»He, glaubst du, ich bin gefragt worden, bevor ich geboren wurde? Hör auf zu jammern. Du kannst doch nichts ändern.«
»Wie soll ich mich verhalten, was soll ich tun?«
»Lerne, damit zurechtzukommen, wie es alle Frauen gelernt haben.« Joan seufzte und hob den kaputten Schlüpfer auf. »Ein letztes Mal, du darfst sie nicht am Bund hochziehen. Beginne bei den Füßen und schiebe sie Stück für Stück …« Mein Gott, dachte sie. Wie soll das erst werden, wenn er seine Tage kriegt?
»Wie Sie auf dem Röntgenbild sehen können, hat sich der Krebs eindeutig auf beide Hoden ausgebreitet. Bisher gibt es keine Hinweise auf weitere Metastasen, und wir sind ziemlich sicher, daß wir ihn an diesem Punkt zum Stehen bringen können. Wir können Ihnen zwei Möglichkeiten anbieten. Mit einer Dauergabe von Hormoninjektionen – die alle vierzehn Tage aufzufrischen wären – sollte ein junger Mann in Ihrem Alter fähig sein, auch ohne Hoden in praktisch jeder Hinsicht ein ziemlich normales Leben zu führen. Wir können Ihnen kosmetische Prothesen einsetzen, und außer Ihrem Arzt wird niemand davon erfahren. Sie können natürlich keine Kinder bekommen – jedenfalls nicht auf die … äh … übliche Art und Weise, aber auch da können wir Vorsorgen, indem wir jetzt schon Spermaproben einfrieren.
Die andere Möglichkeit – zu der sich immer mehr Menschen entschließen, die in der gleichen Situation sind wie Sie – besteht darin, Sie nach der Operation mit dem Transformationsvirus zu infizieren. Nach etwa zehn bis vierzehn Wochen sind Sie dann eine in jeder Hinsicht vollkommen gesunde, normale Frau. Ja, auch in dieser Hinsicht.
Ich kann natürlich verstehen, daß Sie darüber erst einmal nachdenken müssen.«
»Ich will meinen Daddy wiederhaben! Ich will nicht zwei Mamis haben, ich will meinen Daddy haben! Wo ist mein Daddy? Wo ist mein Daddy?«
»Davey, wenn du nicht sofort zu heulen aufhörst, werde ich dir einen richtigen Grund zum Heulen geben!«
Präsident Richard S. Nielsen machte Wahlkampf auf dem Haymarket Square. Er aß die obligatorische Frucht vom offenen Wagen eines Farmers (in diesem Fall war es ein Pfirsich), er blieb stehen und pries die Vorzüge der freien Marktwirtschaft, wie sie beispielhaft von den wundervollen amerikanischen Unternehmern im Publikum repräsentiert wurde, er ließ sich über die Schönheiten Bostons aus und schüttelte Hunderte von Händen. Eine der Hände, die er schüttelte, gehörte Theodore M. Harilak, der von seinen Freunden Hairy Harry genannt wurde. Er war ein ehemaliger Studentenrevoluzzer und ein hochgradig verstörter junger Mann.
»Aua!« Präsident Nielsen fuhr zurück und schlenkerte heftig seine Hand. Sofort sprangen zwei Geheimdienstmänner über den Gemüsewagen und zwangen Harilak auf die Knie. Der Präsident sah seine Hand an. »Schon gut, Jungs, es ist nur ein kleiner Schnitt.« Während einer der Geheimdienstleute Harilak mit geübten Bewegungen auf Waffen abklopfte, nahm der zweite Harilaks Hand und untersuchte sie. Von einem seiner Ringe, es war ein grünäugiger, goldumschlungener Drache, ragte ein spitzes Stück Draht hervor.
Im Verhör behauptete Harilak, die scharfe Kante am Ring sei zufällig entstanden. Er wurde festgehalten, und der Ring wurde beschlagnahmt, aber als das Labor keine Spur von Gift entdeckte, und da der Präsident bei guter Gesundheit blieb, wurde er ohne Anklage freigelassen, und der Ring wurde ihm repariert zurückgegeben.
Der Arzt des Präsidenten brauchte eine Woche, um zu erkennen, daß etwas nicht stimmte. Weitere zwei Tage vergingen, bis das Labor sagen konnte, was genau nicht stimmte und was man tun konnte.
Man konnte nichts tun.
