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»Derselbe.«

»Mein Gott, und Ihr kommt ausgerechnet hierher?«

»Nicht freiwillig, Señor!«

Die Finger des Großmeisters zuckten. Er umkrallte gedankenverloren ein vor ihm auf dem Tisch stehendes Korporalkästchen, in dem das quadratische Leinentuch aufbewahrt war, auf dem während der Messe Kelch und Patène standen. Henri wollte nicht einfallen, wie der Großmeister hieß, obwohl er seinen Namen schon gehört hatte. Er wartete ab.

»Was soll ich mit Euch tun? Auch in Iberien werden die Templer verfolgt! Zwar nicht so fanatisch wie in Frankreich, denn wir kennen Eure Verdienste. Aber es ist nicht gut für einen Komtur des Santiago-Ordens, mit einem Tempelritter gesehen zu werden! Also, was mache ich mit Euch? Lasse ich Euch den Hals durchschneiden und in den Tajo zu den anderen Banditen aus der Bevölkerung werfen? Oder lade ich Euch zu marinierten und gesottenen Singvögeln ein?«

»Ich wüsste etwas anderes, Exzellenz«, sagte Henri. »Lasst mich einfach gehen. Ich belästige Euch nicht weiter. Und Ihr habt keinen Nachteil davon, wenn ich nach Toledo ziehe.«

»Ich bin mit Gott und der Krone. Alle Königstreuen unseres Landes stehen hinter mir, die Mendozas, Osorios, das Haus Alba. Alle sind davon überzeugt, dass nur ein starker König ihre Privilegien sichern kann. Ich bin auf ihrer Seite. Und ich kann mir nicht den geringsten Fehler leisten, wenn das so bleiben soll.«

»Lasst mich ziehen!«

»Und Ihr werdet nie mehr in diese Gegend kommen?«

»Gibt es hier etwas, das einen zweiten Besuch lohnte?«, antwortete Henri.

Der Großmeister strich ärgerlich über sein Samtgewand. »Sagt mir eines, Templer. Wurde Euer Orden zu Recht verurteilt? Triebt Ihr Unzucht und bespucktet das Kreuz?«

»Unsere Brüder sind im Heiligen Land zu Tausenden in vorderster Front gestorben! Und sie zogen den Tod selbst dann vor, wenn sie ihn mit einer Verleumdung ihres Glaubens hätten vermeiden können.«

Der Großmeister nickte. »Ich weiß. König und Papst haben sich in Frankreich nicht gerade ehrenvoll verhalten.«

»In den Kerkern sind beinahe ebenso viele Brüder unter der Folter gestorben wie beim Kampf gegen die Ungläubigen im Heiligen Land! Es ist eine Schande!«

Der Großmeister seufzte. Er sah zum Himmel empor. Genauer gesagt, zur Decke seines privaten Refektoriums, dann schlug er das Kreuz. »Der Herr möge ihnen vergeben! Und er mag auch mir vergeben! Ich werde Euch laufen lassen, damit nicht noch mehr Schuld über uns kommt.«

Henri verbeugte sich stumm. Er nahm seine Waffen und ging. Niemand hielt ihn auf.

Draußen bestieg er sein Pferd und verließ die Palastgärten. Wieder empfingen ihn die Bilder der Zerstörung. Es mussten in letzter Zeit ganze Heerscharen von Bauarbeitern über Aranjuez hereingebrochen sein, um es mit ihren Sturmbalken zu zerstören. Jetzt waren nur noch wenige Männer zu sehen, sie alle grau vom Staub, unkenntlich unter ihren zerschlissenen Kapuzen.

Am Ortsrand rauschten die Wildwasser des Tajo zu seinen Füßen vorbei, die Räder einer Mühle drehten sich nutzlos im Leeren. Er sah sich unwillkürlich um: Steine, Staub, aufragende Holzbalken, Reste von gezacktem Mauerwerk auf geschundenen Fundamenten, die wie nach einem übermächtigen Angriff aussahen. Dazwischen liefen herrenlose Hunde umher und schnüffelten an verheißungsvollen Spuren des Elends herum. Henri war den Anblick leid.

Bei Gott, die Bewohner des Örtchens mussten eine große Schuld auf sich geladen haben. Hier wütete der Kriegsgott.

Verfangen in den ausladenden Wurzeln eines Mangrovenbaumes, schwamm ein Körper im Wasser. Er lag mit dem Gesicht nach unten, die Kleidung bewegte sich leicht in der Strömung, das Haar glich dunklem Seetang, der in der Dünung schwebte. Henri wollte nicht näher heranreiten. Er dachte für sich: Wer du auch immer bist und welche Schuld du auf dich geladen hast, mögest du ewigen Frieden finden.

Henri gab seinem Hengst Barq aufmunternd die Hacken und ritt davon. Überall war Wasser. Aber es war kein kühles, reinigendes Wasser. Es war dunkles, verschmutztes Wasser. Jedenfalls schien es Henri de Roslin so. Und er beeilte sich, davonzukommen.

