In seinem Versteck konnte er den Fortgang der Erzählung hören. Körperlose Stimmen inszenierten das uralte Drama von Osiris und Isis und dem Tod des Gottes von der Hand seines Bruders.
Er ging im Hotelzimmer hin und her, bekleidet nur mit einem Badetuch, das er um sich gewickelt hatte. Winifred hatte ihm den Rücken zugekehrt und schaute zum Fenster hinaus auf den Nil und die wüstenhafte Einöde jenseits des Westufers.
»Was hätte ich tun sollen? Ich mußte Larry nachgeben. Du weißt, wie diese Kerle mir das Leben schwer machen. Das Genfer Büro ist in dieser Hinsicht schlimmer als Washington. Du weißt das. Außerdem, das Armour-Geschäft …«
»Erzähl mir nicht vom Armour-Geschäft«, sagte sie mit leiser, beherrschter Stimme. »Dies ist nicht das erste Mal, daß du mir so etwas angetan hast.«
»Was willst du damit sagen, dir angetan? Ich habe dir nichts angetan. Es geht darum, was mir angetan worden ist. Glaubst du, ich könne es ändern?«
Er erzählte ihr nie Einzelheiten über seine Arbeit. Entweder wollte Winny es nicht wissen, oder sie verstand die Einzelheiten nicht. Er sah sich genötigt, ihr zu erklären, daß Armour einer seiner heikelsten Kunden war. Die Gesellschaft arbeitete für Armour nicht nur im Warentermingeschäft. Durch Unteragenten exportierte Armour Tausende von Tonnen schwach radioaktiver Abfälle aus den Industrieländern in die Dritte Welt. Nun drohte den Operationen eine Krise. Ein Kunde in einem afrikanischen Land hatte radioaktive Abfallstoffe von einem Subunternehmer Armours gekauft und als Packlage für eine neue Straße durch die Hauptstadt verwendet. Menschen wurden krank. Die lange unterdrückten Tatsachen waren einer deutschen Nachrichtenagentur zugespielt worden.
»Denkst du, das kümmert mich?« unterbrach ihn Winny. »Von mir aus kann ganz Afrika tot umfallen. Was mir an die Nieren geht, ist deine dumme, tolpatschige Art, mit der du gerade unseren Urlaub versaut hast. Warum zeigst du nicht Rückgrat, du Schlappschwanz? Warum sagst du Larry und diesen Armour-Leuten nicht, daß sie dich im Arsch lecken sollen? Wie lange, meinst du, werde ich mir diesen Scheiß noch gefallen lassen?«
Er griff sich in den Nacken, fühlte, wie seine Migräne wieder einsetzte. »Laß mich in Ruhe, ja? Meinst du, es sei meine Schuld? Meinst du, ich sei für diesen Schlamassel verantwortlich?«
Sie wandte sich zu ihm um, blaß und zornig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Wenn North sich bemühte – was er manchmal am Abend tat, bevor der Schlaf ihn übermannte –, konnte er sich an eine Zeit in Washington erinnern, als Winny nicht ständig gemeckert und mit ihm gezankt hatte. Das hatte sich erst geändert, als er nach Genf versetzt worden war, als die Gehaltserhöhungen seltener geworden waren.
Er hatte sein Bestes getan. Hatte sie zu Wochenendausflügen mit seinen Freunden aus dem Büro mitgenommen, in die Alpen oder nach Hochsavoyen. War auf ihren Wunsch eingegangen, ihre dumme Schwester einzuladen.
Das Prickelnde zwischen ihnen war längst verschwunden. Er unterdrückte das Wissen, daß, was er für sie getan hatte, die Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, widerwillig geschehen war. Ihre Reaktionen waren konditioniert durch seinen eigenen Mangel an Charme. Aber schließlich konnte er nichts dafür, oder?
Einst hatte Winnys schlafendes Gesicht so süß und friedfertig ausgesehen. Jetzt war es schlaff und hatte einen lustlosen, kalten Ausdruck, den ihre grauen Augen verstärkten. Diesen kalten Ausdruck richtete Winny jetzt auf ihren Mann, als sie in ihrer Schmährede fortfuhr.
