Geoffrey A. Landis • USA
NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND
»Und nun eine Meldung aus der medizinischen Forschung. Wie die Universität von Boston soeben mitteilte, hat man dort eine aufsehenerregende Entdeckung gemacht. Bleiben Sie am Apparat.«
David Valient drehte die Lautstärke herunter und ging in die Küche, um sich etwas zum Knabbern zu holen. »Willst du auch was, Liebes?« rief er zurück.
»Nein, danke.«
Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und kuschelte sich wieder an Joan, die auf der Couch saß und ein Buch las. Wie immer achtete sie überhaupt nicht auf den Fernseher. Als er die Lautstärke wieder hochdrehte, gingen die Nachrichten gerade weiter.
»Der jahrelange Wettlauf in der medizinischen Forschung um die Erzeugung rekombinierbarer DNS-Bausteine ist beendet. Die erfolgversprechendste der neuen Genspaltungstechniken benutzt speziell veränderte Viren, um maßgeschneiderte DNS-Stränge in die Gene von Labortieren einzufügen. In Boston kündigte heute ein Forscherteam unter Leitung von Dr. Gabriella Urlaub ein ungewöhnliches neues Anwendungsgebiet für diese rekombinationsfähigen Viren an.«
Während der Ansager sprach, sprang der Film mit raschen Schnitten von Labor zu Labor. Auf allen Einstellungen waren weiß gekleidete Wissenschaftler zu sehen, die durch Mikroskope nicht näher bezeichnete Dinge betrachteten. David nahm an, daß es die Viren sein sollten, von denen gerade die Rede war.
»Mit finanzieller Unterstützung des National Institute of Health entwickelte Dr. Urlaub ein Virus, das in der Lage ist, Chromosomen zu reparieren, die beispielsweise bei einer Krebstherapie beschädigt wurden.«
Der Sender schaltete um zu einem Interview mit der Wissenschaftlerin. Sie sprach mit leichtem Akzent.
»Unsere Forschungen konzentrierten sich auf das einfachste der menschlichen Chromosomen, auf das männliche Chromosom Nummer 46.« Das Bild zeigte wieder den Nachrichtensprecher.
»Dieses ungewöhnliche Chromosom wird aufgrund seiner auffälligen Form auch als ›Y-Chromosom‹ bezeichnet. Manche Wissenschaftler bezeichnen das Y-Chromosom sogar als das ›beschädigte‹ Chromosom, weil ihrer Meinung nach das Y eine verkümmerte Form der normalerweise wie ein ›X‹ geformten Chromosomen sei.
Das Virus, das die Forscherin entwickelte, hat einen bemerkenswerten Effekt«, erklärte der Ansager weiter, während das Bild zu einer mikroskopischen Ansicht eines Chromosoms wechselte. Es sah aus wie ein grobkörniges Amateurvideo, das zwei Würste zeigte, die zusammen in einer Suppenterrine schwammen. David sah, wie sich an einer Seite des Y eine Beule bildete, die rasch zu einem normal großen Strang heranwuchs. »Das Virus ›repariert‹ wirkungsvoll das beschädigte Y-Chromosom zu einem vollständigen X-Chromosom.«
In der Wissenschaftsrubrik der Zeitung war eine Meldung zum gleichen Thema abgedruckt. »Na, Liebes, was hältst du davon?« David setzte sein Bier ab und gab seiner Frau die Zeitung.
Sie legte ihr Buch fort. »Was meinst du?«
»Das hier.« Er zeigte ihr den Artikel. »›Wissenschaftler entdecken Mittel zur Geschlechtsumwandlung.‹ Ein schönes Mittel, was? Einmal spritzen, und peng!«
Joan nahm die Zeitung und überflog den Artikel. »Ganz so einfach ist das aber nicht. Hier steht, daß es kein Mittel ist, sondern ein Virus. Und es braucht zehn bis fünfzehn Wochen, bis es wirkt. Nicht ganz so ›peng‹, wie du meinst.«
»Aber immerhin. Was werden die wohl als nächstes erfinden? Wie man Menschen in Hunde verwandelt? Oder vielleicht sogar umgekehrt? Stell dir vor, wir könnten Prinz in einen Menschen verwandeln.« Er langte hinunter und kraulte die Ohren des Hundes. Prinz nahm die Zuwendung mit langsam trommelndem Schwanz zur Kenntnis. »Wie würde dir das gefallen, Prinz, mein Junge? Wolltest du nicht schon immer ein Mensch sein? Zur Arbeit gehen, von acht bis fünf in der Buchhaltung arbeiten, mittags eine Stunde Pause zum Essen? Nein? Willst du wirklich lieber ein Hund bleiben und den ganzen Tag schlafen und dein Hundefutter in einer hübschen Schale vorgesetzt kriegen? Ich kann dir keinen Vorwurf machen, alter Junge. Überhaupt nicht.«
Joan lachte. »Ich glaube, das wäre gar nicht so einfach. Männer und Frauen gehören ja nicht verschiedenen Arten an wie Menschen und Hunde.«
»Oh, wirklich? Du kannst das ja glauben, aber ich muß mich manchmal schon wundern.«
Claire Trillman war schlecht dran. Sie war eine Frau, das war klar. Sie fühlte sich wie eine Frau, sie kleidete sich gern in Rüschen und Spitzen, sie sehnte sich nach einem Baby, das sie halten und stillen und lieben konnte. Sie hatte nur ein einziges Problem. Das Problem war ihr Körper, ihr armer, häßlicher, gemeiner Körper, der als Mann geboren worden war. Das war nicht ihre Schuld. Sie war so sehr eine Frau wie diejenigen, die durch einen blinden Zufall das Glück gehabt hatten, mit dem richtigen Körper geboren zu werden. Mindestens.
