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»Sie sammeln Honig für den Wein, sie nennen ihn Berz, das Zeremonialgetränk der Adligen.« Ali erklärte alles mit stolzer Miene.

Der Händler, den sie schließlich fanden, legte seine Hände auf die Brust und berührte danach seine Lippen mit den Fingern. »Salam Alaikum, es ist Friede mit uns!«

Die Angekommenen gaben den Gruß zurück. Man einigte sich bei einigen Krügen Honigwein. Henri und Uthman bekamen mehrere Reittiere und Packtiere, kleideten sich in die landesübliche Tracht mit langen, weißen Umhängen aus Nesseltuch, wanden sich Turbane um und steckten sich Krummdolche in die Gürtel. Am Ende verkaufte ihnen der Händler noch eine handgezeichnete Landkarte aus Antilopenleder.

»Was ist die Hauptstadt von Äthiopien?«, wollte Henri erneut wissen.

Der Händler zuckte die Schultern.

»Und wo finden wir den Priesterkönig Johannes?«

»Ihr müsst zu den schwarzen Inselreichen an den Quellen des Blauen Nils ziehen. Dort, unter den dicht dahinziehenden Wolken vor dem Mondgebirge, herrscht ein eigenes, gewaltiges und geheimnisvolles Reich, das nicht von dieser Welt ist. Dort findet ihr ihn. Er ist aber kein König, wie ihr Christen ihn kennt. Und er braucht keine Hauptstadt. Er ist… nun, seht selbst, wenn ihr angekommen seid.«

Über dem ganzen Land lag eine eigenartige Stille. Henri dachte während des Reitens bei sich: Wie die Ruhe vor dem Sturm. Aber vor welchem Sturm? Was hatten sie zu erwarten?

Der Weg zu den schwarzen Inselreichen an der Quelle des Blauen Nils war beschwerlich und weit. Abends lagerten sie zu Füßen gewaltiger Berge. Danach änderte sich die Landschaft jedoch dramatisch. Nach grasbewachsenen Hügelkuppen folgten rissige Berge mit wilden Taleinschnitten, auf deren Grund weiße Stromschnellen tobten. Am Ende des kommenden Tages erreichten sie eine Zickzackschlucht, erblickten einen breiten Strom und darüber einen so gewaltigen Wasserfall, dass sie ihren Augen nicht trauten. Der Fluss hing wie eine weiße Wand aus kochender Gischt direkt vor ihnen, er stürzte donnernd Felswände hinunter, die Sonne verschwand im Nebel der Wassermassen.

»Das wüste Land ist zu Ende«, meinte Henri. »Hier scheint die Welt in zwei Hälften geteilt.«

»Die richtige Stelle für deinen Priesterkönig«, orakelte Uthman. Hierhin also waren die ersten Anhänger des Propheten geflüchtet.

Als sie kurz darauf einen See erreichten, dessen gegenüberliegende Ufer nicht zu erkennen waren, ahnten sie, dass sie dem Ziel ihrer Reise nahe waren.

Das Wasser des Sees schlierte zwischen Silber und Schwarz, darauf tanzten goldene Lichtfunken. Kormorane standen mit gespreiztem Gefieder auf Klippen. Weit draußen in einer Bucht fuhren lang gestreckte Schatten lautlos über Silberstreifen.

Uthman schützte die Augen mit den Händen und blickte hinaus. »Es scheinen Fischer in Papyrusbooten zu sein, ich kenne solche Fahrzeuge vom Tigris her.«

»Vielleicht auch Mönche der Inselklöster«, meinte Henri.

Am Ufer lag ein herrenloses Papyrusboot mit hochgezogenem Bug und Achtersteven, in dem zwei Männer Platz hatten. Henri und Uthman banden ihre Pferde an Pflöcken fest. Mit dünnen Stöcken ruderten sie dann über friedliche Stromwirbel, ließen hell schäumende Wellen seitlich liegen und fuhren den See hinunter. Je weiter sie kamen, desto deutlicher ragten die Bergkuppen des Mondgebirges vor ihren Blicken empor. Und dann sahen sie die Klosterinseln weit draußen, mitten im See. Und tatsächlich hatten sie beim Näherkommen das seltsame Gefühl, dass diese Inseln gleich unter den schnell dahinziehenden Wolken lagen.

»Ein abgeschiedenes Reich«, sagte Uthman, »wie geschaffen für einen geistlichen Monarchen. Aber das Land regieren kann man von hier aus wohl kaum.«

Der milde Wind trug einen starken Duft und einen schwachen Hauch von etwas Unerklärbaren zu ihnen herüber, einen Hauch von Inseln, die den Rand der Welt markierten. Endete hier die Weltenscheibe? Wenn es ihn überhaupt gab, dann musste der Priesterkönig tatsächlich hier wohnen.