»Ich hörte, was Larry sagte. Er sagte, es sei deine Entscheidung. Du hättest ihm sagen können, daß er dir den Buckel hinunterrutschen soll. Du hast wieder die falsche Entscheidung getroffen.«
»Was Larry sagte, war eine Drohung. Verstehst du das denn nicht? Bist du so naiv, oder tust du nur so? Larry ist ein gemeiner Scheißkerl von einem Karrieremacher.«
»Ach, und was bist du? Du hast immer die Gesellschaft an die erste Stelle gesetzt. Du bist ein Lakai, Oscar, nichts anderes, ein … ein Speichellecker! Ich hasse dich, du bist ein Fiesling, ein Arschloch.«
»Sag du nicht Arschloch zu mir! Ich bin stellvertretender Regionaldirektor, und du weißt, wie hart ich gearbeitet habe, um den Posten zu bekommen. Armour ist einer unserer wichtigsten Kunden, und diese Geschichte ist brisant. Wenn es brennt, muß ich zur Stelle sein. So einfach ist das. Was Larry sagt, ist, daß sie ohne mich nicht zurechtkommen. Kannst du das nicht respektieren?«
Sie durchquerte den Raum und konfrontierte ihn wütend. »Siehst du denn nicht, was für ein elendes Leben wir führen? Siehst du es wirklich nicht? Schon vor unserer Heirat hast du alles in diese Gesellschaft gesteckt. Du hast dich abgerackert und Diener gemacht und Kröten geschluckt. Ich habe es gesehen. Ich habe jeden Zoll des Weges verfolgt, den du gegangen bist. Ich habe die Leute gesehen, die du nach Hause brachtest. Du nennst sie Freunde. Ich nenne sie Feinde. Leute, zu denen du nett sein mußtest, Trinker, Tyrannen, Sadisten, denen es schwerfiel, ihre Verachtung für dich zu verbergen, und mich lüstern begafften, während du dich vollaufen ließest, bevor ich das Essen auf den Tisch brachte. O ja, leugne es nicht. Und all diese schwachen Komplimente. Fresien für mich – Gott, wie ich Fresien hasse! All die Zeit, die du aufgewendet hast …«
»Ach, halt’s Maul, ja?« Er kehrte ihr den Rücken und mühte sich in ein frisches Hemd. »Ich muß unseren Lebensunterhalt verdienen. Wenn ich mich vollaufen ließ, war es deine Schuld. Wenn du es fertig gebracht hättest, freundlich zu allen …«
»Freundlich! Freundlich! Hör zu, du bist ungefähr so freundlich wie diese Wand hier!« Winifred hielt unerwartet inne, als ob früherer Ärger wieder in ihr aufwallte und ihr die Kehle zuschnürte. Sie griff sich an den Hals. »Du warst nicht freundlich mit diesen Leuten. Wir haben keine Freunde. Du nennst diesen Larry deinen Freund, aber er macht dich nur fertig. Reitet auf dir herum, wie du auf mir herumreitest. Du holst aus mir heraus, was du kannst, er holt aus dir heraus, was er kann. Es ist das schmutzige System. Was ist mit unserem einzigen geliebten Sohn? Warum, meinst du, lief er mit vierzehn von zu Hause davon? Nur weil du …«
»Halt Alex da raus! Das ist ein wunder Punkt.«
»Natürlich ist es ein wunder Punkt. Alles ist bei dir ein wunder Punkt, weil du nie gelebt hast. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, ein Arschloch zu sein. Nun tust du es wieder, versaust unsere eine Urlaubswoche in der Sonne. Arschloch!«
Er schlug hart zu. Er spürte, wie die Knöchel seiner aufwärts geschwungenen Rechten ihre Kinnlade trafen und war verblüfft, wie wenig stabil sie war. Sie schien wegzufliegen. Sie fiel über das Bett, stieß die Lampe vom Nachttisch, riß ihren offenen Koffer mit und landete inmitten eines Schauers von Gegenständen am Boden hinter dem Bett.
Stille. North hörte im Nebenzimmer ein Radio spielen.
»Winny?« sagte er.
Stimme des Osiris: »Unser verräterischer Bruder Seth hielt ein üppiges Festmahl für mich, als du fort warst, o göttliche Isis. Mit ihm waren zweiundsiebzig Verschwörer und eine mit ihnen gemeinsame Sache machende Königin von Äthiopien. Wir sangen und tranken, während die Mädchen in ihren durchscheinenden Gewändern tanzten und Sklaven Blumen im Raum verstreuten.«
Stimme des Erzählers: »Osiris war damals König von Ägypten. Im Augenblick seiner Geburt verkündete eine Stimme vom Himmeclass="underline" ›Der Herr über die ganze Welt ist geboren.‹ Osiris war der erste Mensch, der jemals Wein trank. Damit brachte er etwas Neues in die Welt und zeigte seinem Volk, wie man Reben pflanzte und für das neue Getränk die Trauben kelterte. Er verfeinerte die rauhen Sitten seines Volkes und lehrte es Achtung vor den Göttern, auch gab er ihm Gesetze. Ebenso überredete er den ibisköpfigen Gott Thoth, die Künste zu erfinden, Musik, Bildhauerei, Astronomie und die zugehörige Arithmetik, vor allem aber die Schrift, so daß Weisheit aufgezeichnet werden und von einer Generation zur nächsten gelangen konnte, so wie die Wasser des Nils in weit verzweigte Kanäle geleitet wurden, um entfernte Felder zu bewässern.«