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Die Perücke umgab einen schmalen, knochigen Kopf. Die scharf vorspringende Nase des Fährmanns, sein fliehendes Kinn, das schwarze Fell, das sein Gesicht bedeckte, die zwei spitz aufgerichteten Ohren, wachsam aufgestellt gegen die Feluke, der er sich näherte, waren die eines Schakals. Er gehörte nicht der Welt der Männer und Frauen an, obwohl er mit ihnen verkehrte.

Nicht weniger beunruhigend war die unnatürliche Tatsache, daß seine still durch das späte Licht des Sonnenuntergangs gleitende Barke kein Spiegelbild auf das dunkelnde Wasser warf, und keinen Schatten in die Tiefen unter seinem Kiel.

Die Feluke war vom Hotel Assuan Sheraton am Ostufer des Nils abgefahren und kam langsam stromaufwärts voran. Ein leichter Nordwind blähte das Segel. Nicht einer der vierzehn Passagiere an Bord hatte etwas zu sagen, als ob die Feierlichkeit des Sonnenuntergangs auf ihren Gemütern lastete. Alle Blicke waren auf das ferne Westufer gerichtet, während die Sonne tiefer sank, aprikosenfarben im wolkenlosen Himmel. Oscar North saß eingezwängt im Heck der Feluke. Er war durchdrungen vom Bewußtsein der Absonderung. Er kannte keinen der Passagiere an Bord des Bootes, obwohl er wußte, daß sie diese Fahrt wie er vom Landeplatz der riesigen Betonwabe des Luxushotels angetreten hatten, die nun in aschgrauer Ferne hinter ihnen zurückblieb. Das heißt, einen der Fahrgäste hatte er inzwischen wiedererkannt, einen kleinen dünnen Mann mit spärlichem Haar und schweren Augenlidern, mit dem er am vergangenen Tag versehentlich im Foyer des Hotels zusammengeprallt war; dieser Mann wandte jetzt den Kopf und betrachtete North mit einem Blick, als wollte er ein Gespräch anfangen. North wich seinem Blick aus.

North ging auf die Vierzig zu. Er hatte keine Anstrengung gescheut, eine jugendliche Figur zu behalten, und an allen sportlichen Aktivitäten teilgenommen, die von der Abteilung organisiert wurden, in der er beschäftigt war, während er zur gleichen Zeit Abende in feuchtfröhlicher Runde mit Freunden aus dem Büro verbrachte. Die Züge seines breiten, knochigen Gesichts, besonders aber seine engstehenden farblosen Augen, wirkten ziemlich unbedeutend.

In der Personalakte der multinationalen Gesellschaft, für die Oscar North arbeitete, fand sich der negative Hinweis: ›Nicht sehr vielversprechende Herkunft.‹ Eine weitere Bemerkung bestand aus nur einem Wort: ›Konformist.‹

North blickte umher, ohne von dem dünnen Mann Notiz zu nehmen. Auf dem Wasser zu sein, empfand er im allgemeinen als etwas Besonderes, doch heute abend verspürte er nur Unbehagen, als ob dies eine Reise ins Unbekannte wäre, statt eines gewöhnlichen touristischen Ausflugs. Der mächtige Strom schien das Licht in sich zu sammeln, als der Himmel über ihm dunkelte. Schon glitzerten die ersten Sterne, und die schmale Mondsichel schien metallisch herab. Die Gesichter der anderen Fahrgäste verschwammen zu undeutlichen hellen Hecken und wurden anonym. Der dünne Mann beugte sich herüber und tippte mit dem Finger auf Norths Arm.

»Da ist Philae«, sagte er.

Er zeigte in die Fahrtrichtung der Feluke. Seine Stimme klang vertraulich, als ob er sich einbildete, ein Geheimnis mit North zu teilen.

North konnte weiter voraus nichts erkennen als Land und Felsgestein, schwarz vor dem wolkenlosen Abendhimmel. Vereinzelte Palmen ragten wie zornige schwarze Haarknoten in den Abendhimmel. Das leise Rauschen des vorbeistreichenden Wassers an den Bootsplanken konnte beinahe das Geräusch der anbrechenden Nacht sein, die sich über Oberägypten breitete.

Der dünne Mann erhob sich von seinem Platz und zwängte sich trotz der Enge auf die Heckbank neben North.

»Vor fünfzehn Jahren besuchte ich Philae mit meinem Vater. Ich habe es nie vergessen. Es ist zauberhaft, reine Magie – einfach phantastisch.«

Dazu schüttelte er den Kopf wie im Widerspruch zu seinen eigenen Worten.

North war unfähig zu irgendeiner Antwort. Er begriff, daß er verpflichtet war, freundlich zu einem Landsmann zu sein, doch war er hauptsächlich im Urlaub nach Ägypten gefahren, um seinen Landsleuten zu entkommen – auf der Suche nach etwas, das er noch zu entdecken hatte.

