Friedrich (Johann Christoph Friedrich von) Schiller. Die Verschwoerung des Fiesco zu Genua
This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de.
Die Verschwoerung des Fiesco zu Genua
Ein republikanisches Trauerspiel.
Nam id facinus inprimis ego memorabile existimo sceleris atque periculi novitate. Sallust vom Catilina.
Vorrede. Die Geschichte dieser Verschwoerung habe ich vorzueglich aus des Cardinals von Retz Conjuration du Comte Jean Louis de Fiesque, der Histoire des Conjurations, Histoire de Gènes und Robertsons Geschichte Karls V.-dem dritten Theil-gezogen. Freiheiten, welche ich mir mit den Begebenheiten herausnahm, wird der Hamburgische Dramaturgist entschuldigen, wenn sie mir geglueckt sind; sind sie das nicht, so will ich doch lieber meine Phantasieen als Facta verdorben haben. Die wahre Katastrophe des Komplotts, worin der Graf durch einen ungluecklichen Zufall am Ziel seiner Wuensche zu Grunde geht, musste durchaus veraendert werden, denn die Natur des Dramas duldet den Finger des Ohngefaehrs oder der unmittelbaren Vorsehung nicht. Es sollte mich sehr wundern, warum noch kein tragischer Dichter in diesem Stoffe gearbeitet hat, wenn ich nicht Grund genug in eben dieser undramatischen Wendung faende. Hoehere Geister sehen die zarten Spinneweben einer That durch die ganze Dehnung des Weltsystems laufen und vielleicht an die entlegensten Grenzen der Zukunft und Vergangenheit anhaengen-wo der Mensch nichts, als das in freien Lueften schwebende Factum sieht. Aber der Kuenstler waehlt fuer das kurze Gesicht der Menschheit, die er belehren will, nicht fuer die scharfsichtige Allmacht, von der er lernt.
Ich habe in meinen Raeubern das Opfer einer ausschweifenden Empfindung zum Vorwurf genommen.-Hier versuche ich das Gegentheil, ein Opfer der Kunst und Cabale. Aber so merkwuerdig sich auch das unglueckliche Project des Fiesco in der Geschichte gemacht hat, so leicht kann es doch diese Wirkung auf dem Schauplatz verfehlen. Wenn es wahr ist, dass nur Empfindung Empfindung weckt, so muesste, daeucht mich, der politische Held in eben dem Grade kein Subject fuer die Buehne sein, in welchem er den Menschen hintenansetzen muss, um der politische Held zu sein. Es stand daher nicht bei mir, meiner Fabel jene lebendige Gluth einzuhauchen, welche durch das lautere Product der Begeisterung herrscht; aber die kalte, unfruchtbare Staatsaction aus dem menschlichen Herzen herauszuspinnen und eben dadurch an das menschliche Herz wieder anzuknuepfen-den Mann durch den staatsklugen Kopf zu verwickeln-und von der erfindrischen Intrigue Situationen fuer die Menschheit zu entlehnen-das stand bei mir. Mein Verhaeltniss mit der buergerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter, als dem Kabinet, und vielleicht ist eben diese politische Schwaeche zu einer poetischen Tugend geworden.
Personen des Stuecks.
Andreas Doria, Doge von Genua. Ehrwuerdiger Greis von 80 Jahren. Spuren von Feuer. Ein Hauptzug: Gewicht und strenge befehlende Kuerze.
Gianettino Doria, Neffe des Vorigen. Praetendent. Mann von 26 Jahren. Rauh und anstoessig in Sprache, Gang und Manieren. Baeurisch-stolz. Die Bildung zerrissen.
(Beide Doria tragen Scharlach)
Fiesco, Graf von Lavagna. Haupt der Verschwoerung. Junger, schlanker, bluehend-schoener Mann von 23 Jahren-stolz mit Anstand-freundlich mit Majestaet-hoeflich-geschmeidig und eben so tueckisch.
(Alle Nobili gehen schwarz. Die Tracht ist durchaus altdeutsch.)
Verrina, verschworner Republikaner. Mann von 60 Jahren. Schwer, ernst und duester. Tiefe Zuege.
Bourgognino, Verschworner. Juengling von 20 Jahren. Edel und angenehm. Stolz, rasch und natuerlich.
Calcagno, Verschworner. Hagrer Wolluestling. 30 Jahre. Bildung gefaellig und unternehmend.
Sacco, Verschworner. Mann von 45 Jahren. Gewoehnlicher Mensch.
Lomellino, Gianettinos Vertrauter. Ein ausgetrockneter Hofmann.
