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Gottfried machte Umwege. Er kannte sich so gut in Avignon aus, dass er wusste, wo die Gefahr am wenigsten drohte. Sie kamen schließlich an ein Torhaus, in dem es eine niedrige Pforte gab.

»Sie wird benutzt von Mägden, die frühmorgens die Milch von den Weiden holen und bringen. Nur wenige kennen sie.«

Gottfried stieg vom Pferd und schob Barq weiter.

»Du kommst nicht mit, nicht wahr?«, fragte Henri.

»Mein Platz ist hier. Aber lass uns einen Treffpunkt verabreden, wo wir über das Zurückliegende sprechen können, Henri.«

»Du kennst Uzès, dort, wo Clemens begraben wurde? Ich werde in drei Tagen mit meinen übrigen Gefährten dort auf dich warten, Gottfried. Vielleicht kannst du dich dann entschließen, dich uns anzuschließen. Dieses Land ist noch ein Sündenpfuhl, bald wird es ein Paradies sein. Aber dafür müssen wir noch viel tun. Und ich wäre stolz, dich an meiner Seite zu haben!«

»Wir werden sehen. Und nun reite zu deinen Gefährten! Gott mir dir!«

»Und mit dir, Bruder!«

Henri bestieg sein Pferd und ritt davon. Er musste die Stadt ganz umrunden, um seine Gefährten zu erreichen. Bald verlor er sich in der Ferne. Ein kleiner Punkt in einer endlosen Landschaft.

Drei Tage später trafen sich sechs Männer in Uzès, nordwestlich von Avignon.

Zwei davon wollten sich hier, im Anblick des päpstlichen Grabes, von den anderen verabschieden. Das waren die beiden jungen Sarazenen. Sie wollten nach Toledo zurückkehren. Sie versprachen, besonders auf die jüdische Aljama aufzupassen und Theophil von Speyer zu grüßen. Henri trug ihnen auch einen Gruß an die junge Jüdin Azaria auf.

»Bis das Jahr sich rundet, bin ich wieder in Toledo an der Seite der Juderia und aller ihrer wunderbaren Menschen«, kündigte Henri an.

Aber noch während er so sprach, zweifelte er daran, ob er diesen Wunsch würde erfüllen können. Denn vor ihnen lag eine Zeit der Gefährdungen und Kämpfe.

Während sie auf Uzès zugeritten waren, um dort Gottfried von Wettin zu treffen, hatten die jungen Sarazenen, vielleicht um ihren Ungehorsam vergessen zu machen, alles über den Tempelorden wissen wollen. Und Henri erzählte bereitwillig darüber, denn es erleichterte ihn, an bessere Zeiten zurückzudenken, als die Templer noch in Freiheit waren.

»Nach dem Ende der Kreuzzüge zogen wir uns in die Provinzen zurück, in die die Verwaltung des Tempels eingeteilt war – nach England, Poitou, Aragon, Portugal, Ungarn, Apulien und natürlich nach Frankreich. Die oberste Gewalt unseres Ordens lag damals beim Großmeister, der auf Zypern residierte. Ihm unterstanden die Komture der Provinzen, auch Meister genannt. Dann folgten die Komture der mehr als neuntausend Höfe und großen Komtureien. Sie verwalteten die Festungen, Domänen und landwirtschaftlichen Güter des Tempels und führten den Befehl über die Ritter, Knappen und Servientenbrüder, die häusliche Dienste und die Landarbeit verrichten mussten. Visiteure des Ordens reisten von Komturei zu Komturei, um sie zu inspizieren, und erstatteten den Meistern Bericht.«

»Ein gewaltiger Orden! Wie konnte er so schnell und ohne Gegenwehr zerschlagen werden?«

»Darüber denke ich auch oft nach. Ich weiß keine Antwort. Auch die Juden leisten keinen Widerstand, wenn man sie deportiert und ihre Wohnorte zerstört. Es hat etwas mit Gottvertrauen zu tun. Damit, dass man nicht glauben kann, der Herr verlasse einen wirklich. Müssen nicht hinter allen Geschehnissen ein Wille und ein Plan Gottes stehen?«

»So weit, so gut. Aber was war mit den Gefolterten in den Kerkern? Spätestens da mussten doch alle wissen, dass Gott sich von ihnen abgewendet hatte! Es sei denn, ihr seid davon ausgegangen, dass sie sich vor eurem Gott schuldig gemacht hatten.«

