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Theophil zog sich mit einem Stirnrunzeln zurück. »Ich erwarte dich morgen früh um acht Uhr zur ersten Stunde, Henri! Und dich am Nachmittag zur Talmud-Lesung, Ferrand. Und verpulvert eure Streitlust nicht schon vorher!«

Henri blieb unschlüssig mit Ferrand zurück. Er blickte den Franzosen an.

»Was seid Ihr?«, fragte Ferrand plötzlich. »Ein wirklicher Scholar? Oder habt Ihr andere Motive?«

»Auch Ihr fragt unverblümt, Ferrand!«

»Mich interessieren die Mysterien, mein Freund. Und Euch? Seid Ihr auch versessen darauf, in die Geheimnisse dieser Juden eingeweiht zu werden, wie? In das Labyrinth der Dämonen, in die Herrschaft dieser… dieser Hexenretorte von Begriffen? In die Masse der Prophezeiungen, aus denen die Juden schöpfen? Ich will alles wissen!«

»Verzeiht, was Ihr sagt, klingt unfreundlich. Meine Erwartungen sind erheblich… freundschaftlicher.«

»Wenn ich eines gelernt habe, dann dies, mein Freund – die Juden sind unser Untergang. Und warum? Die Juden können das in alle Ewigkeit gültige Opfer Christi, dass jeder dank der Taufe der Gnade teilhaftig werde, nicht begreifen. Sie distanzieren sich ständig durch ihr Gefühl von uns Christenmenschen. Ständig erhoffen sie einen Wunderbaren, einen Vater ihrer Zukunft. Sie faseln herum…«

»Ich verstehe immer weniger, warum Ihr hier, an der Schule der Juden, seid!«

»Man muss doch seine Feinde – ich meine, seine andersgläubigen Mitmenschen – kennen, nicht wahr?«

»Ihr sprecht plötzlich ungeniert. Vorhin schien es mir so…«

»Vor diesen langen Ohren? Nein, nur vor einem Christenmenschen kann man die Wahrheit sagen.«

»Aber warum seid Ihr hier? Das ist doch ein Widerspruch!«

»Mystik, Mystik, Mystik! Wegen ihrer kalten, abstrakten Mystik, ich sagte es schon! Ich will in ihre Gedanken schlüpfen und alles verstehen, denn nur so kann man sie widerlegen.«

Henri wollte sich nicht gleich in einen Streit mit dem fremden Christen verstricken, aber er fühlte sich genötigt zu sagen: »Wir sollten nicht den feindseligen Weg gehen, sondern den Herzensweg.«

Verdutzt erwiderte Ferrand: »Was meint Ihr damit, Henri?«

»Nun, Spiritualität ist ein wichtiger Bestandteil unseres Glaubens, aber sie darf nicht die anderen christlichen Werte zerstören. Und das sind die wichtigsten – Toleranz, Wohlwollen, Verständnis und Liebe. Spricht doch auch der heilige Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther von Glaube, Hoffnung, Liebe, ›aber die Liebe ist die größte unter ihnen‹. Ich hoffe, das vergisst kein Christenmensch!«

»Den Juden geht es um Dämonen! Um Buchstabenlabyrinthe! Um ein kaltes Gefühl, Recht zu haben, weil die Geister ihrer Väter auf ihrer Seite sind.«

»Lasst die Geister in den höheren Sphären, Ferrand! Wir hier unten auf Erden haben es mit Menschen zu tun. Die Juden sind nicht unsere Feinde. Wir müssen auch mit ihnen zusammen eine bessere Welt bauen. Wir müssen die auseinander strebenden Kräfte von Judentum, Philosophie und Christentum vereinen. Das war jedenfalls das Ideal der Tempelherren. Und auch der anderen geistlichen Orden.«

Ferrand grinste. »Aber müssen wir nicht auch das Denken der Menschen von einem vergänglichen, oberflächlichen Dasein auf das Wesentliche des Lebens lenken? Und gehören dazu nicht auch alle Geheimnisse des Abendlandes, die Philosophie und die Mystik?«

»Ihr habt Recht«, seufzte Henri. »Wir gehen den westlichen, abendländischen Weg. Und das ist einer der Einweihung. Es ist ein christlicher Weg. Aber wie wir uns Gott nähern, wie wir Gott in unserer Seele erstehen lassen, das darf doch nicht den Herzensweg verlassen – wir dürfen uns in diesem Bemühen nicht gegen die Menschen stellen, mit denen wir es in unserer Zeit zu tun haben.«

»Ich bin ausschließlich dem Geist der Evangelien verhaftet.«

»Auch für mich ist ein Weg, der nicht Christus, dem Retter und Versöhner, dem Fleisch gewordenen Wort, treu ist, unvorstellbar.«

»Also warum streiten wir uns dann?«

»Ihr habt Recht. Wir sollten aufhören.«

Mit einem unguten Gefühl verließ Henri das Schulgelände. Ferrand de Tours tauchte im Gewirr der Gänge unter, die zu den Bibliotheken führten. Henri sah ihm nach, wie der blonde Mann mit wiegendem, schwerem Schritt und wehendem Umhang, auf dem französische Lilien prangten, verschwand. Henri nahm sich vor, seine Identität als Templer auf jeden Fall zu hüten. Vorhin war er kurz davor gewesen, sich zu verraten.