»Ein Sprecher von Papst Johannes Paul III. bekräftigte heute in Rom die umstrittene Position der Kirche, daß Geschlechtswandler unabhängig von der Ursache ihrer Verwandlung automatisch als exkommuniziert zu gelten hätten. Allerdings blieb die Frage offen, ob gegen ihren Willen umgewandelte Katholiken nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Kirche eintreten können, möglicherweise aufgrund eines besonderen päpstlichen Dispenses. Wie erwartet, beharrte die Kirche auch auf ihrem Standpunkt, daß alle Ehen, an denen Umgewandelte beteiligt sind, für ungültig zu erklären seien. Dies könnte für James Allston besonders heikel sein, da er von seiner Frau mit dem Virus infiziert wurde, nachdem er sich geweigert hatte, einer Scheidung zuzustimmen. Der Fall ist noch nicht entschieden.
Weitere Meldungen. Der sogenannte ›Katholische Kastrator‹ soll abermals in einem Priesterseminar außerhalb von Boston zugeschlagen haben. Zwei angehende Priester wurden anscheinend mit dem Transformationsvirus infiziert und gelten nun als das siebzehnte beziehungsweise achtzehnte Opfer des Täters. Der Vatikan lehnte jeden Kommentar zu den Vorfällen ab …«
Ultradünne Slipeinlagen oder sicherer Schutz? Extra weich gepolstert, extra saugfähig, Minis, an die Körperform angepaßte Super-Maxis, dünne Maxis oder maxi-dünn? Haftstreifen auf der Rückseite, ›atmungsaktiv‹, Super-Tampons. Bombensicherer Sitz. Super-saugfähig. Normal. Superplus. Für Mädchen, für etwas ältere Mädchen, für noch ältere Mädchen. Normal, Normal für Mädchen. Waschbare Einführhilfe, kompakte Einführhilfe, ohne Einführhilfe. »20 Prozent länger.« Mit Körperpaßform. Tampons mit Deodorant. Mit Deodorant Maxi. Dufttampons. Maxi ohne Duft. Dünn mit Deodorant. Maxi-Schutz. »Für die leichten Tage.« Leicht-Medium, Medium-Extra, Extra-Extra. »Voller Schutz.« Klinikpackung.
Zum Teufel, konnte er nicht einfach ein paar Kleenex zusammenknüllen? Anscheinend nicht. Für alle Fälle nahm er eine Packung von jeder Sorte.
Er versuchte, dem Burschen an der Kasse nicht in die Augen zu sehen.
Präsident Nielsen ließ seinen Pressesprecher erklären, daß er einen langen – und wohlverdienten, verdammt! – Urlaub auf seiner Ranch in Nevada antreten wolle. Aber die Journalisten glaubten es nicht. Jeden Tag schossen neue Gerüchte ins Kraut, die von Gehirnkrebs im Endstadium bis zu AIDS und Geheimkonferenzen mit Außerirdischen nichts ausließen. Verdammt auch. Wenigstens war bisher noch keiner auf den wirklichen Grund gekommen. Er fragte sich, wie lange er es noch geheimhalten konnte.
Welche Ironie. Die erste Frau im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten war nicht ins Amt gewählt worden.
»Ich weiß, daß du es versuchen möchtest, Joan, aber es tut mir leid. Es hat keinen Zweck. Ich will mit dir als Mann und Frau Verkehr haben, nicht als … als Lesbierin. Ich kann es nicht. Ich kann nicht.«
»Schreiben Sie als Geschlecht einfach ›weiblich‹, Doktor. Ist schon gut, in ein paar Wochen ist sie sowieso ein Mädchen. Es ist mir egal, ob Sie das für falsch halten. Wir können uns das Mittel ja auch auf dem Schwarzmarkt besorgen. Meine Frau hat schon zwei Jungen, und jetzt will sie unbedingt ein Mädchen haben. Nein, das können Sie ihr ausreden, wenn Sie wollen. Ich stimme mit ihr überein. Zwei Jungen sind genug. Das neue Mittel ist eine tolle Sache für Leute wie mich, die kein Mädchen hinkriegen, und wenn sie es den ganzen Tag versuchen. Ich will Frieden in meiner Familie haben, das sage ich Ihnen.
Wir werden sie nach ihrer Großmutter Sara Jane nennen.«
»Siehst du das Messer, du Klugscheißer? Ich habe die Klinge mit diesem X-Zeug befeuchtet. Rück lieber das Geld raus, und zwar alles, und zwar bis morgen, denn sonst mußt du dich beim Pinkeln hinhocken, ist das klar?«
[Auszug aus der Pressekonferenz in Boston anläßlich Gabriella Urlaubs Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Medizin, den sie sich teilen wird mit Jacob Steinmetz vom Beth Israel Hospital, nominiert für die Chromosomentherapie des Tay-Sachs-Syndroms, und mit Esteban Garcia von der Universitätsklinik Mexico City, nominiert für die Chromosomentherapie der Ormond-Erkrankung.]