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»Ihr seid nicht bei Sinnen, Ferrand«, sagte Joshua betroffen.

»Warum tragt Ihr nicht Euren runden, gelben Filz, das Abzeichen, das Eure Gier nach Goldmünzen ausdrückt!«, giftete Ferrand ihn an. »Warum nicht Euren spitzen Judenhut, der zeigt, dass Ihr Tierhörner habt und dem Satan gehorcht!«

»In Toledo müssen Juden so etwas nicht tragen«, erwiderte Henri anstelle seines Freundes. »Jedenfalls noch nicht. Menschen, wie Ihr es seid, Ferrand, können es anscheinend nicht ertragen, dass wir alle friedlich zusammenleben.«

Ferrand eiferte uneinsichtig weiter. »Allein schon der Kontakt zu Juden führt zum Unglauben, denn sie besitzen satanische Kräfte. Sie sind wie eine Krankheit, sie infizieren alles. Deshalb muss man sie beseitigen, bevor sie uns schaden können! Seht doch nur, wie aus ihrem Talmud die Sätze herauskriechen! Es sind keine Sätze, es sind Würmer, Skorpione, Schlangen! Dies ist kein Buch, es ist die Apotheke des Satans! Darin befinden sich ihre Giftampullen! Aus dem Talmud kann ich jeden ihrer Giftmorde, jeden Verrat, jede Pesterregung beweisen!«

»Dies sind die Anschuldigungen, durch die jahrzehntelang Juden angeklagt, verurteilt und auf den Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Ihr macht Euch der Mithilfe zum Mord schuldig, Ferrand, wenn Ihr solche Anschuldigungen wiederholt und in Toledo unter das Volk bringt.«

Ferrand lachte hässlich. »Aber genau das will ich ja! Ich will, dass der Pöbel sie ergreift und ihrer gerechten Strafe zuführt! Und was ist die gerechte Strafe für einen ungläubigen Juden? Der Tod, der Tod, der Tod!«

»Ihr seid doch ein kluger Mann, Ferrand«, sagte Henri mit mühsamer Beherrschung. »Ihr müsst doch wissen, dass die Juden immer hergehalten haben, um Sündenböcke zu finden. Meistens wollten ihre Ankläger sich nur von den Schulden befreien, die sie bei Juden hatten. Dann wurden die Juden mit ähnlichen Beschuldigungen, wie Ihr sie ausstoßt, beseitigt, die Schuldenkonten getilgt und ihr Besitz gestohlen. Könnt Ihr Euch nicht vorstellen, wie furchtbar es ist, immer am Rand von Gewalttätigkeit und Vertreibung, von Verfolgung und Folter zu leben?«

»Wovon sprecht Ihr, Henri de Roslin? Nicht wir verfolgen die Juden, sie verfolgen uns! Sie sind an allen Seuchen der Vergangenheit schuld, an Pest, Cholera und Aussatz, an denen Tausende von Christenmenschen gestorben sind. Ich habe es Euch schon ein paar Mal gesagt! Und hier in Iberien lebt die zahlreichste Judenschaft ganz Europas! Also ist hier die Gefahr am größten und muss bekämpft werden, wie ich es schon in Frankreich getan habe.«

»Ihr habt in Frankreich an der Vertreibung und Ermordung der Juden mitgewirkt? Jetzt wird mir einiges klar!«

»Ich, Ferrand de Tours, bin der Zorn Gottes! Wie sollte ich an der Säuberung meiner Heimat von den Ungläubigen nicht mitgewirkt haben! Wir haben sie hinausgepeitscht!«

Henri trat nahe an Ferrand heran. »Hier gebe ich Euch das gefälschte Pergament zurück, denn ich bin sicher, Ihr könnt jederzeit andere anfertigen – oder seid schon im Besitz solcher Fälschungen. Aber ich warne Euch! Wenn Ihr von Euren Verleumdungen nicht ablasst, wenn Ihr beabsichtigt, die Menschen in Toledo nach dem Fest der Maria Magdalena aufzuhetzen, dann töte ich Euch! Habt Ihr verstanden? Ich töte Euch!«

Ferrands Antlitz war grau wie Staub geworden. Er wich einen Schritt zurück. »Ihr wagt es, mir zu drohen? Ihr seid doch selbst ein verdammter Jude! Ich wusste es gleich! Ihr werdet der Erste sein, den wir ergreifen! Wir ersäufen Euch in den Brunnen, die Ihr vergiften wollt! Dann erst wird unser Leben wieder lebenswert.«

Joshua fasste Henris Arm. »Komm! Es hat keinen Sinn. Wir hätten wissen müssen, dass er uneinsichtig ist. Lass uns gehen!«

»Vergesst es nicht, Ferrand!«, rief Henri beim Gehen noch einmal. »Kommen Eure gefälschten Anschuldigungen, diese lächerlichen Pergamente in aramäischer Schrift, unters Volk, dann streiche ich Euch mit einem einzigen Schwerthieb aus dem Leben aus. Und dann werdet Ihr auf ewig im Höllenfeuer schmoren, denn Eure Seele ist verderbt und fällt dem Fegefeuer anheim!«

Ferrand erwiderte nichts darauf. Er streckte nur den Finger aus und wies auf die Tür. Die beiden Gefährten machten auf dem Absatz kehrt und verließen das Gebäude. Es war ihnen klar, dass sie Theophil von Speyer und den Oberrabbiner überreden mussten, Ferrand sofort von der Schule zu verweisen.

