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Es fiel ihr schwer, sich aus dem Traum zu lösen. Sie wollte es nicht, aber die menschliche Welt drängte sich hinein und kratzte an ihr, bis die Schneckenwelt verschwand.

»Hallo, Schatz, wann gibt’s Abendessen? Die Kinder haben Hunger. Wann wachst du endlich auf, Schatz?«

Sie schlug die Augen auf und blinzelte, gelähmt von der Fremdartigkeit von Hurleys Gesicht, dessen Kinnpartie von einem stacheligen, bläulichen Eintagebart bedeckt war. Sie fühlte sich innerlich kalt, beraubt, als hätte sie etwas Wertvolles unwiederbringlich verloren. Er langte lächelnd nach unten und rieb ihr mit dem schwieligen Daumen über den Mundwinkel.

»Was ist das?« sagte er. »Hast du Hustensaft getrunken oder so?« Dieser Gedanke schien ihn zu amüsieren. Sein Lachen rüttelte ihr Gehirn durch.

Sie setzte sich auf und rieb sich mit dem Handrücken über die Lippen, um den Benzingeschmack seines Daumens loszuwerden. Auf ihrer Haut blieb ein blaßgrüner Fleck zurück. Ähnliche grüne Punkte sprenkelten ihr Kissen. Sie starrte sie wie versteinert an. Sie erinnerte sich sehr genau, wie sich das Blatt in ihrem Mund angefühlt hatte. Der Wiesengeschmack kitzelte sogar noch immer ihre Zunge. Sie bückte sich und schnupperte am Kissen. Der Duft von frischgemähtem Gras stieg von dem feuchten Stoff auf, unbestreitbar und schockierend.

Sie sprang mit einem Satz aus dem Bett. Hurley fuhr erschrocken zurück und verzog ungläubig das Gesicht, als sie sich die Bluse vom Leib riß, so daß Knöpfe absprangen und Nähte aufplatzten. Sie stieß sie mit dem Fuß in eine Ecke, stand zitternd da und wagte es nicht, den Blick von ihr zu wenden, aus Angst, die Welt um sie herum könnte sich in Blätter verwandelt haben, die größer waren als Menschen.

Nach einem Augenblick verwirrten Schweigens setzte Hurley ein pfiffiges Grinsen auf. »Noch nicht ganz wach, hm? Muß ja ’n toller Traum gewesen sein«, sagte er und ließ seinen Worten ein schallendes Gelächter folgen. Er kam herüber und kniff sie in den Hintern. »Na ja, um die Zeit solltest du eh auf sein. Kannst doch nicht wie die Königin von Saba um acht Uhr abends im Bett liegen. Hoffentlich bist du nicht krank oder so. Du mußt morgen zur Arbeit.«

Hurleys Worte über die Arbeit und die Uhrzeit brachten sie rasch wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie zwinkerte die Traumvision weg und fuhr sich mit der Zunge im Mund herum, um den grünen Geschmack zu beseitigen. Auf einmal war sie wütend auf sich, weil sie die Bluse kaputtgemacht hatte.

»Keine Sorge«, sagte sie und strich sich die feuchten, zerzausten Haare glatt. »Ich mach was zu essen. Hast du Hunger?«

»Nein. Ich hab ’n paar Bier getrunken.«

»Von Bier allein kann man nicht leben.« Ellie zog eine Schublade auf und schlüpfte in ein altes T-Shirt.

In der Küche fühlte sie sich sonderbar losgelöst und wacklig. Was, wenn sie nun wirklich krank war? Ein kleiner Blitzstrahl der Panik durchzuckte sie. Sie konnte es sich nicht leisten, nicht zur Arbeit zu gehen.

»Mom ist auf, Kinder!« rief Hurley.

