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»Aber ein solches Heer ist bis jetzt noch nicht hier vorbeigekommen«, sagte der Mann.

»Ich weiß auch nicht, wo es ist.« Ich hatte im Süden in Herbergen übernachtet, an denen das Heer vorbeimarschiert war, wobei es jeweils fünf Tage zwischen zwei bestimmten Punkten benötigt hatte. Als ich nach Norden reiste, war ich in Herbergen eingekehrt, die sich entweder an oder zumindest in der Nähe der Viktel Aria befanden, doch hier hatte niemand die Soldaten gesehen. Anscheinend hatte das Heer die Viktel Aria irgendwo nördlich von Venna verlassen.

»Es kann nicht einfach verschwunden sein.«

»Für uns mag das ein Geheimnis sein«, sagte ich, »aber denjenigen, die über die richtigen Informationskanäle verfügen, wird die Position des Heeres gut bekannt sein.« Selbst südlich von Venna war ich auf Flüchtlinge aus Ar-Station und Umgebung gestoßen. Einige hatten mir erzählt, daß sie aus der Ferne ein vorbeiziehendes Heer gesehen hatten. Mir war sogar von Männern und Frauen berichtet worden, die ihm nach Norden gefolgt waren, als wären sie von seinem Sieg überzeugt und kehrten darum nach Hause zurück. Am meisten Kopfzerbrechen bereitete mir dabei die Tatsache, daß die Viktel Aria für Hunderte von Pasang die direkte Route nach Ar-Station und damit zum Fluß darstellte.

Es war eine Militärstraße, die von Militäringenieuren als Militärroute geplant worden war. Sie führte in fast gerader Linie von Ar zum Vosk. Sie machte nur wenige Konzessionen an Städte oder Gemeinden. In erster Linie war sie als eine verläßliche, beinahe unzerstörbare Straße geschaffen worden, auf der Männer unter Waffen schnell transportiert werden konnten. Doch warum hatte das Heer aus Ar sie dann verlassen auf seinem angeblichen Marsch nach Ar-Station, wo es den Belagerten zu Hilfe eilen sollte? Von allen Hypothesen hielt ich die für am wahrscheinlichsten, daß das Heer nicht nach Ar-Station unterwegs war, sondern auf Brundisium zuhielt, wo die Cosianer vor Monaten gelandet waren. Das bedeutete, daß man entweder Ar-Station in diesem grausamen Spiel opfern wollte oder daß Ars Generäle der Überzeugung waren, ein Angriff auf Brundisium werde die Belagerung von Ar-Station beenden, da die Cosianer möglicherweise verleitet wurden, sich von dort zurückzuziehen, um Brundisium zu schützen. Ein solcher Zug würde natürlich den Hauptteil der cosischen Streitmacht isolieren, sie der Unterstützung aus Cos und Tyros berauben und sie von ihren Truppen vor Ar-Station berauben. Ich bezweifelte keinen Augenblick lang, daß die militärische Macht, die Ar im Norden versammelt hatte – wenn sich das Heer tatsächlich dort befand –, ausreichte, um Brundisium zu erobern. Die Bedenken gegen diese Strategie lagen natürlich auf der Hand. Ars Bastion am Vosk, Ar-Station, wurde als entbehrlich behandelt, was es natürlich nicht war, wenn Ar seine Macht im Voskbecken behalten wollte. Selbst wenn Brundisium fallen sollte, wäre dies für Cos kaum eine Katastrophe. Aller Voraussicht nach würden die Cosianer durchaus dazu fähig sein, sich einen anderen Hafen zu suchen, über den sie ihre Nachschubund Kommunikationslinien geöffnet hielten. Außerdem fehlten Ar die Möglichkeiten, aus der Eroberung von Brundisium weiteren Nutzen zu ziehen, indem es die Küste sperrte oder den Versuch unternahm, eine Invasion von Cos in Angriff zu nehmen, da es über keine nennenswerte Marine verfügte.

Der schwerstwiegende Einwand bestand natürlich darin, daß diese Taktik die Stadt Ar für das cosische Invasionsheer angreifbar machte, das zur Zeit vor Torcodino lag. Es hatte fast den Anschein, als seien die Generäle Ars bereit, Ar gegen einen Hafen einzutauschen, der, wenn man es genau nahm, nicht einmal Cos gehörte. Und sollte es tatsächlich der Wahrheit entsprechen, daß Ar auf Brundisium zu marschierte, so hatte ich bemerkenswerterweise noch nichts davon gehört. Zog man die typische Marschgeschwindigkeit eines Heeres in Betracht, hätte Ars Entsatzheer nicht nur längst vor Ar-Stations Toren stehen müssen, sondern auch Brundisium erreichen können, das viel weiter entfernt lag.

Ich wußte nicht, wo sich Ars Heer aufhielt. Ich stand einem Geheimnis gegenüber, zumindest soweit es meine beschränkten Informationen betraf. Vielleicht plante es ja aus irgendeinem unerfindlichen Grund, Ar-Station aus dem Westen zu Hilfe zu kommen, um sich so zwischen die cosische Belagerungsstreitmacht und ihre voraussichtlichen Fluchtrouten zu setzen, die entweder westsüdwestlich nach Brundisium oder mehr südwestlich nach Torcodino führten. Falls dies der Fall war, hätten wir aber mittlerweile etwas hören müssen, was diese Annahme untermauerte. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, hätten die Soldaten aus Ar mittlerweile an der Westflanke der Cosianer aufmarschieren müssen.

»Ich fürchte um Ar-Station«, sagte der Türsteher.

