Den Buchstaben nach standen die Juden im Deutschen Reich unter kaiserlichem Schutz. Dieser Schutz wurde für die Juden von Speyer mit einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. (Ks. 1084-1106) im Jahr 1090 bekräftigt, in der es heißt: »… dass in Zukunft niemand, der unter unserer königlichen Macht mit irgendeiner Amtswürde oder Machtbefugnis ausgestattet ist, kein Geringer und kein Großer, kein Freier und kein Sklave, sich unterstehen soll, diese durch irgendwelche falsche Anklagen zu beunruhigen oder anzugreifen. Auch soll niemand es wagen, ihnen irgendetwas von ihrem rechtmäßig ererbten Besitz an Höfen, Häusern, Gärten, Weinbergen, Feldern, Sklaven und sonstigen beweglichen und unbeweglichen Gütern wegzunehmen. […] Auch sollen sie die freie Erlaubnis haben, ihre Güter mit wem auch immer es ihnen beliebt in gerechtem Handel auszutauschen und sich frei und unbehelligt in den Grenzen unseres Reiches zu bewegen. […] Niemand soll es wagen, ihre Söhne und Töchter gegen ihren Willen zu taufen« [zit. n. Schoeps/Wallenborn, Bd. 1, 2001, S. 121-122].
Waren diese Sicherheitsversprechen auch sehr weitreichend, so sollte sich doch wenige Jahre später zeigen, wie wenig den Juden damit geholfen war.
In der Folge des Kreuzzugsaufrufes und des Zustandekommens des nicht legitimierten »Kreuzzuges des Volkes« im Jahr 1096 kam es zu den ersten ausgedehnten Juden-Pogromen im Deutschen Reich. Der Einsiedler Peter von Amiens hatte zur Finanzierung seines Kreuzzuges die Juden des Rheinlandes zunächst zur Zahlung gewaltiger Summen genötigt, doch blieb es nicht dabei. Die Rotten um Graf Emicho von Leiningen zogen mit dem Ruf »Taufe oder Tod!« gegen die rheinischen Juden. Wenn auch die Bischöfe von Trier, Worms und Köln verzweifelt bemüht waren, ihre jüdischen Untertanen vor der rasenden Soldateska zu schützen, so entkamen nur wenige Juden den Verfolgungen. Von Plünderungen wird in den Quellen nur wenig berichtet, die »Kreuzfahrer« hatten die »Bekehrung« der »Ungläubigen« auf ihre Fahnen geschrieben. Unzählige Juden wählten wegen der drohenden Taufe den Freitod, töteten ihre Kinder und Ehefrauen oder wurden von den fanatisierten Christen niedergemacht. Nur vereinzelt kam es zu einem bewaffneten Widerstand. In Regensburg gab es eine zwangsweise Massentaufe: Das Kreuzzeichen wurde über den Wassern der Donau geschlagen, dann trieb man die Juden in den Fluss. Im Zusammenhang mit diesen Übergriffen wurde auch zum ersten Mal in der Geschichte der Vorwurf laut, die Juden hätten mit Leichen Brunnen vergiftet. Dieser grundlose und erfundene Vorwurf sollte in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Anlass zu Verfolgungen, Pogromen und schrecklichen Ausschreitungen geben. Beim Abzug der Mordbrenner aus dem Deutschen Reich fiel auch noch die jüdische Gemeinde von Prag einem Pogrom zum Opfer. Alle Schutzversprechungen Kaiser Heinrichs IV. hatten nichts geholfen, allein die der Zwangstaufe Unterworfenen durften zu ihrem alten Glauben zurückkehren, die Gemeinden konnten sich wiederherstellen. Erneut flammte maßloser Judenhass in der Zeit des Zweiten Kreuzzuges um 1146 auf. Dabei standen sich gewichtige kirchliche Autoritäten unversöhnlich gegenüber. Peter Venerabilis von Cluny und Radulf von Clairvaux machten die Juden zum Ziel des Hasses, Peter dabei mit der erklärten Absicht, ihr Vermögen zur Finanzierung des Kreuzzuges zu verwenden. Diesem Ansinnen trat der weit bekannte Bernhard von Clairvaux entgegen. Allerdings waren die antijüdischen Ausschreitungen nicht zu beenden. Nachdem es in England 1144 zum ersten Ritualmordprozess gekommen war, folgte ein weiterer in Blois 1171. Hier basierte die ganze Anklage auf der Behauptung eines christlichen Knappen, ein Jude habe die Leiche eines getöteten christlichen Knaben in den Fluss geworfen. Daraufhin wurden alle Juden der Stadt verhaftet. Zunächst sollte ein nicht unbeträchtliches Lösegeld erpresst werden, doch ein Mönch riet dann dazu, den Knappen der Wasserprobe zu unterziehen. Als er in einer mit geweihtem Wasser gefüllten Tonne nicht unterging, glaubte man ihm seine Bezichtigung. Die 31 Beschuldigten hätten ihr Leben retten können, wären sie zum Christentum übergetreten, doch sie weigerten sich. Die Verbrennung von zwei führenden Rabbinern der Gemeinde misslang; die Stricke, mit denen sie gebunden waren, fielen ab. Als sie einen der Christen mit in die Flammen schleiften, wurden sie erschlagen. Die übrigen Juden kamen zusammen mit den Leichen ihrer Rabbiner auf den Scheiterhaufen. Wundersamerweise sollen sie nicht verbrannt sein: Die Leichen aller Juden seien unversehrt geborgen worden, so schrieb es jedenfalls Efraim ben Jakob aus Bonn (1132-1221) nach dem Bericht des Rabbis Baruch bar David auf.
