In Massachusetts übernahm eine Gruppe religiöser Fundamentalisten die Verantwortung für den Brandbombenanschlag auf die Medizinische Fakultät der Boston University. Die Klinik ist vor allem durch ihre Forschungen zum ›Transformationsvirus‹ bekannt geworden. Es gab bei dem Anschlag keine Verletzten, und ein Sprecher der Klinik sagte, man werde die Transformationsforschung wie geplant fortsetzen, um ein Virus zu entwickeln, das die X/Y-Verwandlung oder die Gegentransformation ermöglicht.
In Washington erklärten die Ärzte der Präsidentin …«
Es funktionierte nicht. Er – sie – ging fast jedes Wochenende aus, aber sie fühlte sich immer noch unerträglich einsam. Sie vermißte die tröstende Wärme Joans, die neben ihr schlief. Die Männer, mit denen sie ausging, waren kein Ersatz. Und sie vermißte den kleinen Davey.
Sex als Frau war schon in Ordnung – viel besser, als sie erwartet hätte –, aber sie fühlte sich hinterher immer so ausgenutzt. Sie wußte, daß die Männer, die mit ihr ausgingen, nicht an ihr als Person, sondern nur an ihr als neuer Eroberung interessiert waren. Sie versuchten, es zu vertuschen, aber sie konnte die Zeichen sehen und wußte genau, was die Männer dachten.
Ihr Job war schlimmer, als sie erwartet hätte. Als Mann war sie im Büro in Chicago reif für eine Beförderung gewesen, aber hier in Albuquerque wurde ihre Arbeit mit ›mittelmäßig‹ beurteilt.
Mit zitternden Fingern griff Davida nach dem Telefon, um Joan anzurufen.
Er fragte sich, ob sie schon einen neuen Freund hatte.
»Doktor Gabriella Urlaub, die berühmte Erfinderin des sogenannten Transformationsvirus, erklärte heute, man werde mit klinischen Tests eines umgekehrten Transformationsvirus beginnen, mit dessen Hilfe Frauen in Männer verwandelt werden können. Wie ein Sprecher der Klinik erklärte, wirkt das Transformationsvirus, das erprobt werden soll, nur bei ›natürlichen‹ Frauen, also bei denen, die nicht dem X-Virus ausgesetzt waren. Die Meldung erreichte uns zeitgleich mit der erwarteten kritischen Reaktion der katholischen Kirche, in welcher die Forderung des Papstes bekräftigt wurde, jegliche Forschung über die virale Rekonstruktion der DNS zu unterlassen. Der Papst selbst, der noch nicht aus seiner dreiwöchigen Meditationsklausur zurückgekehrt ist, gab keinen Kommentar.
Als nächstes die Chick Turner Show, in der es wie immer um heiße Themen geht …«
Davida schaltete das Radio aus.
»Außerdem werden wir nachweisen, daß der Arzt gegen seine beruflichen Pflichten verstieß, als er die Transformation bei einem Kind zuließ, das zu jung war, um aus eigenem Entschluß der Umwandlung zuzustimmen, und daß eine solche Transformation der üblichen medizinischen Ethik widerspricht und den Tatbestand eines Kunstfehlers erfüllt. Außerdem werden wir zeigen, daß die Transformation eines Kindes auf Veranlassung der Eltern, aus was für Gründen auch immer, einen Bruch des üblichen Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kind darstellt und entsprechend der Gesetze dieses Staates als Kindesmißbrauch zu bewerten ist.
Aufgrund von psychologischen Belastungen und aufgrund des Verlustes seiner Entscheidungsfreiheit mußte mein Klient eine Minderung seines Ansehens hinnehmen, die in der verminderten Achtung begründet ist, die diese Gesellschaft Frauen allgemein entgegenbringt. Auch dies werden wir dokumentieren. Weiterhin bedarf der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen keines weiteren Nachweises. Im Laufe der üblichen Lebensarbeitszeit wird sich dieser Unterschied für meinen Klienten zu einer Summe von einer Million und fünfhunderttausend Dollar aufaddieren. Wir verlangen eine Entschädigung für diesen Verlust, ferner weitere zwei Millionen Dollar als Schmerzensgeld für physische und psychische Belastungen, und zusätzlich eine pauschal mit sieben Millionen Dollar anzusetzende Ausgleichszahlung für nicht näher zu beziffernde Folgewirkungen.«
»In Massachusetts beschloß heute eine Grand Jury, alle Anklagepunkte gegen Ann Brownfield, ehemals Arnold Brownfield, fallen zu lassen. Brownfield hatte im ganzen Land für Schlagzeilen gesorgt, als sie wegen Inzest verhaftet wurde, weil sie sich mit von ihr selbst vor der Transformation gespendetem Samen selbst geschwängert hatte. Behördenvertreter erklärten, es sei unwahrscheinlich, daß das Verfahren gegen Mrs. Brownfield noch einmal aufgenommen werde, weil diese Situation von keinem existierenden Gesetz erfaßt werde. Die Legislative von Massachusetts arbeitet bereits an entsprechenden Bestimmungen.