Sie sparte ihr Geld und wartete ungeduldig auf den Tag, an dem sie sich endlich die Operation würde leisten können. Sie würde sich das häßliche Stück Fleisch abschneiden und ihren Körper zu den wundervollen Kurven umformen lassen, die sie in sich schon spüren konnte. Bis zu ihrem großen Tag trieb sie sich im Le Papillon herum.
Sie hatte es auch schon woanders versucht. Einmal hatte sie eine Bar gefunden, die ihr gefiel. Es war ein Lokal gewesen, das von Geschäftsleuten besucht wurde, und das nicht so billig und heruntergekommen aussah wie die meisten anderen. Es war so nahe am Büro gewesen, daß sie sich dort umziehen und direkt nach der Arbeit hingehen konnte. Es hatte ihr wirklich gefallen, bis eines Tages ein Mann zu aufdringlich geworden war. Er hatte sie in die Ecke gedrängt und ihr die Hand unter den Rock geschoben. Sie war nicht sicher, wer von ihnen mehr erschrocken war. Nach der Prügelei, die daraufhin ausbrach, hatte man ihr unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß sie sich nicht mehr blicken lassen sollte. Aber das hatte sie sowieso nicht vorgehabt. Die Leute im Papillon verstanden sie jedenfalls. Manchmal mußte sie trotzdem noch aufdringliche Kerle abwimmeln, aber wenigstens wußten die Männer dort Bescheid. Sie ließ sie immer abblitzen. Sie würde ›es‹ nicht tun, beschloß sie, solange sie es nicht als richtige Frau tun konnte.
Sie war ein altmodisches Mädchen.
An diesem Abend wartete sie darauf, daß Fred Feierabend machte. Freddy war ein Schatz. Er arbeitete in der Stadt als Labortechniker, und er hatte ihr wichtige Informationen über ihre Operation verschafft: Er kannte die Preise und wußte, wo die Leute am besten arbeiteten und so weiter. Am Telefon hatte er gesagt, daß er auf eine große Sache gestoßen sei. Sie fragte sich, was es wohl war.
Gene sind die Blaupausen, die ein Organismus benutzt, um den Körper aufzubauen und zu erhalten. Wenn der Körper nicht zu seiner genetischen Blaupause paßt, beginnen die Selbstreparaturmechanismen zu wirken und korrigieren den Körper, bis er mit den genetisch festgelegten Vorgaben übereinstimmt. Das geht so weit, daß sogar unerwünschte Zellverbände absorbiert oder abgebaut und andere aufgebaut werden, bis alles dem Plan entspricht. Dieser Prozeß verläuft überraschend schnell. Die Proteine, aus denen der Körper gebildet wird, werden rasch zerlegt und ersetzt. Ein Protein im Muskelgewebe hat beispielsweise eine Lebensdauer von nur neunzig Tagen, bis es ausgewechselt wird, und in etwa der gleichen Spanne kann der Körper Zellverbände nachbauen, bis sie einer modifizierten Blaupause entsprechen.
Verändere die Blaupause, und du veränderst den Körper. Diese Transformation ist ein Prozeß, der ungefähr drei Monate in Anspruch nimmt. Dies schließt sogar Veränderungen des Skeletts ein. (Dachtest du etwa, die Knochen seien etwas Dauerhaftes? Auch die Knochen werden wie alles andere im Körper ständig aufgebaut und wieder abgebaut.)