Henri musste dem jungen Sarazenen Recht geben. »Ich habe selbst gefangene Brüder in den Folterkellern gesehen. Auch ich fühlte den Schmerz über die Abwesenheit des Herrn. Es war ein bitterer Anblick, der verzweifelt macht. Ich wollte ihnen helfen. Aber ich konnte es nicht.«

»Starben sie?«

Henri erwiderte mühsam: »Sie starben alle. Die einfachen Brüder und auch die Großmeister.«

Uthman sagte: »Etwas Ähnliches darf nie mehr passieren! Wir müssen dafür kämpfen, dass Recht und Gesetz einkehren. Auch einen neuen Kreuzzug darf es niemals mehr geben, in dem sich Christen und Sarazenen bekriegen und Juden getötet werden.«

Joshua fügte einfach hinzu: »Wir müssen lernen, miteinander auszukommen.«

Henri wies mit ausgestreckter Hand voraus. »Uzès. Gebe Gott, dass wir niemals wieder zu Papstmördern und Königsmördern werden müssen. Das Maß der Zeit ist bis an den Rand mit Blut gefüllt.«

Gottfried von Wettin wartete schon an der Kapelle auf sie, die zu Füßen der mächtigen Burg stand. Henri war hocherfreut darüber, dass der Wettiner bei der Begrüßung eröffnete, mit ihnen reiten zu wollen.

»Wir müssen immer mehr werden«, begründete der Dominikaner seinen Entschluss. »Unsere Epoche ist reif für eine breite Bewegung gegen die Willkür von Tyrannen.«

Mit diesem Motto ihrer noch geheimen Vereinigung, deren Gründung sie bis zu einem besseren Tag verschieben mussten, waren alle einverstanden.

Dann verabschiedeten sich die jungen Sarazenen. Henri hatte ihnen ihren Ungehorsam verziehen. Denn er hatte einsehen müssen, dass sie nicht Unrecht gehabt hatten. Überhaupt hatten seine Gefährten die besseren Argumente vertreten. Er, Henri, hätte Ferrand de Tours, dessen weiteres Schicksal ihm unbekannt und jetzt auch gleichgültig war, nicht persönlich in die Stadt seiner Feinde bringen dürfen.

Aber jetzt war dieses Kapitel beendet. Sie waren unbelastet davon und frei, zu tun, was sie tun wollten. Von jetzt an sollte es in ihrer gemeinsamen Entscheidung liegen, wie lange jene Kräfte noch überleben durften, die durch Lügen und Intrigen in ihren Heimatländern gegen das Zusammenleben der Völker hetzten. Sie wollten vor allem den Kampf gegen alle jene aufnehmen, die den Judenhass predigten.

Sie standen zusammen und blickten den beiden jungen Sarazenen nach, die nach Süden davonritten. Dann wendeten sie sich einander zu und sahen sich fest in die Augen.

Sie wussten, die Zukunft würde nicht leicht werden. Sie waren ein versprengter Haufen in Feindesland. Aber solange sie zusammenblieben, waren sie auch kampferprobt genug, um den Gefahren zu trotzen.

Und mit dem, was sie gemeinsam erlebt und getan hatten, war für sie in dieser Zeit überall, wohin sie auch kommen mochten, Feindesland. Das würden sie niemals vergessen.

Historische Nachbemerkung

Juden, Christen und Muslime kein einfaches Verhältnis

Der Golem und die geheimnisvollen magischen Kräfte der Kabbala – das sind Sagenmotive, mit denen dieser Roman spielt. Sagen und Gerüchte hatten im Mittelalter eine große Bedeutung und wurden gerne zur nationalen und auch rassistischen Propaganda ausgeschlachtet. Eine weit verbreitete und von Christen gern geglaubte üble Mär war jene, die Juden vergifteten die Brunnen, entführten christliche Kinder und schlachteten sie in einer Imitation des Abendmahles. Dieses Gerücht – das hier in der Geschichte Ferrand de Tours verbreitet – führte tatsächlich in vielen europäischen Städten zu Pogromen. Denn das Verhältnis zwischen Christen und Juden, aber auch zwischen Muslimen, Christen und Juden, war selten einfach und häufig gespannt.

Das Leben der Juden in den europäischen Staaten des Mittelalters, also vor allem im Heiligen Römischen Reich, in Frankreich, England und Spanien sowie in den zahlreichen weiteren kleineren Herrschaften, war bestimmt durch ihre Ausgrenzung aus der christlich geprägten Gesellschaft. Sie galten als Angehörige nicht nur einer fremden Religion, sondern auch immer als fremdes Volk. Dabei hatten viele Juden schon früh in der Geschichte das Heilige Land verlassen, um anderswo ansässig zu werden.