Robby tanzte wie ein aufgeregtes Hündchen um sie herum, als sie sich die Schürze umband. »Was gibt’s zu essen, was gibt’s zu essen, was gibt’s zu essen?«

Caroline, die mit einer Flasche schillernden Nagellacks am Tisch saß, zeigte ihm einen Vogel. »Halt die Klappe, du Stinktier. Was interessiert’s dich überhaupt? Du hast grade drei Twinkies gefressen.«

Ellie seufzte und machte den Küchenschrank auf. Eine Dose Thunfisch, eine Dose Erbsen, ein Beutel Kartoffelchips. Sie hatte schon mit weniger eine Mahlzeit hingezaubert. Während sie den Griff des Dosenöffners drehte, dachte sie plötzlich wieder an das Blatt – das schmackhafte, feuchte Blatt, das delikat an ihrem Mund vibrierte. Die Erinnerung war so real, daß sie einen Schreck bekam. Sie schnappte nach Luft und ließ die Dose fallen, so daß sie Erbsenwasser vom Boden aufwischen mußte. Caroline lachte, aber Hurley und Robby starrten sie mit einem Gesichtsausdruck an, in dem fast so etwas wie Besorgnis lag.

Die saubere Wäsche stand noch auf dem Tisch, wo Ellie sie hingestellt hatte. Das Hemd obenauf war mit Twinkie-Krümeln und Creme verschmutzt. Ohne die Krümel wegzuwischen, nahm Ellie die Stapel von Blusen, Unterwäsche und Shorts und legte sie neben Hurley, der gerade fernsah, auf die Couch. Während sie das Essen machte, träumte sie mit offenen Augen von Schnecken. Sie füllte drei Teller, brachte sie ins Wohnzimmer und stellte sie Robby, Hurley und Caroline, die nur Augen für ›Americas Funniest Home Videos‹ hatten, auf zusammenlegbaren Tabletts hin. Sich selbst stellte sie auch einen Teller hin, aber sie aß nicht viel. Die Erbsen waren in Ordnung; bei dem Gedanken an Thunfisch wurde ihr übel. Als sie die Reste ihres Essens in den Müll kratzte, wehte der Geruch der kühlen Abendluft durchs Küchenfenster herein. Grillen zirpten leise. Sie schaute hoch.

Auf dem Fensterbrett stand ein Glasgefäß mit einer Schnecke darin. Das weiche Fleisch ihres Kopfes war säuberlich mit einer Stecknadel durchbohrt worden. Vor Ellies Augen zog sich die Schnecke zusammen, um in ihr Gehäuse zu schlüpfen; von der Nadel gestoppt, schob sie sich wieder heraus. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals, bis Ellie ihr Entsetzen endlich soweit überwand, daß sie den Deckel des Glases abschrauben konnte.

Sie zögerte. Mit Schneckenschleim kannte sie sich aus. Den bekam man nicht mal mit Seife wieder ab. Aber da war die Schnecke, die immer wieder die Stecknadel gegen ihr Gehäuse rammte und sich in dem törichten Bestreben, sich zu schützen, das eigene Fleisch zerriß. Sie hielt die Luft an, drückte eine Seite des glitschigen Kopfes mit dem Zeigefinger nieder und zog die Nadel heraus. Sie hörte ein Geräusch, ein leises Quietschen. Vielleicht war es nur die Flüssigkeit gewesen, die in den Raum geströmt war, den vorher die Nadel eingenommen hatte. Konnten Schnecken schreien? Spürten sie Schmerz? Sie wußte es nicht.

Die Schnecke lag ausgestreckt unter ihrem Gehäuse. Sie bewegte sich nicht mehr. Mein Gott, ich habe sie umgebracht! dachte Ellie. Sie begann zu weinen. Es gelang ihr nicht, das leise zu tun.

Hurley kam in die Küche gestampft. »Was ist denn?« rief er. »Ich kann den Fernsehton nicht mehr hören!«

»Caroline!« kreischte Ellie.

Caroline kam hinter ihrem Vater hereingeschlendert. Sie tat so, als würde sie ihre Fingernägel begutachten. Ihre Lippen zuckten in einem merkwürdigen, nervösen Grinsen. »Was ist?« sagte sie.

»Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?« schrie Ellie, hielt ihrer Tochter das Gefäß mit der toten Schnecke vor die Nase und schüttelte es.

Caroline verdrehte die Augen. »War doch bloß so zum Spaß. Nun flipp nicht gleich aus, Herrgott noch mal.«