Der Weg wurde immer beschwerlicher. Mal ging es durch verkarstete Felder, die nur von lilafarbenem Unterholz bedeckt waren, das sich unter der unbarmherzigen Sonne duckte. Mal versperrten tiefe Schluchten den Weiterritt. Wege gab es nicht. Henri musste Umwege nehmen, kleinere Flüsse und Bäche überqueren. Dann traf er wieder auf den Tajo. Er rastete an seinem Ufer und briet sich Fische am offenen Feuer, die er mit dem geworfenen Panzersteckdolch erlegt hatte.

Manchmal musste er Abhänge und Geröllfelder hinunter, die aus lockerem Felsgestein bestanden, dann wurde es gefährlich. Der Himmel Altkastiliens wirkte wie durchsichtig, er war hoch und weit. Und am Boden lag über allem der Staub eines verlassen scheinenden Landes, in das nur die runden, schwarzweißen Windmühlen mit ihren knatternden Flügeln ein Lebenszeichen setzten.

Henri folgte noch einen Tag lang den seichten Ufern des Tajo. Dann tauchte im Westen die Hauptstadt des kastilischen Königreiches Toledo aus dem Hitzedunst auf. Henri hatte schon gehört, dass der Bischofs- und Königssitz so groß wie Paris sei, staunte jetzt jedoch über die Ausdehnung der uralten Stadt auf dem finsteren Stadthügel.

Der maurische Alcazar erhob am höchsten Punkt der Stadtanlage seine vier mächtigen Türme. Aber goldene Kreuze auf Kirchtürmen kündeten davon, dass Kastilien seit mehr als zwei Jahrhunderten das Land und die Stadt von den Mauren zurückerobert hatte.

Henri erblickte rote Häuserdächer, breite Marktplätze, das Grün der Palmen unter gleißendem Sonnenlicht, alles verbreitete den Eindruck einer friedlichen Bürgerstadt. Aber da jedes einzelne Stadtviertel nochmals von Mauern und Türmen umgeben schien und die Häuser des tonangebenden Adels Festungen für sich waren, bekam er auch einen wehrhaften Eindruck. Und weil die vom Fluss Tajo wie mit einem natürlichen Wassergraben umschlossene Stadt einst von Arabern gegründet worden war, zogen sich an den Berghängen des Felsplateaus mehrere weiße Moscheen mit tiefblauen Schatten unter mächtigen Kuppeln hin. Es war eine vielfältige Stadt.

Henri hielt auf einem Hügel am Fluss inne und schaute lange hinüber. Er sah, dass Toledo drei Brücken und mehrere kleine Inseln im Fluss besaß. Aber der vorherrschende Eindruck war der einer im Schatten der herrschaftlichen Residenz liegenden Stadt, die blühte und deren halbrunde Kuppeln und spitz aufragende Minarette einen schönen Kontrast zu den flachen, grün glitzernden Wassern des mächtigen Flusses bildeten.

Da er zum ersten Mal in Toledo war, musste er das Judenviertel erst suchen. Man sagte ihm, es befände sich in der Nähe der größten noch stehenden Moschee. Als er näher kam, bemerkte er, dass Bauhandwerker damit begonnen hatten, das almohadische Heiligtum in eine christliche Kirche umzubauen. Der Bauplatz mit seinen Holzkränen umschloss die Moschee bereits wie einen Gefangenen.

Henri passierte weite Grünflächen und eine ausladende Allee, dann tauchte er in ein Gewirr von engen, gebogenen Straßen ein, die hügelan und hügelab führten und sämtlich an der dem gewundenen Flussverlauf folgenden Stadtmauer endeten. Die Treppenwege waren schmal, häufig steil, sie glichen verdächtigen Schluchten. Henri musste absteigen und sein Pferd an Ecken, Winkeln, Mauern und immer wieder schweren, riesigen, eisenbeschlagenen Toren vorbeiführen. Braun gebrannte Kinder liefen schreiend herum, und alte Frauen versuchten, schwer beladene bockige Esel über dunkle Treppen und dann wieder auslaufende Straßen voranzutreiben.

Während Henris Blicke die reichen Häuser an den Hängen mit sonnenüberfluteten Gärten und Wacholderhainen streiften, die meist noch aus der Zeit der Mauren stammten, war es hier unten schattig, und es roch nach Essensdünsten. Am Hauptplatz, der Zocodovér hieß, ein offenbar uralter Marktplatz, auf dem alles durcheinander drängte und schrie, kam er nur schwer vorwärts. Er ritt langsam durch Menschenmassen, die offensichtlich unterschiedlicher Religion, ja Abstammung waren. Männer mit Turbanen, schwarz gekleidete Juden, unverschleierte iberische Frauen, tief verschleierte Musliminnen, verheiratete Damen mit dünnen, kostbaren Schleiern, die mehr Schmuck als Verhüllung darstellten, und königliche Soldaten mit Brustpanzern und Piken, die das kastilische Banner wehen ließen, beherrschten das Stadtbild. Henri war erstaunt über das anscheinend friedliche Nebeneinander der so unterschiedlichen Kulturen und Glaubensgemeinschaften.