Langsam ruderten die Männer weiter. Sie blieben lange schweigsam. Als sie die kleine Flotte der Fischer erreichten, rief Uthman auf Arabisch zu ihnen hinüber: »Finden wir dort drüben die Inselklöster?«

Sie verstanden ihn nicht. Henri wiederholte die Frage auf Aramäisch. Da nickten sie und riefen etwas Zustimmendes.

»Wie kamen die Klöster hierher?«

Ein Fischer rief zurück, und es hallte weit über das stille Wasser: »Sie waren schon immer hier. Hier begann ja die Welt.«

Aber ein anderer widersprach ihm. »Nein, sie kamen einst aus der alten Hauptstadt Axum, südlich des Asmarasees, sie flüchteten eines Tages hier herauf zu den siebenunddreißig verborgenen Inseln, die im Rücken kein Land kennen. Es gibt Verstecke, die niemand kennt.«

»Warum flüchteten sie hierher?«

»Wegen ihres christlichen Glaubens. Es sind Ungläubige.«

»Haben sie denn Frauen und Kinder?«

»Nein, natürlich nicht. Sie holten sich immer wieder junge Männer aus dem Land, ruderten sie hinüber und behielten sie dort draußen. Ein eigenes, fremdes Reich.«

Henri starrte voraus. Die Inseln schienen nicht näher zu kommen. Auch Uthman schien diesen Eindruck zu haben, er sagte: »Vielleicht schwimmen sie mit der Strömung, mal hierhin, mal dorthin!«

»Das glaube ich nicht, auf solch schwankendem Grund könnte man keine Klöster oder Kirchen bauen.«

Eine Antwort auf ihre Fragen erhielten die Männer eine Stunde später. Sie legten unter mächtigen Wurzeln von Bäumen, die wie Burgpalisaden wirkten, an einem Ufer an.

Als sie an Land sprangen, erwarteten sie auf einem Pfad, der sich einen Hügel emporschlängelte, zwei unbewegliche Gestalten. Die Gestalten verbeugten sich und vollführten eine einladende Handbewegung, so als hätten sie schon auf die Fremden gewartet. Beim Näherkommen sahen die Gefährten, dass sie lange, bunte Mäntel mit Kapuzen trugen, ihre Haut war tiefschwarz, ihre Gesichtszüge aber scharf geschnitten, ihre Bärte lang und verfilzt. Sie waren so dürr, dass Brustbein und Rippen wie bei einem Skelett hervortraten. Auf der Brust trugen sie rautenförmige Kreuze, die sie mit ihren Fäusten umklammerten.

»Wie heißt diese Insel?«, fragte Henri, wieder auf Aramäisch.

»Sie heißt Gindar«, erwiderte einer der Führer, »und sie ist so heilig, dass keine Frau, nicht einmal eine Kaiserin, sie betreten darf.«

Überall verstreut lagen kreisrunde Hütten aus hochgebogenen Ästen, mit dicken Strohdächern. Als sich die Ankömmlinge beim Weitergehen umdrehten, bemerkten sie, wie Menschen vor die Hütten, ihre einfachen tukuls, traten, Männer jeden Alters, jung und unterernährt die einen, gebeugte Greise mit weißem Haupthaar die anderen, dazwischen stolze Gestalten im besten Alter, in Sackleinen gehüllt und barfuß. Sie murmelten unaufhörlich Gebete, ihre Finger spielten mit kleinen Kreuzen.

»Johannes, Presbyter«, sagte Henri unwillkürlich stumm, »hier ist also dein Reich…«

Vor der Kirche, die den Hügel krönte, schlugen zwei Jungen eine tonnenförmige Felltrommel, dazu sangen ihre gebrochenen Stimmen fremde, traurige Lieder. Ein Gong ertönte, der Laut hing lange in der feuchtwarmen Luft. Die Ankömmlinge betraten jetzt einen Kirchenraum, in dem der Altar den gesamten Mittelteil ausfüllte, an den weißen Wänden hingen wunderschöne Bilder, goldglänzend, in einem merkwürdigen Kontrast zur äußersten Armut der Bewohner.

»Es sind Bettelmönche«, erklärte ihnen ein Führer auf Henris entsprechende Frage. »Sie dürfen nichts besitzen. Dabei enthalten die Klostermauern unvorstellbare Schätze.«