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»Wir stärken uns etwas und reiten dann sofort weiter«, schlug Uthman vor.

Joshua blickte die jungen Sarazenen an. Sie nickten nur grimmig.

»Also gut. Wir reiten die Nacht durch. Wenn wir Glück haben, treffen wir innerhalb der nächsten beiden Tage auf den Transport.«

»Vielleicht noch vor der französischen Grenze«, sagte Uthman. »Es scheint mir einfacher zu sein, Henri zu befreien, wenn seine Bewacher nicht mit der französischen Staatsgewalt, die sie schützt, rechnen können.«

»Dann gehen wir jetzt dort hinüber. Eine hübsche junge Kastilierin verkauft gesottene Rinjones vom Lamm mit Pancetta und Montilla.«

Uthman sah aus, als liefe ihm das Wasser im Mund zusammen. Er verdrehte genüsslich die Augen. »Dann schnell zu ihr.«

»Und ich«, warf Joshua humorvoll ein, »halte mich an die Stubenküken in Ingwersoße, die der koschere Händler dort drüben anbietet. Denn ich habe wirklich Hunger, während ihr nur mit der Kastilierin anbändeln wollt.«

Eine Stunde später hatten sie den Staub der Reisewege am Brunnen abgewaschen, gegessen und gesäuerte Ziegenmilch getrunken. Sie führten ihre Pferde am Zügel durch die Menge und schlugen den Weg zum nordöstlichen Stadttor ein.

Die Gefährten ritten die ganze Nacht. Sie rasteten am Morgen kurz vor Sonnenaufgang für zwei Stunden am Fluss Cinca und bestiegen dann erneut ihre Reittiere. Hinter der Stadt Balaguer sahen sie im hellen Sand der ausgetrockneten Ebene zum ersten Mal die Spuren. Vier tief eingesunkene Wagenräder, wobei das hintere links eine Beule haben musste, und Hufabdrücke von zwanzig Reitern. Jetzt wussten die Verfolger, dass sie auf dem richtigen Weg waren.

Und sie spornten ihre müden, aber willigen Tiere zu noch schnellerem Galopp an.

Hinter Zaragoza wurde die Landschaft wieder zerklüftet, aber der Haufen der wilden Männer ritt durch die Schluchten und blieb in der Ebene. Henri nahm bizarre Kalkfelsen und verlassene, in die Felsen hineingebaute Dörfer wahr. Schwärme von Krähen und Raben waren das Einzige, was sich hier in der Hitze bewegte.

Henri hatte Zeit, über alles gründlich nachzudenken.

Er würde die geringste Möglichkeit, die sich ihm bot, zur Flucht nutzen. Aber das wusste auch Ferrand. Dieser hatte ihn bisher zufrieden gelassen. Vielleicht fürchtete der unbeherrschte Franzose seinen eigenen Zorn, mit dem er über Henri herfallen könnte, und er musste ihn ja unversehrt in Avignon abliefern.

Henri sah ihn durch die Ritzen im Karren meist an der Spitze seiner Männer reiten. Nur einmal blieb er weit zurück und verschwand sogar gänzlich aus Henris Blickfeld. Als dieser sich schon überlegte, ob dies nicht der Zeitpunkt war, zu fliehen, und sich fragte, ob er sich ohne Waffen und Geld, die man ihm abgenommen hatte, durchschlagen konnte, tauchte Ferrand de Tours wieder auf. Mehrere Schwerter steckten jetzt in seinem Gürtel.

Henri hatte ausprobiert, ob er seine Stricke durchscheuern konnte. Abends kontrollierten seine Bewacher ihren Sitz und zerrten daran. Er musste es also ganz früh, gleich nach dem Aufbrechen und genau an dem Tag, den er für die Flucht nutzen wollte, versuchen.

Wenn es ihm gelang, in einen reißenden Fluss zu springen, der ihn schnell auf dem Rücken forttrug, konnte die Flucht vielleicht gelingen.

Henri überlegte, welche Flüsse dafür in Frage kamen. Er erinnerte sich an ein Wasser namens Segre, kurz vor der Sierra von Lleida. Der Fluss besaß eine starke Strömung, riss sogar entwurzelte Bäume mit sich. Dort war es gefährlich. Aber wenn die Männer nach Frankreich wollten und die höchsten Pässe der Pyrenäen umgehen mussten, kamen sie durch den Segre. Henri beschloss, es dort zu versuchen.

