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»Sag ihm, er soll dir den Buckel runterrutschen«, sagte Winny. »Wir sind gerade erst angekommen.«

»Wir sind gerade erst hier angekommen, Larry.«

»Nun, wenn Sie bereit sind, es sausen zu lassen … Das liegt bei Ihnen, Oscar. Sie wissen, was Armour umsetzt.«

»Ich glaube wirklich nicht, daß es so dringend ist, Larry. Sehen Sie, ich meine …«

»Wenn das Ihre Entscheidung ist, Oscar. Natürlich werde ich Schwierigkeiten haben, es morgen in der Besprechung zu erklären …«

»Können Sie ihnen nicht einfach sagen, daß ich Freitag zurück sein werde? Oder angenommen, ich käme Donnerstag zurück? … Mittwoch, dann?«

»Sag ihm, er soll sich den Job hinten reinschieben, Oscar!«

»Das liegt ganz bei Ihnen, Oscar. Ganz bei Ihnen. Ich will Sie nicht unter Druck setzen, aber Sie wissen, wie diese Dinge laufen. Und es ist Ihre Zukunft in der Gesellschaft zu bedenken.«

»Wie wäre es, wenn ich Dienstag zurückkommen würde, Larry?«

»Glauben Sie, Armour würde es verstehen? Ich muß bald zurückrufen. Sie wissen, wie es aussehen wird, wenn ich sage, daß Sie in Urlaub sind und nicht zur Verfügung stehen. Aber das ist allein Ihre Entscheidung, wenn Sie es so spielen wollen.« Larrys Stimme war kalt.

»Mein Gott, sehen Sie, Larry … Okay, ich werde morgen früh einen Rückflug buchen, einverstanden?« Er zwang Ironie in seine Stimme und fragte: »Wird Ihnen das früh genug sein?«

»Ich überlasse es ganz Ihnen, Oscar.« Die Leitung war tot.

North legte den Hörer auf, ohne seine Frau anzusehen.

»Oh, du Arschloch!« kreischte sie. »Du hast alles verdorben.«

Ein schmaler Mond schien auf die Insel Philae herab. Kein Lufthauch regte sich. Der große dunkle Strom umgab die Insel mit seinem Atem, während er von Süden nach Norden das alte Land durchfloß.

Noch immer kamen Touristen von der Anlegestelle herauf. Sie spürten die Trockenheit der Luft. Hier regnete es nie; alles Leben hing vom Fluß ab. Die Vegetation blieb seinen Ufern nahe, ein dünner bestickter Streifen, eingewebt in grenzenlosen Wüstensand. Und Joe Jackson zeigte zu einer der Riesengestalten, die in die Tempelwand gemeißelt waren, und sagte: »Sehen Sie den da? Den Gott mit dem Schakalkopf? Das ist Anubis.«

»Ich glaube, ich habe von ihm gehört«, sagte North. »Was tut er?«

»Anubis ist der Mittler zwischen den Lebenden und den Toten. Er verbindet die sichtbare mit der unsichtbaren Welt. Ein wichtiger Gott. Er hält Gericht und entscheidet, ob Sie die Ewigkeit in den Sommersternen oder im Abgrund verbringen.«

»Er ist furchteinflößend.«

»Ich habe ein besonderes Interesse an Anubis.« Das hastige Kopfschütteln, die nervöse Eigenart zu leugnen, was der Hund gesprochen hatte. »Wissen Sie, er ist auch der Gott der Medizin und der Einbalsamierung. Darum interessiert er mich besonders. Er entnimmt den Toten die Eingeweide und legt sie in Tonkrüge, die oft wie Tiere geformt sind, so daß sie bereit sind, wenn der Verstorbene in der Unterwelt eintrifft. Und was das Eigenartige daran ist … Moment!«

Er unterbrach sich, denn plötzlich drang Musik aus der trockenen Erde, die schrille Musik einer früheren Zeit, Musik von Hitze und Wein und Nacktheit und der Bronzezeit.

Die Beleuchtung der Tempelwände verblaßte, und sie versanken wie Geister in der Dunkelheit. Einen Moment lang herrschte nur die Nacht über viele.

Und der Mond schien herab und lähmte die Insel mit seiner Reinheit.

Dann erwachten farbige Flecken, grün, bronze, orange, und das Spektakel son et lumière begann.

Gemessene Stimmen, männliche und weibliche, in London gemietet, erzählten alte Geschichten von den Göttern und Göttinnen, die einst über die zwei Königreiche Ober- und Unterägypten geherrscht hatten. Von Ra, dem Sonnengott, von seinen Enkeln Geb und Nut, dem Gott der Erde und der Göttin des Himmels, und von ihren Kindern, zu denen Osiris gehörte, der Gott der Toten, und seine Schwester Isis, die später seine Gemahlin wurde. Als die absurde Geschichte ihren Fortgang nahm, öffneten sich neue Bezirke der Tempelanlage, und turbantragende Wärter führten die Besucher weiter, daß sie das nächste Kapitel der Geschichte in einem anderen Raum der heiligen Ruine hörten.

