Dr. Urlaub: Es gibt kein Serum. Ein Serum veranlaßt das Immunsystem, Antikörper zu produzieren, die auf bestimmte Charakteristika des Proteinmantels eines Virus ansprechen. X ist ein synthetisches Virus. Es wird vom Immunsystem ignoriert. Aber ich möchte noch einmal daran erinnern, daß das Virus nicht ansteckend ist.
Senator Holupka: Woher wissen wir, daß es nicht ansteckend ist?
Dr. Urlaub: X ist ein synthetisches Virus, Senator. Natürliche Viren haben Millionen Jahre der Evolution gebraucht, um einen ›Vektor‹ zu entwickeln – das heißt, um eine Möglichkeit zu finden, sich von einem Organismus auf einen anderen auszubreiten. Diese Fähigkeit fehlt dem X-Virus. Es kann sich nur replizieren, wenn es in einer Konzentration, die viel höher ist als unter natürlichen Umständen möglich, direkt in die Blutbahn gespritzt wird.
Senator Holupka: Aber könnte es nicht mutieren?
Dr. Urlaub: Nein. Krankheitsvektoren sind nicht das Resultat von ein paar kleinen Veränderungen in der Genstruktur, Senator. Sie sind spezialisierte Verhaltensmuster, die, wie ich schon sagte, Millionen Jahre der Koevolution brauchten, um sich zu entwickeln. Dies ist viel zu kompliziert, als daß es zufällig geschehen könnte.
Senator Holupka: Darf ich Sie in dieser Hinsicht beim Wort nehmen?
Dr. Urlaub: Ja.
Senator Holupka: Nun, was Sie hörten, ist die Expertenmeinung einer Wissenschaftlerin – und ich möchte Sie daran erinnern, daß es auch nicht mehr ist als eine Meinung –, daß diese gefürchtete Krankheit sich kaum ausbreiten könne wie die AIDS-Epidemie in den letzten Jahrzehnten. Angesichts der Konsequenzen für die Nation möchte ich jedoch empfehlen, sofort das Notstandsrecht in Kraft zu setzen und dafür Sorge zu tragen, daß alle existierenden Vorräte des Virus sofort zerstört und daß jede weitere Forschung in dieser Richtung per Gesetz verboten wird, bis eine umfassende Bewertung der Konsequenzen und Folgewirkungen …
»Psst!«
David Valient ging langsamer. Er sah sich um.
»He, Sie da!«
»Ich?«
»Yeah. Wollen Sie sich schnell ein paar Mäuse verdienen?«
»Kein Interesse.« David ging wieder schneller.
Der kleine Mann rannte hinter ihm her und faßte ihn am Ärmel. »Fünfhundert Dollar für drei Minuten Ihrer Zeit. Nichts Illegales.«
Trotz seiner instinktiven Vorsicht wurde David neugierig. »Okay, ich beiße an. Worum geht es?«
»Nein, Sie sind kein Fisch am Haken. Sie sind ein Wechsler, oder?«
David blieb wie angewurzelt stehen. »Was soll das denn heißen?«
»Sie sind doch einer, oder? Ich meine, so wie Sie gehen. Und die Muskeln in Ihrem Gesicht. Ich habe das gleich gesehen.«
»Ist das so offensichtlich? Der Arzt meinte, es dauert bestimmt noch zwei Wochen, bis …«
»Ich weiß eben, worauf ich achten muß. Hören Sie, ich schlage Ihnen folgendes vor. Ich bekomme von Ihnen einen halben Liter Blut, das dauert nur drei Minuten, und Sie bekommen dafür fünfhundert Dollar. Keine Namen, keine Akten, keine Steuern. Was sagen Sie?«
»Wozu brauchen Sie das Zeug?«
»Sagen wir, wir sind Menschenfreunde. Wir verkaufen es ans Rote Kreuz.«
»Klar.« Er wollte sich entfernen. Der kleine Mann folgte ihm.
»He, wenn Sie es unbedingt wissen wollen«, sagte er, »vielleicht stecken wir es auch in eine Zentrifuge, konzentrieren es und extrahieren das Virus.«
»Ist das nicht illegal?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Was Sie betrifft, brauchen Sie nur zu wissen, daß der Verkauf von Blut nicht illegal ist. Niemand kann Ihnen etwas vorwerfen. Was uns angeht – nun, wir befriedigen einfach die Nachfrage.«
David wurde übel. Dieser Mann – oder einer wie er – hatte das Virus verkauft, das ihn erwischt hatte. Er packte den kleinen Mann am Kragen. »Ihr macht mich ganz krank. Unschuldige Menschen sind …«
Von David unbemerkt tauchten zwei kräftige Männer aus dem Schatten hinter ihm auf. Einer faßte ihn am Ellbogen, während ihm der andere etwas Scharfes in die Rippen drückte. »Sollen wir ihn erledigen, Boss?« fragte einer der beiden.