Er ging nachdenklich in die Stadt, schweifte ziellos durch die Straßen und betrat eine der vielen Kirchen, um sich ins Gebet zu versenken.

Er wusste auch ohne die Bemerkung des Großmeisters des Santiago-Ordens, dass die Templer in Spanien verfolgt wurden, wenn auch nicht so fanatisch wie in Frankreich. Jedes Mal, wenn er eine Kirche betrat, überfiel ihn deshalb das Gefühl, beobachtet zu werden. Er schämte sich dafür und wollte sich dafür im Gebet rechtfertigen. Er musste mit seinem Glauben im Reinen bleiben. Auch wenn sein geistlicher Vater, Papst Clemens, ihn und seine Tempelbrüder schmählich verraten hatte, so hatte das Henris Liebe zu Jesus Christus und zur Liturgie seiner Kirche nicht beeinträchtigt. Er blieb ein treuer Christ und würde es immer sein. Aber manchmal, dachte er, muss man die Kirche gegen ihre wahren Feinde verteidigen.

Als Henri lange später das Gotteshaus wieder verließ, fühlte er sich gestärkt. Und gerade weil er wieder mit sich und seinem Glauben im Reinen war, freute er sich auf die Lektionen in der Schule. Wenn nur Joshua ben Shimon bald nach Toledo käme!

Henris erster Tag als Student versprach laut zu werden. Am Morgen wurde er in aller Frühe von Ball spielenden Jungen geweckt. Sie schlugen ausdauernd mit der flachen Hand einen kleinen, harten Lederball gegen die Außenmauer des Gasthofes. Das dumpfe »Plopp!« hatte etwas Anklagendes, aber Henri machte sich von diesem Eindruck schnell frei und erhob sich von seinem Lager.

Er hatte bis zum Beginn der Schulstunde noch Zeit, ging in die Stadt und besuchte die Frühmesse. Er war nicht besonders erfreut, dort Ferrand de Tours zu treffen.

Der Franzose lag neben ihm auf den Knien, aber noch bevor die Gebete beendet waren, überfiel er Henri erneut mit seinem geflüsterten Gerede über die Juden.

»Sie glauben an einen irdischen Erlöser! Gebückt über die Schriften dieser Kabbala, im Trödlerladen einer zusammenhanglosen Mystik, erwarten sie einen Heiland wie du und ich – einen mit Magenschmerzen und Pickeln im Gesicht. Sie erwarten den Messias, der nichts anderes tun soll, als ihre unwürdigen, sündigen Leiber aus dem Ghetto und von allen Ausnahmesteuern, die sie zu zahlen haben, zu befreien!«

»Und – ist das nicht verständlich?«, gab Henri unwillig zurück. »In Frankreich hat man sie schmählich vertrieben.«

»Schmählich vertrieben? Ihr wisst nicht, was Ihr sagt, Henri! Ich schreibe diese Annahme Eurer Unwissenheit zu. Sie haben Christenmenschen verspottet, Brunnen vergiftet, Kinder geschändet und ermordet! Sie sind an allen Seuchen schuld, denn sie verkehren mit Tieren!«

»Ferrand! Das glaubt Ihr selbst nicht!«

»Lest die ins Kastilische übersetzte Hebräergeißel des Josua de Lorca! Er weist den Juden ihre Perfidie nach und fordert sie auf, die Wand, die sie von uns trennt, zu durchstoßen, um endlich Menschen zu werden. Er hat bereits fünftausend Juden zur Taufe veranlasst!«

»Ich komme allmählich zu dem Schluss, dass Ihr ein Judenhasser seid, Ferrand.«

»Hört einmal! Obwohl ihre Rabbanen vor Propheten warnen – das gebe ich zu –, trotzdem ihr Talmud keine Extragnade kennt und jeden, der Gott gesprochen haben will, zum Betrüger erklärt, verfallen sie den banalsten Wundermännern. Sie sind wie Kinder oder Schwachsinnige. Der Judaskuss ist ihre höchste kulturelle Leistung!«