nennt. Das Dinabrandzeichen ist auf Gor weit verbreitet.
»Komm ins Veminium!« sagte die zweite Sklavin. Die Veminium ist eine zarte, fünfblättrige blaue Blume, die man sowohl in der nördlichen wie auch der südlichen Hemisphäre findet. »Wir sind viel preiswerter!« Eine Taverne nach einer Veminium zu benennen, sollte die Gäste wohl an erschwingliche Schönheit denken lassen, da die Blume so weit verbreitet ist. Das zweite und das dritte Mädchen waren diejenigen mit den nackten Oberkörpern.
»Die Taverne meines Herren ist das Larma!« sagte die dritte Sklavin.
Ich lächelte. Die Larma ist köstlich. Sie hat zwar eine ziemlich harte Schale, die sich jedoch leicht zerbrechen läßt. Die fleischige Frucht im Inneren ist köstlich und sehr saftig. Wenn gelegentlich eine Frau als ›Larma‹ bezeichnet wird, will man damit andeuten, daß sich hinter ihrer kalten und abweisenden Art ein ganz anderes, süßes und verletzliches Wesen verbirgt.
»Sind alle Paga-Tavernen von Port Cos nach Blumen oder Früchten benannt?« fragte ich.
»Nein!« lachte die erste Sklavin.
»Aber bestimmt gibt es da eine Verbindung, sei es durch den Besitzer oder die Tradition?«
»In vielen Städten gibt es Tavernen, die Dina heißen, Herr.«
»Das ist wahr«, mußte ich ihr zugestehen.
»Veminium ist ein hübscher Name«, sagte die zweite Sklavin.
»Stimmt«, sagte ich. »Übrigens, was soll der Name bedeuten? Soll das heißen, daß alle Mädchen dort wie die Veminium billig und hübsch sind?«
Das Mädchen aus dem Veminium keuchte auf, mußte lachen und legte die Hand vor den Mund. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Der Gedanke ist mir noch nie gekommen! Vielleicht, Herr!«