Feierlich zogen die Besucher an einer langen Kolonnade vorüber, deren Säulen Kapitelle trugen, von denen keines den anderen glich. Die Decke war mit Sternen und fliegenden Geiern geschmückt. Zwei Löwen aus Granit bewachten den Eingang zum inneren Tempelkomplex. Im Großen Hof stand das Geburtshaus. Hier wurde dargestellt, wie Isis den Horus gebar. Horus als Falke mit der Doppelkrone, Horus, der von Isis an der Brust genährt wurde. Alle die unheimlichen Nachkommen wurden an den Wänden lebendig, glommen in Bernsteingelb und Stumpflila, erschienen oder verschwanden nach dem Willen des Erzählers.

Und die Geschichte nahm ihren Fortgang. Blutschande, Mord, Verstümmelung, Bruder im Kampf gegen Bruder, eine Feuersbrunst von Todsünden und Ehrgeiz, inszeniert in einer früheren Welt, wo die Schilffelder voll von Wasservögeln waren, die Wälder voll von Hirschen und Leoparden, die Himmel voll von Gänsen und Tauben und die Gedanken der Menschheit voll von dem Glauben an frühere Existenzen, bevor der Intellekt geboren wurde.

Oscar North ging wie in einer Betäubung zwischen Hallen, Heiligtümern, rituellen Darstellungen von Opfergaben an die dunklen Gottheiten, und Geschichten von Überschwemmung und Naturgewalten. Die Hälfte seiner verbliebenen Aufmerksamkeit galt der Aufgabe, Joe Jackson aus dem Weg zu gehen. Die farbigen Scheinwerfer und die turbantragenden Wärter geleiteten die Besucher weiter wie Hunde eine Schafherde. Der Mond schien zwischen den ornamentierten Säulen auf ihn herab und schien Zuflucht vor quälenden Gefühlen zu bieten.

Während er so zwischen Licht und Dunkelheit einherschritt, dem Führungsweg und der Erzählung folgte, ergriff ihn die von unsichtbaren Lippen berichtete Geschichte und erfaßte ihn wie ein alter Glaube. Er war plötzlich erfüllt von dem Verlangen nach der lebendigen Welt, die vor Jahrtausenden verschwunden war, nach dem heißen Sonnenlicht, das einst dieses Volk, die Tiere und Vögel im schmalen Streifen des ägyptischen Lebens beschienen hatte. Wie in seinen Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts, hatten die Menschen widersprüchliche Vorstellungen vom Leben nach dem Tode: Manche behaupteten, daß der Tod einen befreie, so daß er für allezeit unter den Sommersternen wohnen werde, andere glaubten, daß der Tod zu einem Grab führte, wo Anubis kommen würde, dunkel und mit dem Kopf des Schakals, um einen in Vorbereitung auf das Gericht wie eine Gurke einzulegen. Und daß dieses Gericht entweder zum Abgrund oder zu einem weiteren Leben führen würde, wo es noch immer Sklaven und tanzende Mädchen und Wein und Wohlgerüche und Land zu pflügen gab.

Mit alledem verglich er seine eigene Existenz, seine Jahre in Büros und Bars und Hochhäusern, seine Gefangenschaft an Schreibtisch und Computer, seine Ängste und Sorgen um Arbeit und Ehe und Einkommen. In seinem Leben hatte es niemals eine Isis gegeben, anmutig und blutdürstig. Er hatte sich den Umständen unterworfen. Glauben hatte es nie gegeben. Nur Furcht und den Wunsch, sich anzupassen.

»Ich glaube, wir kommen jetzt zu Trajans Kiosk«, sagte Jacksons Stimme neben ihm. »Das heißt, wenn ich mich nach all der Zeit recht erinnere. Kommen Sie zum Abendessen, wenn wir wieder im Hotel sind?«

»Mir ist nicht nach Essen zumute«, sagte er.

Seine Gedanken waren in einem quälenden Aufruhr. Er mußte diesem kleinen Mann entkommen. Dann konnte er denken. Vielleicht würde es sogar möglich sein, sein Leben wieder zurechtzurücken.

Als der Besucherstrom nach und nach im mächtigen Rechteck von Trajans Kiosk verschwand, folgte North einem Impuls, schlüpfte davon und verbarg sich hinter einem massiven Granitblock. Schatten hüllten ihn ein. Die Wärter hatten ihn nicht gesehen.