»Es gibt nur wenig Neues.«
»Und was ist das Alte?«
»Woher kommst du?« fragte er.
»Aus dem Süden.« Es ging den Burschen nichts an, daß ich aus Ar kam.
»Ich habe bloß gehört, daß die Cosianer Ar-Station eingeschlossen haben, an drei Seiten von Land. Sie haben den Hafen versperrt, und zwar mit einem Wall aus zusammengeketteten Flößen.«
»Sind die Mauern gestürmt worden?«
»Mehrere Male sogar, aber die Verteidiger haben es stets geschafft, die geschlagenen Breschen zu halten und die Mauer zu reparieren.«
Ich nickte. Bei solchen Gelegenheiten kommt es zu erbitterten Kämpfen. Das gilt auch für den Straßenkampf. »Soweit dir also bekannt ist, halten die Cosianer keinen Teil der Stadt besetzt.«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Wie viele Männer sind in den Kampf verwickelt, und wer wird deiner Meinung nach gewinnen?«
»Du bist derjenige, der das Scharlachrot trägt«, sagte er. »Ich bin bloß ein Türsteher.«
»Du hast doch sicherlich einiges gehört«, sagte ich. Ich steckte das Messer wieder ein. Ich spürte, daß ich den Burschen damit unruhig machte.
»Ich habe gehört, daß vor Ar-Station Tausende von Cosianern, ihren Hilfstruppen und ihren Söldnern stehen«, sagte er. »Wenn das stimmt, müssen sie den Männern von Ar-Station zehn zu eins überlegen sein.«
»Ausrüstung, Vorräte?«
»Sie haben Belagerungsgerät von Brundisium mitgebracht. Die Stadt ist auch die Quelle ihrer Vorräte, nehme ich an.«
Das ergab einen Sinn. Doch wenn dem so war, warum hatten Ars Tarnkämpfer keinen Versuch unternommen, diese Nachschubwege zu unterbrechen? Falls das geschehen war, hatte ich jedenfalls nichts davon gehört.
»Will man den Berichten Glauben schenken, waren die Kämpfe vor Ar-Station langwierig und verbissen. Die Mauern werden von Soldaten und Bürgern gleichermaßen verteidigt. Ich glaube, die Cosianer haben mit keinem derartigen Widerstand gerechnet.«
Das glaubte ich auch nicht.
»Du gehörst der roten Kaste an«, sagte er. »Warum ist Cos an Ar-Station interessiert?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher«, sagte ich. »Es könnte verschiedene Gründe haben, und einige davon scheinen offensichtlich. Wie du weißt, rührt ein Teil der Spannungen zwischen Ar und Cos von der wirtschaftlichen Konkurrenz im Voskbecken her. Die Eroberung von Ar-Station würde auf einen Streich den wichtigsten Pfeiler von Ars Macht in dieser Gegend vernichten und einen Keil zwischen die Salerianische Konföderation und die Voskliga treiben.«
Dank ihres gegenseitigen Mißtrauens unterhielten Ar, Cos und die Salerianische Konföderation normalerweise enge Beziehungen zueinander, und die Voskliga, ein Bund von Städten entlang des Vosk, der ursprünglich wie die Salerianische Konföderation am Olni gegründet worden war, um die Flußpiraten in Schach zu halten, war zumindest theoretisch von Ar und Cos unabhängig. Ich sage theoretisch, da eine der Gründungsstädte der Liga Port Cos ist, das, obwohl es eine souveräne Polis ist, ursprünglich von Cosianern gegründet und besiedelt wurde. Wäre Ar am Vosk aus dem Weg, würde es zweifellos sehr schnell Spannungen zwischen Cos und der Salerianischen Konföderation geben, vielleicht auch zwischen Cos und der Voskliga, und zwar aus denselben Gründen wie zuvor zwischen Cos und Ar.
Victoria, Tafa und Fina sind bekannte Städte der Voskliga. Die westlichste Stadt der Liga ist Turmus am Delta des Flusses. Die östlichste ist Weißwasser. Einige der dem Bund angehörigen Städte befinden sich östlich von Ar-Station, wie zum Beispiel Waldhafen, Iskander, Tancreds Furt und natürlich das eben bereits erwähnte Weißwasser. Obwohl Ar-Station offenbar aktiv an dem Kampf gegen die Flußpiraten beteiligt ist, hat es sich niemals der Liga angeschlossen. Der Grund dafür ist vermutlich im Einfluß von Ar zu suchen, das seine ausgedehnten Gebietsansprüche in der Region durch die Mitgliedschaft in einem solchen Bündnis ausgesprochen untergraben und bedroht gesehen hätte.