Die deutschen Juden suchten in diesen Zeiten der Bedrückung Trost in einer neuen Mystik. Darin spielte der Gedanke an die Verherrlichung Gottes durch die »Heiligung seines Namens« im Martyrium eine wesentliche Rolle.
In Frankreich wurde die Haltung der Könige den Juden gegenüber immer unversöhnlicher. König Philipp II. Augustus (Kg. 1180-1223) setzte 1181 die reichen Juden von Paris gefangen und erpresste für deren Freilassung eine Summe von 15 000 Silbermark. Dem folgten im Jahr darauf die Vertreibung der Juden und die Einziehung ihres Grundbesitzes. Zum Ende des 12. Jahrhunderts hin hatte die Auspressungspolitik in Frankreich die Folge, dass das jüdische Geistesleben verarmte. Der Druck von außen war zu stark, als dass die Beschäftigung mit den Wissenschaften weiter auf hohem Niveau hätte fortgesetzt werden können. Mit den auf dem IV. Laterankonzil von 1215 erlassenen kirchlichen Vorschriften spitzte sich die Lage der Juden Europas weiter zu. So wird in einer sehr weitgehenden Formulierung das Zinsnehmen der Juden untersagt: »Wenn unter irgendeinem Vorwand die Juden von Christen unmäßige Zinsen erpressen, dann soll ihnen der Verkehr mit Christen verboten werden, bis sie ihnen für die unmäßige Belastung eine angemessene Genugtuung geleistet haben.« Was »unmäßig« ist, blieb der Willkür des Anklägers überlassen; fühlte sich also ein Christ im Nachhinein übervorteilt, konnte er sich immer auf diese Bestimmung berufen, um seine Schuld auf einfache Weise zu mindern. Eine Rechtssicherheit bestand also für die beklagten Juden nicht. Auch eine Kleiderordnung wurde auf dem Konzil erlassen, in der verlangt wird, »… dass (Juden und Sarazenen) beiderlei Geschlechts in jedem christlichen Land und zu jeder Zeit sich öffentlich durch ihre Kleidung von anderen Leuten unterscheiden sollen«. Weiterhin wird mit der Behauptung, sie würden in der Passionszeit die Christen verspotten, den Juden die Anwesenheit in der Öffentlichkeit verboten. Das Verbot, Juden in öffentliche Ämter zu berufen, wird vom Laterankonzil bekräftigt, das auch für den Christen Strafen vorsieht, der einem Juden ein solches Amt gibt. Auch hinsichtlich der zwangsgetauften Juden, die trotzdem ihre alten Riten beibehielten, wurde eine Bestimmung getroffen: »Die Kirchenoberen sollen dafür sorgen, dass solche Leute von der Beobachtung ihres alten Ritus ablassen, damit jene, die sich mit freiem Willen dem Christentum zugewandt haben, durch heilsamen Zwang zu dessen Beobachtung angehalten werden.« Alle diese Vorschriften sind sehr allgemein gehalten, lassen also hinsichtlich der Schärfe der durchzuführenden Maßnahmen und der zu bestimmenden Strafen einigen Spielraum. Insgesamt handelt es sich hier um einen Maßnahmenkatalog, der nur dazu diente, die Juden immer weiter aus dem gesellschaftlichen Leben der christlichen Staaten auszugrenzen. Die Vorschriften waren aber nicht so eng gefasst, dass es den Herrschern, kirchlichen wie weltlichen, nicht doch gestattet gewesen wäre, die Dienste von Juden in Anspruch zu nehmen.