Ich hatte mich darauf konzentriert, den Rhythmus mitzuzählen – ich glaube, es war ein Elfdrittel-Takt –, als mir der Geruch in die Nase stieg. Der gleiche fremde und gleichzeitig vertraute Geruch, der mir schon beim Betreten des Clubs aufgefallen war, bloß stärker diesmal. Sehr viel stärker. Ich blickte mich um. Da. Neben mir, auf die Bar gestützt, darum bemüht, Hughs Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Shi’an. Ein Alien.
Bewußt wurde mir das erst nach dem Moment des Wiedererkennens. Währenddessen dachte ich überhaupt nichts. Ich reagierte. Die Erregung wallte in mir hoch wie etwas, das ich glaubte aushusten zu müssen, um nicht daran zu ersticken. Meine Eier prickelten und strafften sich. Der Perus bäumte sich mir in seinem Behältnis aus Baumwolle und Synthetikfaser.
Ich hörte ihn sagen: »Noch was von dem Boots Brandy da, Taffy?« Die Stimme war ein rauchiger Alt; keine Männerstimme. Keine Frauenstimme. Keine menschliche Stimme. Der Akzent ließ sich nicht einordnen, doch ansonsten klang alles ganz richtig.
»Bedaure, ist uns ausgegangen, Loonturievo«, antwortete Hugh, der Barkeeper. »Aber wir haben noch Hedex Extra.«
Der Shi’an machte ein Gesicht, das mir nichts sagte, aber es mußte wohl Abscheu bedeutet haben, denn er meinte: »Scheiße.«
Ich hatte immer gedacht, sie würden nicht fluchen. Rein wie Engel, so stellte ich sie mir vor. Reinen Herzens und reinen Worts.
Hugh stellte mich vor: »Ein Bruder aus dem Land der Lieder.«
Der Shi’an sah mich an.
Ich hörte den Atem eines Wesens aus sechzig Lichtjahren Entfernung.
Ich sah seine Augen, die wie Katzenaugen waren: schwarze Ovale auf gold-grünem Grund.
Ich sah seine Haut, glatt und rötlich verbrannt, wie feinstes Terrakotta. Aber weich und warm.
Ich sah die breite Nase – der Geruchssinn ist für sie so wichtig wie für uns das Sehen, habe ich irgendwo gelesen. Die Nüstern blähten sich. Er schnupperte meinen Geruch. Den Geruch eines Menschenmannes.
Ich sah die dreifingrigen Hände, die kleinen, tief angesetzten Ohren und den Streifen weichen, dunkelroten Fells mitten auf dem Schädel, der sich entlang des Rückgrats zu einer schmalen Linie verjüngte.
Mein Penis war so hart, daß sich meine Hose bestimmt wölbte wie ein Zirkuszelt. Mein Gott; er mußte es merken. Er mußte es riechen. Ich konnte nicht sprechen. Mir gingen ein Dutzend unterschiedliche Gesprächseröffnungen durch den Kopf, aber ich brachte keine davon heraus. Ich bewegte sinnlos die Hände. Ich wurde rot. Ich grinste wie ein Idiot und verschüttete mein Red Stripe auf die Theke. Der Alien tänzelte blitzschnell zurück. Es sind schnelle Leute. Geborene Jäger. Nicht so kräftig wie wir, aber schnell. Auch das habe ich irgendwo gelesen.
Oh, mein Gott. Dabei stand auch, daß für sie ein Lächeln – ein dummes, albernes Grinsen – eine Drohung darstellt. Ein Zähnefletschen. Wenn sie lächeln, dann blinzeln sie. Ganz langsam. Ich hätte ihm ebensogut mit der Faust drohen können. Er nahm das Wasser und die minderwertigen Aspirintabletten und ging zu einem Tisch mit drei Männern, die ihn zu sich gewinkt hatten. Er bewegte sich geschmeidig. Wie die meisten wunderschönen Wesen, die ich je gesehen habe. Ich wußte immer noch nicht, ob er nun männlich oder weiblich war – die Geschlechtsunterschiede bei ihnen sind chemischer, nicht körperlicher Natur. Als ich jedoch sah, wie ihm einer der Männer den Arm um die Hüfte legte und ihn an sich zog, hätte ich ihm dafür, daß er es wagte, ein so wundervolles Wesen zu beschmutzen, am liebsten mit einem Stuhl den Schädel eingeschlagen.
»Ich hab’s vermasselt«, sagte ich zu Hugh.