Das Hauptquartier der Liga befindet sich in Victoria. Vermutlich hat das besondere historische Gründe, da die Stadt nicht unmittelbar am Vosk liegt, sondern im Westen, in einer Gegend, die traditionellerweise eher dem cosischen Einflußbereich unterliegt. Demzufolge war die geographische Position – zumindest, was eine wünschenswerte ungefähre Mitte zwischen dem Delta und dem Olni betrifft – anscheinend nicht die wichtigste Bedingung für den Standort des Hauptquartiers der Liga. Wäre das der Fall gewesen, hätte man eher erwartet, es beispielsweise in Jasmine oder Siba vorzufinden, Städte von wesentlich zentralerer Lage.
»Ich habe gehört«, sagte der Mann, »daß sich schon vor Wochen in Ar ein großes Heer in Marsch gesetzt hat, das Ar-Station zu Hilfe kommen soll.«
»Das habe ich auch gehört«, sagte ich. Ich wußte, daß das der Wahrheit entsprach. Ich wußte auch, daß Ar mit diesem Entsatzheer unerklärlicherweise – jedenfalls meiner Meinung nach – fast seine gesamten Streitkräfte in Marsch gesetzt hatte, und das, obwohl die Cosianer gar nicht im Norden standen, sondern vor Torcodino. Ich hielt dies für einen taktischen Fehler von beinahe unglaublichem Ausmaß. Es war erst wenige Wochen her, daß ich mich in Torcodino aufgehalten hatte; ich war da gewesen, als Dietrich von Tarnburg mit nur ein paar tausend Söldnern in einem wagemutigen Vorstoß die Stadt eroberte, die als cosisches Depot und Ausgangsort für den Vormarsch nach Osten diente und in der Belagerungsgerät und Nachschub gelagert worden waren. Sie hatten die Stadt durch Aquädukte betreten, buchstäblich über die Köpfe der ahnungslosen cosischen Armee hinweg, die im Umkreis der Stadt kampierte. Diese Tat hatte die Invasion zum Erliegen gebracht. Ich erwartete, daß Dietrich es schaffen würde, Torcodino den Winter über zu halten, aber nicht länger. Ich hatte für Dietrich Briefe nach Ar transportiert, die sich mit diesem Problem beschäftigten.
In dieser Zeit der Intrigen und um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, hatte Gnieus Lelius, der Hohe Berater und Erste Minister von Ar, der in Abwesenheit von Ubar Marlenus die Stadt als Regent regierte, mich von Soldaten in den Zentralzylinder bringen lassen; als wäre ich verhaftet worden, um mich irgendeiner Anklage zu stellen. Dort hatte ich dann lange persönlich mit dem Regenten gesprochen. Ich hatte ihn gedrängt, nach Torcodino zu marschieren, um das Gros des cosischen Heeres anzugreifen. Aber Ars Soldaten waren nicht zurückgerufen und nach Torcodino umgeleitet worden. Sie waren weiter nach Norden marschiert, als läge die Hauptgefahr bei Ar-Station. Das war Wahnsinn oder zumindest unverständlich, da es meiner Meinung nach Ar und sein Herzland den Cosianern auslieferte. Außerdem schien es den Erfolg der kühnen Tat Dietrichs zunichte zu machen, der den Vormarsch des Feindes aufgehalten und Ar die Zeit verschafft hatte, Gegenmaßnahmen zu planen, die Waffen aufzunehmen und zu marschieren. Ar ließ die Cosianer in Torcodino unbehelligt. Es war nach Norden marschiert, vermutlich um Ar-Station zu entsetzen. Gnieus Lelius hatte mir nachdenklich und geduldig zugehört. Aber allem Anschein nach vertraute er dem Urteil seiner Offiziere. Danach hatte ich Wochen in Ar festgesessen, ein Gast im Zentralzylinder, der unablässig wartete. Schließlich übergab man mir einen versiegelten Brief für den befehlshabenden Kommandanten von Ar-Station, einen Mann namens Aemilianus. Das war alles. Noch in derselben Nacht war ich auf dem Rücken eines Tarns nach Norden aufgebrochen. Ich hatte den Tarn erst vor zwei Tagen verkauft, um zu Fuß weiterzugehen. Am Himmel hatte es von Patrouillen nur so gewimmelt. Ich war davon überzeugt gewesen, daß es, je weiter ich nach Norden kam, nur noch schlimmer werden würde. Vermutlich stiegen meine Aussichten, Aemilianus die Botschaft, deren Inhalt mir unbekannt war, erfolgreich zu übergeben, wenn sie nicht von einem Tarnsmann transportiert wurde, sondern von einem auf der Straße Reisenden, der zwischen den Söldnern und Zivilisten nicht weiter auffiel. Diese Überlegung wurde zusätzlich von der Tatsache gestützt, daß Ar-Station überall Tarndrähte gespannt hatte und der Himmel über der Stadt zur Zeit von Cos kontrolliert wurde.