»Nein. Den Streß können wir nicht gebrauchen.« Der Kleine wandte sich wieder lächelnd an David. »Immer mit der Ruhe, ja? Denken Sie mal darüber nach. Wenn Sie wollen, können wir uns sicher irgendwie einigen. Vielleicht einmal in der Woche oder so? Fünfhundert Dollar einmal wöchentlich, bis die Veränderung abgeschlossen ist, das ist doch gar nicht schlecht, oder?« Er winkte den beiden Männern, David freizugeben. »Denken Sie einfach mal darüber nach, ja?«
Macho Chuck bekam es von einer dürren, ärmlich gekleideten Frau. Wahrscheinlich eine Lesbe, die Arme, die kein Mann haben wollte. Sie tauchte aus der Menge in einem Buchladen auf, wo er eine Autogrammstunde für sein neues Buch gab (Das sinnlose Leben: Die traurige Wahrheit über die ›befreiten‹ Frauen. Manlich Press, 9,95 Dollar.) Sie schoß ihn mit einer Erbsenpistole auf die Stirn und verschwand im Einkaufszentrum, bevor die Wachleute reagieren konnten. Durch die Erbse war eine Nadel gesteckt. Und auf der Nadel, fand er eine Woche später heraus, war ein Wassertropfen mit Viren.
Er hoffte, sein Leben als Frau würde so bequem, wie er es immer beschrieben hatte. So oder so, er würde es bald wissen.
Irgendwie fand er die Aussicht seltsam erregend.
»Ich will mich nicht scheiden lassen, David. Ich habe versprochen, in Freud und Leid zu dir zu halten, und genau das werde ich tun. Ich habe nicht deine Eier geheiratet. Ich habe dich geheiratet.«
»Aber, Liebes, wie können wir denn verheiratet sein? Du hast einen Mann geheiratet. Ich bin absolut sicher, daß das Ehegelübde diese Möglichkeit nicht berücksichtigt.«
Das Ironische daran war, dachte Joan, daß er eine so gut aussehende Frau war. David war als Mann immer recht maskulin gewesen – behaarte Brust und so weiter –, und wie sich herausstellte, gab er nun eine sehr feminine Frau ab mit breiten Hüften und langen Beinen und großen blauen Augen und Brüsten, die groß genug waren, seinen – ihren – Pullover auszufüllen, ohne aber so groß zu sein, daß sie störten.
»Nicht einmal der verdammte Hund erkennt mich wieder.«
»Das ist mir egal«, sagte sie. »Ich habe dich geheiratet und nicht den Hund, und ich will mit dir verheiratet bleiben. Irgendwie wird es schon gehen. Wart’s nur ab.«
»Aus biologischer Sicht, Mike, sind Männer Frauen viel ähnlicher, als den meisten Menschen klar ist. Die deutlichen Unterschiede, die wir sonst bemerken – die Art der Kleidung, die Art zu reden oder sich zu bewegen –, sind gesellschaftlich bedingt. Der Wechsel, der durch die X-Infektion ausgelöst wird, ist eine proteingesteuerte hermaphroditische Transformation. Ein wundervolles Wort, das wir Wissenschaftler für Männer erfunden haben, die sich in Frauen verwandeln. Bei vielen niederen Lebensformen, etwa bei gewissen Fischarten und Amphibien, sind solche Veränderungen ein natürlicher Teil des Lebenszyklus. Die Fähigkeit zu einer solchen Veränderung bleibt ein Teil unseres evolutionären Erbes, der zum Leben erweckt wird, sobald die für die Transformation verantwortlichen Chromosomen angeregt werden.«
»Danke, Doktor Urlaub. Vielleicht könnten Sie für unsere Zuschauer einige besonders spannende medizinische Anwendungsgebiete nennen.«
Spannende Anwendungsgebiete, zum Teufel. David schleuderte die Fernbedienung vor den Bildschirm. Er brauchte sie ohnehin nicht. Die anderen Kanäle waren noch schlimmer.
David knüllte den zerfetzten Schlüpfer zusammen und warf ihn an die Wand. »Ich mag es nicht, eine Frau zu sein. Ich bin nicht gut darin, eine Frau zu sein.«