»Es kommen noch mehr.«
Und sie kamen. Viele sogar. Manche trugen Menschenkleidung – Männer- wie Frauenkleidung; da beide Geschlechter bei ihnen gleich waren, konnten sie tragen, was ihnen gefiel -; andere wiederum bevorzugten ihren eigenen Stil. Manche trugen extravagante, exotische Kostüme; das waren die Männer in ihrer Tänzerkluft. Mit Stickereien verzierte Stoffröcke; kunstvolle hohe Krägen, in denen sie groß und schlank wirkten; mit Perlen, Drähten, Spiegeln und Juwelen geschmückte Kopfbedeckungen. Bevor sie ihren Fuß auf die Erde gesetzt hatten, waren diese Kostüme über zahllose Jahrhunderte hinweg von Generation zu Generation weitergereicht worden. Ich beobachtete, wie diese prachtvoll gekleideten Wesen sich zu den Menschen setzten und die Getränke tranken, welche die Menschen ihnen spendierten, und mit ihren Katzenaugen über die Scherze und Komplimente lachten, welche die Menschen ihnen machten. Wie konnten es diese schmutzigen, dicken, verdorbenen Affenmenschen mit ihren gierigen kleinen Hormonen, ihren zielstrebigen Penissen und hungrigen kleinen Vaginen bloß wagen, ihre Fingerabdrücke auf dieser vollkommenen Roterdehaut zu hinterlassen, sich auf der Tanzfläche an diesen hochgewachsenen, schlanken Körpern zu reiben und ihre stinkenden Finger unter diese wundervollen, uralten Kostüme zu stecken, um aufzuknöpfen, Reißverschlüsse zu öffnen und zu entkleiden?
Wie konnten sie das bloß zulassen?
Ich merkte, daß ich vor Empörung zitterte.
Hugh fing meinen Blick auf.
»Sie haben Glück«, sagte er. »Gerade gekommen.« Er schenkte ein Pint ein, schnippte eine Aspirintablette in ein Glas Perrier und blickte rasch zum Ende der Bar, zu dem Platz neben dem Zigarettenautomaten.
Er war ganz allein; saß auf einem Barhocker und ließ seinen Blick über die besetzten Tische schweifen und wieder zurück zur Bar. In der dreifingrigen Hand hielt er ein leeres Glas. Sein Blick fiel auf mich. Ich hob die Brauen, die Grußgeste der Shi’an. Die goldenen Augen hielten meine fest. Ganz langsam blinzelten sie. Ich trug meinen Hocker ans Ende der Bar und zwängte mich neben ihn.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Das sagte ich dann auch.
»Sie könnten mir erst mal einen Drink spendieren«, meinte der Shi’an.
Mit schwankender Stimme bestellte ich ein Red Stripe. »Und etwas für meinen Freund.«
»Für mich ein Light«, sagte der Alien.
»Ich dachte, Alkohol wäre Gift für Sie.«
»Er ist für uns beide Gift. Die Dosis unterscheidet sich, das ist alles. Manche von uns entwickeln eine Vorliebe dafür.«
Hugh brachte die Getränke und berechnete mir eine Summe, die ich an jedem anderen Ort, zu jeder anderen Zeit, in jeder anderen Gesellschaft als Zumutung betrachtet hätte.
»Wie wirkt er auf Sie?« fragte ich.
»Lassen Sie sich überraschen.« Der Alien blinzelte wieder langsam mit den Augen. Ich verkniff mir ein Lächeln und blinzelte zurück.
Ich redete. Den üblichen Stuß, über mich und wo ich herkam, und wie immer entschuldigte ich mich dafür und erzählte, was ich machte und warum ich mich gerade in London aufhielt und wie ich auf den Club gestoßen war und daß es so etwas bei uns in Wales nicht gäbe; bei uns gäbe es nämlich überhaupt keine Shi’an, und die ganze Zeit über hätte ich am liebsten den Mund gehalten, weil ich eigentlich nur diesen wunderschönen, schlanken, unglaublichen, attraktiven Alien anschauen wollte, der blinzelnd neben mir saß. Ihn anschauen. Und anschauen.
»He, Mister«, sagte er und unterbrach den Fluß meiner verrückten Konversation. »Möchten Sie tanzen?«
Den ganzen Abend hörte ich jetzt schon die Shi’an-Musik und versuchte zu vergessen, was sie bewirkte und wie sie funktionierte. Als ich zusammen mit dem Alien – Serracord, flüsterte er mir ins Ohr, als wir uns aneinanderrückten – auf der Tanzfläche stand, begriff ich es. Sie funktioniert nur, wenn man dazu tanzt. Dann ist es eine überwältigende Erfahrung. Es gab nur noch mich und Serracord und die Shi’an-Musik. Die projizierten Sterne und Galaxien wanderten wie Jahreszeiten über unsere Haut. Ich hätte die ganze Nacht durchtanzen können. Genau wie in dem Song aus diesem alten Musical. Ich wollte es auch. Ich wußte, daß ich es konnte. Vielleicht tat ich es sogar. Ich wußte es nicht. Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, etwas möge niemals aufhören, wie in dem Moment, als ich mich an die warme, fremdartige Haut von Serracord, dem Shi’an, drückte und tanzte. Die Zeit verflüchtigte sich. Der Raum löste sich auf.