In Frankreich ist das 13. Jahrhundert geprägt von einer immer stärkeren Bedrückung der Juden. Dies war auch eine Folge des Krieges gegen die Glaubensgemeinschaft der Albigenser, nach dessen Ende Graf Raimund von Toulouse angewiesen wurde, in seinem Herrschaftsgebiet alle Juden aus Staatsämtern zu entfernen. Mit der von den Dominikanern getragenen Inquisition setzte auch eine Zensur des jüdischen Schrifttums ein. Dabei kam es zunächst zu der kuriosen Situation, dass im innerjüdischen Streit um den »Führer des Verwirrten« des Maimonides die Gegner dieser Schrift die christliche Inquistion zum Eingreifen bewegten. Im Jahr 1232 war das Werk zunächst von den jüdischen Autoritäten gebannt worden. Doch dann wurde es ebenso bei der Inquisition angezeigt, worauf die vorhandenen Exemplare des Buches noch im folgenden Jahr eingezogen und verbrannt wurden. Damit war aber nur der erste Schritt getan. Der nächste Schlag sollte gegen den Talmud geführt werden. Dieses gewaltige Werk jüdischer Gesetzgebung war erst mit der Arbeit Raschis und seiner Nachfolger auch von den Christen wahrgenommen worden. So hatte sich Petrus Venerabilis in seinem »Traktat gegen die seit alters her unveränderte jüdische Verstockung« als Erster überhaupt ausführlich mit dem Inhalt des Talmuds auseinander gesetzt. Und es war ein zum Christentum übergetretener Jude, der ihn mit den Informationen versah, die der Abt zur Abfassung seines polemischen Angriffs verwendete. Dasselbe wiederholte sich nun im 13. Jahrhundert mit wesentlich drastischeren Folgen. Der 1236 zum Christentum übergetretene Nikolaus Donin, der noch als Jude Kritik am Talmud geübt hatte, wofür er von den rabbinischen Gelehrten gebannt worden war, verfasste eine aus 35 Punkten bestehende Anklageschrift gegen den Talmud und sandte sie an Papst Gregor IX. (PM 1227-1241). Die Folge waren Briefe des Papstes an geistliche und weltliche Amtsträger, in denen auf den angeblich christenfeindlichen Inhalt und die Ungereimtheiten im Talmud aufmerksam gemacht werden sollte.
Folgen hatte dieses päpstliche Eingreifen allein in Frankreich. Am 3. März 1240, einem Sabbat, wurden die im Besitz der französischen Juden befindlichen hebräischen Bücher beschlagnahmt. Dann wurden der Erzbischof von Paris sowie die Ordensoberen der Dominikaner und Franziskaner damit beauftragt, diese Bücher daraufhin zu untersuchen, ob sich die Vorwürfe der Anklage bestätigen ließen. Zum Abschluss dieser Untersuchung fand ein Prozess in Paris statt, bei dem sich eine jüdische Delegation um die Rettung des Talmuds bemühte. Es gelang allerdings lediglich, die sofortige Verbrennung des Talmuds zu verhindern. Zwei Jahre später wurden zwischen 20 und 24 Wagenladungen hebräischer Handschriften in Paris verbrannt. Bemühungen der Juden, von Papst Innozenz IV. (PM 1243-1254) den Talmud wieder zurückzuerhalten, führten nach einer weiteren Untersuchung des Inhalts durch christliche Gelehrte zur endgültigen Verurteilung des Talmuds. Es folgte eine Verbrennung der noch vorhandenen Exemplare.
Noch im gleichen Jahrhundert folgte in Frankreich eine Welle von Ausweisungen: Die Juden wurden aus der Bretagne, aus dem Poitou, der damals englischen Gascogne und der Grafschaft Anjou vertrieben. Das Tragen des Judenabzeichens wurde mit einem Staatsgesetz vorgeschrieben.
Die jüdischen Gemeinden Frankreichs wuchsen trotzdem, allerdings zum Teil infolge der 1276 erlassenen Vorschrift, die den Juden die Niederlassung außerhalb der Städte untersagte.
Zum Höhepunkt kam die feindliche Haltung der französischen Könige gegenüber den Juden mit Philipp IV. dem Schönen. Um sich mit einem Schlag seiner finanziellen Nöte zu entledigen, ließ er am 22. Juli 1306 alle vermögenden Juden seines Herrschaftsbereiches verhaften. Den Verhafteten wurde ein Ultimatum gestellt, wonach sie Frankreich binnen eines Monats bei Zurücklassung ihrer Vermögenswerte zu verlassen hätten.
Über die Ausweisung der Juden aus Frankreich schreibt Josef ha-Kohen (1496-1578) in seinem Buch »Tal der Tränen«, König Philipp IV. habe befohlen, »… dass jeder Jude aus seinem Lande ziehen sollte, ohne das Geringste von seiner Habe mitnehmen zu dürfen, er müsste sich denn zu einem andern Glauben bekennen und mit uns ein Volk werden«. Die Masse der Juden verließ daraufhin das Land, einige wenige aber ließen sich taufen. Und so heißt es weiter: »So blieben unter den Christen zahlreiche von jüdischer Abkunft, und daher gibt es jetzt unter ihnen viele, welche zu anderen Glaubenssätzen sich bekennen« [zit. n. Schoeps/Wallenborn, Bd. 1, 2001, S. 138].
Schätzungsweise 10 000 Juden wanderten aus Frankreich aus. Die nordfranzösischen Juden fanden eine neue Heimat in Lothringen, Burgund und der Dauphiné, während die Juden Südfrankreichs in das Königreich Mallorca, aber auch in das spanische Königreich Aragon auswanderten. Aller zurückgelassener Besitz wurde zu Gunsten der Krone eingezogen, die ausstehenden Schulden bei Christen von der königlichen Finanzverwaltung eingezogen. Schon 1315 wurde den Juden die Rückkehr nach Frankreich erlaubt, allerdings hatten sie dafür hohe Zahlungen zu entrichten. Weiterhin wurde ihnen gestattet, nicht nur ihre Friedhöfe und Synagogen zurückzukaufen, sondern auch die beschlagnahmten Bücher, darunter den Talmud. Vorgeschrieben war von nun an das kreisförmige »Judenzeichen«, das sie auf der Kleidung zu tragen hatten. In den folgenden Jahren kam es in verschiedenen Teilen Frankreichs zu Pogromen, so in Chinon, Paris und Tours, die zu einer freiwilligen Auswanderung von Juden führten. Im Jahr 1322 folgte eine erneute landesweite Vertreibung, die allerdings auch nicht endgültig sein sollte.
Jörg Dendl
Eli Barnavi (Hg.), Universalgeschichte der Juden – ein historischer Atlas, Wien 1993
Jörg Dendl, Wallfahrt in Waffen, München 1999
Alfred Ebenbauer/Klaus Zatloukal (Hgg.), Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, Wien/Köln/Weimar 1991
Raymonde Foreville, Lateran I-IV (Geschichte der ökumenischen Konzilien, Bd. VI), Mainz 1970
Hermann Greive, Die Juden – Grundzüge ihrer Geschichte im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa, Darmstadt 1980
Julius H. Schoeps/Hiltrud Wallenborn (Hgg.), Juden in Europa – Ihre Geschichte in Quellen, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum späten Mittelalter, Darmstadt 2001
Der Sohar, Hrsg. Ernst Müller, München 1982