Am Abend kam Ferrand. Er starrte Henri an, der gefesselt vor dem Karren saß. Henri wusste nicht, was er in dem Blick des Franzosen lesen sollte. Nach einer Weile erhob sich Ferrand wieder und kehrte zum Lagerfeuer zurück. Er überließ Henri den Fußtritten seiner Männer, die sich abreagieren mussten. Aber Henri de Roslin, der schon im Heiligen Land gewesen und in den dortigen Gefängnissen fast noch als Kind weit Schlimmeres erlebt hatte, schloss nur die Augen und ließ in sich eine Kälte entstehen, die ihn wie mit einer unsichtbaren Rüstung schützte.

Er wusste selbst nicht, warum ihm in dieser Lage sein lange zurückliegender Eintritt in den Tempel einfiel.

Er erinnerte sich, dass ein alter Templer, dessen Namen er nicht erfahren hatte, ihn im Auftrag seiner Eltern eingeliefert hatte. Auch seine Mutter hatte ihn bis vor die Mauern des Tempels begleitet. Und er hörte noch immer ihre ständig gemurmelten Worte: »Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind und meinen teuren Sohn haben wollen!«

Die Mutter war am ersten Abend umgekehrt, der alte Templer hatte an die Pforte geklopft – fünf Tage lang. Dann erst hatte man ihnen geöffnet. Er hatte seine Bitte um Henris Aufnahme in den Orden vorgetragen, und der blutjunge Henri hatte die Bitte ergänzen müssen mit den Worten: »Nimm mich auf, Herr, nach deinem Wort, und ich werde leben, lass mich in meiner Hoffnung nicht scheitern.«

Danach hatte man den Novizen in den Gemeinschaftssaal geführt, wo alle Anwesenden diese Worte dreimal wiederholten und ein »Ehre sei dem Vater« hinzugefügt hatten. Dann musste sich Henri jedem Bruder zu Füßen werfen, damit sie alle für ihn beteten. Der Komtur hatte eine Urkunde aus Pergament um seine Hand gewickelt und diese in das Altartuch gelegt. Henri hatte erneut Formeln nachsprechen müssen, und dies auch mit Freude und Bangen getan.

Aber die Sehnsucht nach seinem Zuhause zerriss ihn beinahe.

Er hatte kein Eigentum besessen. Dadurch wurde vorgebeugt, dass der Knabe keine Aussicht besaß, die ihn betören und verderben könne. Und er hatte gewusst, dass er von diesem Tag an nicht einmal mehr das Verfügungsrecht über den eigenen Leib besaß. Seltsamerweise hatte ihn dieser Gedanke nicht erschreckt, sondern tief beruhigt.

Noch im Oratorium hatte man ihm die eigenen Sachen ausgezogen und in die Kutte gesteckt. Seine Kleider wurden in die Kleiderkammer gebracht und aufbewahrt, denn sollte er einmal der Einflüsterung des Teufels nachgeben und den Tempel verlassen, dann musste er die Kutte ausziehen und der Ordensburg in seinen eigenen Sachen den Rücken kehren.

Henri war trotz des Heimwehs und seiner Gedanken an das einzige Mädchen, das er je besessen hatte, freiwillig geblieben. Er hatte Keuschheit, Gehorsam und Opferbereitschaft gelernt.

Was bedeuteten ihm also jetzt die Schikanen seiner Bewacher! Es war nicht mehr als Staub am Huf der Reittiere!

Henri rollte sich unter dem Karren zusammen und versuchte zu schlafen.

Mitten in der Nacht wurden sie angegriffen.

Henri erwachte aus einem unruhigen Dämmern durch das Klirren von Schwertern. Er hörte laute Rufe und wusste sofort, was er davon zu halten hatte.

Mehrere Gestalten hatten sich aus dem Dunkel der Nacht gelöst und waren über die Lagernden hergefallen. Henri wusste nicht, wer die Angreifer waren – ein Trupp seiner Gefährten gewiss nicht, denn die hätten ihm sicher Zeichen gegeben. Und als einer auf ihn zustürzte und ihm eine Pike in den Leib rammen wollte, konnte er sich nur mit Mühe und Not retten. Er rollte sich unter den Karren. Als der Angreifer ihm folgte, sprang auf der anderen Seite einer von Ferrands Männern heran und ließ sein Schwert krachend auf den ungeschützten Kopf des Angreifers niedersausen.

Blut spritzte auf Henri, der sich bemühte, auf die Beine zu kommen. Überall sah er kämpfende Gestalten.