Schlimmer war sein Gefühl, daß dieser Kerl ihn verstand, ihn und seine Schwächen. Daher fühlte er sich in die Abwehr gedrängt und war widerwillig, zu sprechen.

Der dünne Mann aber wartete kaum auf eine Antwort, sondern fuhr beinahe ohne Unterbrechung fort: »Wir trafen uns in der Hotelhalle, wenn Sie sich erinnern – Sie hatten Ihre Frau bei sich. Eine gutaussehende Dame, würde ich sagen. Sie begleitet Sie nicht auf diesem Ausflug?«

»Ihr war nicht danach zumute«, sagte North.

»Darf ich fragen, wieso? Es heißt, die neue Darbietung von son et lumière auf Philae sei unübertrefflich.«

Wieder war North zu einer Antwort außerstande. Verärgerung stieg in ihm auf, als er an den heftigen Streit mit seiner Frau im Hotelzimmer dachte, bevor er gegangen war.

»Mein Name ist Jackson, Joe Jackson, und ich komme aus Jacksonville, Florida. Ich bin Leichenbestatter von Beruf, verheiratet, geschieden, drei Kinder, zwei Enkel«, sagte der dünne Mann, hielt ihm die Hand hin und schüttelte den Kopf.

»Oscar North«, sagte North und nahm die dargebotene Hand.

Die beiderseitige Vorstellung schien für Joe Jackson das Signal, die Schleusen seiner Beredsamkeit vollends zu öffnen.

»Es wird Nacht. Die alten Ägypter würden behaupten, daß Ra, der Sonnengott, unter der Welt segele, die Sonne sicher in seinem Boot verstaut … Sie hatten viele seltsame Vorstellungen dieser Art. Aber selbst heute, in diesem Zeitalter des Fortschritts, glauben die Menschen ziemlich seltsame Dinge, auch in den Vereinigten Staaten. Als der Jacksonville Bugle kürzlich eine Umfrage über Ausbildung durchführte, stellte sich heraus, daß zweiundsechzig Prozent der Befragten glauben, die Sonne kreise um die Erde statt umgekehrt …«

»Na ja, die Leute in den Städten …«

Er schüttelte den Kopf. »Das macht keinen Unterschied. Hier haben sie andere Vorstellungen, eine andere Mentalität, wie sie sagen. Es ist ein moslemisches Land. Sind Sie und Ihre schöne Frau schon einmal in Ägypten gewesen?«

»Dies ist das erste Mal, daß ich außerhalb der Vereinigten Staaten und Europas bin. Europa ist ziemlich amerikanisiert – wir besitzen ein gutes Stück davon, wie Sie wissen.« Er lachte unsicher.

»Der Glaube: das ist das Wichtigste im Leben«, sagte Jackson. »Was mich angeht, ich bin ein religiöser Mensch. Es verändert die Betrachtungsweise.«

In Sorge, der Mann sei im Begriff, philosophisch zu werden, sagte North kurz angebunden: »Nun, ich glaube an die protestantische Arbeitsethik.« Er kehrte dem Mann aus Florida die Schulter zu und blickte über das Wasser hinaus.

Es hatte den Anschein gehabt, als sei die Feluke kaum vorwärts gekommen, aber plötzlich tauchten die dunklen Umrisse von Land ganz in der Nähe auf, als der Steuermann den Kurs änderte. Felsen erschienen dicht neben dem Boot, von den ungezählten Überflutungen der Vergangenheit zu elefantenähnlichen Formen geglättet. Die Wirkung war so, daß man glaubte, sich zwischen einem Trupp gewaltiger Tiere an ein Wasserloch zu drängen.

Steinerne Tempel überragten den Mast der Feluke, nur um hinter einem felsigen Vorsprung zu verschwinden. Als das Boot in die Hafenbucht einlief, kam eine Reihe von Fackeln in Sicht, die einen Anlegeplatz und eine breite Treppe dahinter beleuchteten.

Beinahe gleichzeitig erhoben sich die Passagiere im Boot und standen schweigend. Es war ihnen bewußt, daß sie einen Übergang von einer Welt zu einer anderen vollzogen hatten. Dunkelheit hüllte sie ein. Niemand sprach. Paare hielten einander bei den Händen.

Die Besatzung sprang an Land und machte das Boot am Fuß der Stufen fest. Die Passagiere betraten die Insel und begannen den Aufstieg. Die Stufen waren breit und niedrig. Turbantragende Ägypter standen am Rand des Weges und bedeuteten ihnen weiterzugehen. Andere Wasserfahrzeuge kamen aus der Dunkelheit wie Falter zu einer Flamme, eine weitere Bootsladung Touristen betrat Philae mit gespannten und ernsten Gesichtern.