Zenturione, Zibo, Asserato, Missvergnuegte.
Romano, Maler. Frei, einfach und stolz.
Muley Hassan, Mohr von Tunis. Ein confiscirter Mohrenkopf. Die Physiognomie eine originelle Mischung von Spitzbueberei und Laune.
Deutscher der herzoglichen Leibwache. Ehrliche Einfalt. Handfeste Tapferkeit.
Drei aufruehrerische Buerger.
Leonore, Fiesco's Gemahlin. Dame von 18 Jahren. Blass und schmaechtig. Fein und empfindsam. Sehr anziehend, aber weniger blendend. Im Gesicht schwaermerische Melancholie. Schwarze Kleidung.
Julia, Graefin Wittwe Imperiali, Dorias Schwester. Dame von 25 Jahren. Gross und voll. Stolze Kokette. Schoenheit, verdorben durch Bizarrerie. Blendend und nicht gefallend. Im Gesicht ein boeser moquanter Charakter. Schwarze Kleidung.
Bertha, Verrinas Tochter. Unschuldiges Maedchen.
Rosa, Arabella, Leonorens Kammermaedchen.
Mehrere Nobili, Buerger, Deutsche, Soldaten, Bediente, Diebe.
Der Schauplatz Genua.-Die Zeit 1547.
Erster Aufzug
Saal bei Fiesco
Man hoert in der Ferne eine Tanzmusik und den Tumult eines Balls.
Erster Auftritt.
Leonore maskiert, Rosa, Arabella fliehen zerstoert auf die Buehne.
Leonore (reisst die Maske ab). Nichts mehr! Kein Wort mehr! Es ist am Tag. (Sie wirft sich in einen Sessel.) Das wirft mich nieder.
Arabella. Gnaedige Frau-Leonore (aufstehend). Vor meinen Augen! eine stadtkundige Kokette! im Angesicht des ganzen Adels von Genua! (Wehmuetig.) Rosa! Bella! und vor meinen weinenden Augen.
Rosa. Nehmen Sie die Sache fuer Das, was sie wirklich war-eine Galanterie-Leonore. Galanterie?-und das emsige Wechselspiel ihrer Augen? das aengstliche Lauern auf ihre Spuren? der lange verweilende Kuss auf ihren entbloessten Arm, dass noch die Spur seiner Zaehne im flammrothen Fleck zurueckblieb? Ha! und die starre tiefe Betaeubung, worein er, gleich dem gemalten Entzuecken, versunken sass, als waer' um ihn her die Welt weggeblasen und er allein mit dieser Julia im ewigen Leeren? Galanterie?-gutes Ding, das noch nie geliebt hat, streite mir nicht ueber Galanterie und Liebe.
Rosa. Desto besser, Madonna. Einen Gemahl verlieren heisst zehen Cicisbeo Profit machen.
Leonore. Verlieren?-ein kleiner aussetzender Puls der Empfindung und Fiesco verloren? Geh, giftige Schwaetzerin-komm mir nie wieder vor die Augen!-eine unschuldige Neckerei-vielleicht eine Galanterie? Ist es nicht so, meine empfindende Bella?
Arabella. O ja! ganz zuverlaessig so!
Leonore (in Tiefsinn versunken). Dass sie darum in seinem Herzen sich wuesste?-dass hinter jedem seiner Gedanken ihr Name im Hinterhalt laege?-ihn anspraeche in jeder Fusstapfe der Natur?-Was ist das? wo gerath' ich hin? Dass ihm die schoene majestaetische Welt nichts waere, als der praechtige Demant, worauf nur ihr Bild-nur ihr Bild gestochen ist?-dass er sie liebte?-Julien! O deinen Arm her-halte mich, Bella!
(Pause. Die Musik laesst sich von Neuem hoeren.)
Leonore (aufgefahren). Horch! War das nicht die Stimme Fiescos, die aus dem Laerme hervordrang? Kann er lachen, wenn seine Leonore im Einsamen weinet? Nicht doch, mein Kind! Es war Gianettino Dorias baeurische Stimme.
Arabella. Sie war's, Signora! Aber kommen Sie in ein anderes Zimmer.
Leonore. Du entfaerbst dich, Bella! du luegst-ich lese in euren Augen-in den Gesichtern der Genueser ein Etwas-ein Etwas. (Sich verhuellend.) O gewiss! diese Genueser wissen mehr, als fuer das Ohr einer Gattin taugt.
Rosa. O der Alles vergroessernden Eifersucht!