In Rom gingen unterdessen die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fraktionen innerhalb der katholischen Kirche weiter. Militante Anhänger der Päpstin Jeanne-Paul III. wurden unter schweren Verlusten auf beiden Seiten zurückgeschlagen, nachdem sie im Morgengrauen einen Hubschrauberangriff auf die Stellung von Papst Innozenz XIV. unternommen hatten …«
»Sag mir die Wahrheit, magst du mich immer noch so wie früher?« Er ließ das Handtuch auf den Boden fallen und drehte sich langsam um sich selbst, um ihr seinen Körper zu zeigen. Winzige Tropfen spritzten von seinen Schultern.
»Komm schon ins Bett.« Er ging zu ihr. »Ja, du Dummkopf. Du bist immer noch du selbst, egal in welchem Körper du steckst. Selbst wenn du heute anders bist. Ist das ein Widerspruch? Aber es ist wahr.«
»Bin ich anders?«
»Ja. Selbstbewußter. Durchsetzungsstärker. Verdammt, du bist jetzt männlicher, so verrückt das auch klingt.«
»Nein, das ist nicht verrückt. Es ist wahr. Als Mann darf man ja durchsetzungsstark sein. Das wird geradezu erwartet. Als Frau hält man sich besser etwas zurück.«
»Der Bartwuchs hat mich schon etwas überrascht. Es sieht gut aus, versteh mich nicht falsch, aber als ich mich in dich verliebte, hätte ich nie gedacht, daß du mal einen dichten braunen Bart bekommst.«
John lachte. »Ich bin nicht mehr ganz die, in die du dich damals verliebt hast, das ist mal sicher. Ich dachte bloß, ich sei vielleicht doch schon etwas zu alt, um jetzt noch zu lernen, mich zu rasieren.«
»Du hast dir früher die Beine rasiert.«
»Das war was anderes.«
»Yeah, ich weiß«, sagte Davida. »Ich kapier’s immer noch nicht ganz.«
»Davey ist jedenfalls froh, daß er jetzt wieder eine Mommy und einen Daddy hat.«
»Yeah. Ich war überrascht, wie schnell er sich damit abgefunden hat. Ich glaube, weil er jetzt wieder einen von jeder Sorte hat, ist ihm egal, wer welche Rolle spielt.«
»Kinder sind wohl flexibel. Viel flexibler als wir. Es hat sich einfach alles verändert, was? Ich möchte wetten, daß die Leute eines Tages ihr Geschlecht verändern, wie wir heute unsere Frisur. Bist du es müde, ein Mann zu sein, dann lebe eine Weile als Frau. Und wir sind bei den ersten, die es tun.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Vida? Glaubst du, wir schaffen es?«
Sie zuckte die Achseln. »Wer weiß? Ich will es doch hoffen. Ich bin froh, daß du der Scheidung nicht zugestimmt hast. Ich glaube, unsere Ehe ist jetzt stärker als je zuvor. Wir hatten so oft Probleme, uns zu verstehen. Aber jetzt können wir sagen, daß wir uns wirklich kennen. Wir werden es schaffen, John. Ganz bestimmt.«
»Aber nur, wenn wir uns Mühe geben. Das müssen wir immer noch tun.«
»Yeah.« Sie kuschelte sich an ihn und knipste das Licht aus.
Originaltiteclass="underline" ›PARADIGMS OF CHANGE‹ • Copyright © 1991 by Geoffrey A. Landis • Erstmals erschienen in ›Interzone‹, November 1991 • Mit freundlicher Genehmigung des Autors und Thomas Schlück, Literarische Agentur, Garbsen • Copyright © 1996 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski • Illustriert von Jobst H. Teltschik