»Warum?«

»Ich glaube nicht, daß es noch lange standhalten kann«, meinte er. »Die Angreifer sind zahlreich. Die Verteidiger wurden dezimiert. Jeden Tag werden neue Breschen in die Mauer geschlagen. An einigen Stellen wurde sie unterminiert. In der Stadt ist es zu Bränden gekommen, verursacht von Saboteuren, brennenden Speeren und Feuerkörben, die man über die Mauern katapultierte. Die Stadt hungert. Wenn Ar nicht bald den Belagerungsring sprengt, wird sie sich wohl ergeben müssen.«

»Ich verstehe.«

»Der Kampf, an dem sich die Zivilisten beteiligen, war lang und verbissen. Die Männer aus Cos haben damit nicht gerechnet. Sie haben schwere Verluste erlitten. Sie werden nicht erfreut sein.«

Ich nickte.

»Ich wäre ungern in der Stadt, wenn die Tore nachgeben.«

»Es ist spät.«

Er öffnete die Tür des Innentors. »Der Tisch des Verwalters und der Pagaraum befinden sich im rechten Gebäude«, sagte er.

Ich blickte durch die Tür auf den Hof der Herberge. Ich war bis auf die Haut durchnäßt. Der Regen hatte nicht nachgelassen. In dem überdachten hüttenähnlichen Durchgang zwischen den Toren war es wenigstens trocken. Mit Ausnahme von einigen Nebengebäuden war die Herberge aus stabilen Holzstämmen erbaut; sie bestand aus zwei Gebäuden, die mit einem durchgehenden Spitzdach verbunden waren. Der freie Platz dazwischen diente als Durchgang. Jedes Gebäude wies drei oder vier Etagen auf, die vermutlich mit Leitern verbunden waren. Die Entfernung zwischen dem Innentor und dem Durchgang betrug etwa dreißig Meter. Der Boden des Hofes bestand hauptsächlich aus dem bearbeiteten, begradigten Felsgestein des Plateaus. Man hatte schmale Abflußrinnen hineingeschlagen. Dadurch wurde das Wasser unter der Palisade durch in den Graben abgeleitet. Der Regen floß auch von dem mindestens sechzig Meter langen Dach der Herberge und prasselte zwölf Meter tief in den Hof.

Ich drückte dem Mann noch ein Tarskstück in die Hand. »Vielen Dank, Herr«, sagte er. Er hatte sich bemüht, hilfsbereit zu sein, obwohl ich zugegebenermaßen nur wenig erfahren hatte, das ich nicht schon zuvor gewußt hatte. Zumindest wußte ich nun, daß sich die Belagerung von Ar-Station einem kritischen Punkt näherte. Ich nahm das Bündel, schob den Umhang über den Kopf und ging los, um in dem kalten Regen den Hof zu überqueren. Hinter mir krachte die Tür ins Schloß, dann wurde der Riegel vorgeschoben. Ich eilte auf das Gebäude zu, das mir am nächsten stand. Dort hatte etwas meine Neugier erregt. Ich betrachtete sie kurz, wie sie dort hockten, dem strömenden Regen ausgesetzt, dann ging ich einmal um das Gebäude herum. Ich wollte sie mir später genauer ansehen. Aber zuerst wollte ich auf Erkundungstour gehen. Daran war vermutlich meine Ausbildung zum Krieger schuld.

Ich sah nur mehrere der kleineren Gebäude und Hütten an, ihren Standort und welche Deckung und Möglichkeiten sie boten. Es gab Ställe für Tharlarion und Hallen, in denen man Wagen untergestellt hatte. Auf der Plattform eines hohen Turms gab es ein Tarnfeuer, das nicht entzündet war. Ich fand auch das Tarntor, aber es war geschlossen; zwischen seinen Pfosten war Tarndraht gespannt, und ich war davon überzeugt, daß er auf dem ganzen Gelände zu finden war (man hatte ihn sicher vom Dach der Herberge bis zur Palisade gespannt). Im Tarnstall hielt sich zur Zeit nur ein Tarn auf. Ich schloß aus dem Zustand des Vogels und seiner offensichtlichen Wachsamkeit und Wildheit, daß es sich um einen Kampfvogel handelte. Das war allerdings auch der einzige Hinweis, der meine Vermutung bestätigte; es gab keine mit Wappen verzierte Satteldecke, keine Insignien, das Sattelgeschirr wies keinen eindeutigen Stil auf. Ich sah mich weiter um, konnte aber keine Soldatenunterkünfte und erst recht keine Garnison entdecken. Es fehlten sogar Berufswächter, obwohl es zweifellos ein oder zwei stämmige Burschen für Notfälle gab. Ich kehrte zum Haupthaus zurück, das zahlreiche schmale Schießscharten aufwies. Durch die Bauweise waren so etwas wie zwei Festungstürme entstanden, die notfalls verteidigt werden konnten. Die Entscheidung diktierte im Einzelfall vermutlich die Anzahl der möglichen Verteidiger. Ich nahm an, daß ein schmaler, mühelos abzuriegelnder unterirdischer Gang, der aus dem Fels gegraben worden war, beide Herbergsflügel miteinander verband. Dieser führte bestimmt unter dem überdachten Durchgang entlang. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme ist es alles andere als leicht, solche Gebäude in Brand zu stecken. Das liegt hauptsächlich an der senkrechten Struktur der Wandoberfläche. Mit der Palisade verhält es sich ähnlich. Der normale Brandpfeil brennt sich normalerweise von selbst aus.