Als sie Theophil gegenüberstanden, fragte ihn Henri: »Warum habt Ihr Juden Euch nie selbst verteidigt? Ich verstehe es noch, dass Ihr einem Gott die Treue haltet, der Euch schutzlos über die ganze Welt verstreut, der die Verachtung des Weltgesindels auf Euch lenkt, ein Gott, der seine eigenen Tempel und Bücher verbrennen und die Knochen seiner Auserwählten in Mistgruben werfen lässt, der Euch manchmal erhebt, um Euch desto tiefer fallen zu lassen. Ihr glaubt tief an Ihn, obwohl Er Euch selbst das Traumen über Ihn verbietet und Euch kein Bild von sich schenkt. Das alles verstehe ich noch. Aber warum lasst Ihr Euch wie Lämmer zur Schlachtbank führen?«

»Tun wir das? Was meinst du, Joshua ben Shimon?«

Joshua nickte betrübt. »Henri hat Recht. Wir haben uns viel zu selten gewehrt, wenn der Pöbel uns in die Pogrome trieb.«

»Vielleicht liegt es daran«, sagte Theophil, »dass unser Glaube unser Leben in Etappen einteilt, die es zu durchschreiten gilt. Zuerst mussten wir den Auszug aus Ägypten schaffen, mit dem wir die Zeit der Urväter beendeten. Dann fiel Jerusalem, und der jüdische Staat endete, die erste Diaspora über die Randländer des Mittelmeerraumes begann. In Frankreich haben wir die Vertreibung erlebt, die einen Schlussstrich unter die erste große Blüte jüdischer Kultur im Galuth setzte. Wir hatten keine Zeit, uns zu wehren, weil wir immer auf den Anbruch des neuen Zeitalters warteten.«

»Vor allem aber«, meinte Joshua, »sind wir eben eine friedliche Glaubensgemeinschaft, und wir glauben, dass alles in Gottes Hand liegt! Was auch geschieht, es geschieht mit seinem Einverständnis! Wie könnten wir uns also dagegen auflehnen?«

»Das muss nicht so bleiben, Joshua«, sagte Theophil. »Wenn es Ferrand gelingt, Toledo gegen die Judengemeinde aufzuhetzen, dann gibt es einen Bürgerkrieg. Denn wir, die Juderia von Toledo, sind es leid, Opfer zu sein. Wir werden unsere Rechte, die wir mühsam erworben haben, diesmal verteidigen.«

Henri fragte listig: »Könnt Ihr nicht auch Ferrand beseitigen? So, wie Ihr die Ratte beseitigt habt?«

Und Theophil antwortete noch listiger, wobei sich sein gütiges Antlitz in schmunzelnde Falten legte: »Davon kann nicht die Rede sein, mein Sohn! Niemand hat jemanden beseitigt. Aber manchmal verschwinden eben unwürdige Kreaturen auf Nimmerwiedersehen durch Spalten im Erdboden, die sie selbst vorher aufgerissen haben.«

»Theophil, ich bitte Euch, verjagt Ferrand! Habt Ihr genug Einfluss in Toledo? Könnt Ihr dafür sorgen, dass er nie mehr hierher zurückkehrt? Glaubt mir, er ist gefährlich!«

Theophil von Speyer antwortete seufzend: »Hat das nie ein Ende? Also gut, ich verspreche Euch – es geschieht ja in unserem eigenen Interesse –, dass ich meinen Einfluss im Stadtrat geltend mache, um den Fremden loszuwerden. Ich weiß, dass es Staatsbeamte wie den Lizenziaten des kanonischen Rechts, Torquilla, und auch Baccalaurei der Theologie sowie christliche Geistliche im Rat gibt, denen daran gelegen ist, unsere Judengemeinde und die Schule zu erhalten. Auf sie setze ich. Wenn aber der Mob losstürmt, dann gibt es kein Halten mehr.«

»Deshalb handelt schnell. Ihr dürft keine Stunde zögern!«

»Ich gehe morgen zum Großkonnetabel der kastilischen Krone. Auch der Marquis de Villanueva ist ein aufrechter Mann. Wir stehen unter dem Schutz des Königs. Denn wir bezahlen ja, wie du sicher weißt, keinen Kirchenzehnten, sondern führen unsere Steuern unmittelbar an die Krone ab. Wenn uns Gewalt angedroht wird, muss der König handeln.«