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Sharon M. HallEngland

DIE GEBURT DER SÖHNE

Es war kein eindeutig bestimmbarer Augenblick, in dem diese Welt ihren Anfang nahm, diese Welt ohne Frauen – es waren viele solcher Momente. Es war nicht eine einzige Entscheidung, sondern es gab viele Entscheidungen. Jeder Moment war ein persönlicher Moment, jede Entscheidung eine persönliche Entscheidung, zunächst getroffen von Männern und Frauen. Dann immer häufiger von Männern. Und schließlich nur noch von Männern. Eine neue Welt entstand, in die wir still hinüberglitten. Eine Welt, die aus Entscheidungen entstand. Aber ich habe gelogen. Es gibt noch Frauen auf der Welt.

Der Labortechniker rückte seinen Stuhl zurecht und musterte die Frau. Sie lag in einer Nährlösung, rot und warm, weich und nachgiebig. Er kitzelte sie mit der Pipette. Er wartete. Mit angehaltenem Atem murmelte er: »Komm schon, Miststück, spuck’s aus.« Einen Augenblick später gab der Eierstock ein Ei frei, das Jack begierig mit der Pipette aufsaugte. Eine Viertelstunde später war das entnommene Ei ›gereinigt‹ und vorbereitet. Jack lehnte sich zurück und sah zu seinem Assistenten. Der junge Mann erwiderte seinen Blick.

»Eigentlich ist der Job nicht schwer«, erklärte Jack. »Das Warten ist immer das Schlimmste.«

Der junge Mann nickte und hakte die Daumen hinter den Hosenbund. Er hatte schöne Hände, sauber und kräftig. Die Jeans saßen eng. Jack deutete zur Kaffeemaschine in der Ecke. Sie stand ganz hinten auf einem Arbeitstisch und war schwer zu erreichen. Jack lächelte. »Ich sag dir was, mein Lieber. Wir trinken jetzt erst mal einen Kaffee.«

Unterdessen betraten in einem anderen Teil des Geburtszentrums die angehenden Eltern ein Zeugungszimmer. Als die Tür hinter ihnen geschlossen wurde, blieben sie einen Augenblick stehen und betrachteten die unpersönliche Einrichtung. Seidenlaken auf dem Bett, erotische Bilder an den Wänden, ein Schafsfell auf dem Boden. Auf beiden Nachttischchen standen Becher für den Lebenssaft. Die beiden waren seit drei Jahren zusammen. Sie hatten die Eide geleistet und die Formulare ausgefüllt und sich allen notwendigen Tests unterzogen. Aber das hier war etwas Besonderes.

»Nervös?«

»Irgendwie schon.«

»Ich auch.«

Zögern. Dann: »Sie warten schon.«

»Ich weiß.« Er seufzte und strich seinem Geliebten mit flacher Hand über den Rücken. Kleider, von nervös-begierigen Fingern geöffnet, fielen zu Boden. Die Laken waren kalt. Sie mußten lachen.

Später wurden die Becher, gefüllt mit dem Lebenssaft, einem Zeugungstechniker übergeben. Der Inhalt wurde untersucht und sortiert, und die Auserwählten wurden innerhalb des Eies der Frau vereint.

Dann kam die Zeit der Ängste.

Die angehenden Eltern, Jean-Claude und Michael, warteten schweigend. Der Flur war öde, gestrichen mit einer Farbe, die man hier wohl für ein beruhigendes Grün hielt. Sie tranken geschmacklosen Kaffee aus einer Maschine mit einer Sprachstörung. Es gab nichts mehr für sie zu tun. Sie tauschten ihre Gedanken mit Gesten und Berührungen aus. Die Vertrautheit ihrer wortlosen Unterhaltung beruhigte sie ein wenig.

Jean-Claude hob die Flut des blonden Haars von Michaels Ohr. Er flüsterte: »Mach dir keine Sorgen.« Er küßte ihn – es war ein rascher Schmetterlingskuß auf den Rand der Ohrmuschel. »Es wird schon gut werden«, fügte er noch hinzu. Er sprach leise, und sein Akzent kam ein wenig durch. Michael nickte und erwiderte den Kuß.

»Ich weiß«, sagte er. »Es ist nur …« Er trank seinen Kaffee aus und warf den leeren Becher in einen randvollen Abfalleimer. Der Becher fiel herunter und kollerte auf den Boden. Michael machte eine rasche Bewegung, als wollte er aufstehen, doch dann überlegte er es sich anders. Jean-Claude drückte seine Hand und lächelte. »Sinnlos«, sagte er. Sinnlos, irgendwo hinzugehen. Sinnlos, den Becher aufzuheben.

Unter dem weichen karierten Hemdstoff begannen Michaels knospende Brüste zu jucken. Ihm war heiß, er fühlte sich unbehaglich, und er konnte nicht anders, als sich Sorgen zu machen. Er wußte, daß irgendwo in der Nähe der empfindliche Keim ihres Sohnes einer Frau übergeben wurde.

Er machte sich Sorgen, obwohl kein Grund dazu bestand. Die Übertragung klappte einwandfrei. Später durften Michael und Jean-Claude ihren Sohn besuchen. Aber alles, was sie sahen, war ein dunkler Schatten im zornig roten Schoß der Frau.

Jack wartete, bis die Hormone ihre Wirkung entfalteten. Seine Schultern taten weh, und er tröstete sich mit dem Gedanken, daß die Hände seines Assistenten die Schmerzen fortmassieren würden. Später vielleicht. Er kitzelte ungeduldig die Frau und wurde mit einem weiteren Ei belohnt. Er legte es in eine bereitstehende Schale ausgewählter und aktivierter X-Spermien. Dann holte er sich einen Kaffee.

Als das Ei befruchtet war, wurde es Lewis übergeben. Lewis war ein stiller, nachdenklicher Mann. Er liebte seine Arbeit, und manchmal zogen ihn die anderen auf, wenn sie ihn dabei ertappten, wie er mit seinen winzigen Schutzbefohlenen redete. Im richtigen Augenblick näherte Lewis sich mit seinem Messer dem Embryo. Es war allerdings kein metallenes Messer, denn selbst der feinste chirurgische Stahl wäre noch viel zu grob gewesen. Es war ein chemisches Messer, das mit größter Präzision in Michaels embryonische Tochter schnitt und Kopf, Beine und Arme abtrennte, bis nur noch ein Eierstock und ein Schoß übrig waren. Diesen Rest übergab er Frank, der für die Zellkulturen zuständig war.

Schließlich wurde Michaels Tochter neben ihre Mutter gelegt. Die Mutter wußte nichts davon. Sie hatte keinen Mund, um ihre Tochter zu begrüßen. Sie hatte keine Arme, um sie zu umarmen. Vielleicht habe ich doch nicht gelogen.

Neun Monate nach der Zeugung trat Jean-Claudes und Michaels Sohn still in diese Welt ein. Es war eine leichte, wenig bemerkenswerte Entbindung. Der Geburtshelfer zog den winzigen, blutüberströmten Körper aus der Gebärmutter und legte ihn auf eine Heizdecke. Dann führte er den aufgeregten Eltern flüsternd vor, wie sie ihren Sohn anregen konnten, seinen ersten Atemzug zu machen. Sie mußten die Hände in warmes Öl tauchen und reiben – sehen Sie, so. Fest und sanft zugleich. Hier etwas drücken. Mit dem Finger unter den Fuß tippen. Schließlich weinte das Kind. Ein leises, protestierendes Klagen.

Vorsichtig, andächtig die winzigen Finger und die aufmerksamen blauen Augen bestaunend, legte Michael seinen Sohn an die Brust. Das Kind suchte und fand, unterstützt von den hilfreichen Händen des Geburtshelfers, die Brustwarze. Michael schnappte nach Luft, als er überrascht bemerkte, wie kräftig dieser winzige Mund schon war. Er hätte nicht erwartet, daß es weh tun würde.

»Das wird mit der Zeit besser«, erklärte der Geburtshelfer, »wenn die Milch kommt.«

Michael sah zu Jean-Claude. »Du bist dran«, sagte er. »Wollen doch mal sehen, ob dir auch das Lachen vergeht.«

Jean-Claude zog sein Hemd aus der Hose und rieb mit einem Finger sanft über das dunkle, feuchte Haar des Kindes. »Er hat deine Augen«, sagte er.

»Und deine Nase, der Ärmste.«

»Du hast eine sehr schöne Nase«, sagte Jean-Claude zu ihrem Kind. »Hör nicht auf Michael-Papa. Er ist nur eifersüchtig.«

»Wegen der Nase?« Michael lachte. »Ist er nicht wunderschön?«

Der Geburtshelfer blieb in der Nähe und half ihnen, während sie das Baby hin- und herreichten. Er zeigte ihnen, wie sie die Wange des Kindes kitzeln mußten, wie sie ihm helfen mußten, die Brustwarze selbst zu finden, statt sie ihm in den Mund zu stopfen. Schließlich erklärte er ihnen, daß das Kind jetzt schlafen müsse.

»Haben Sie sich schon für einen Namen entschieden?« fragte er.

Michael und Jean-Claude wechselten einen Blick. Gleichzeitig sagten sie: »Adam.«