Выбрать главу

Darin hatte sie recht. Sie mochte seine Freunde nicht, er konnte ihre Freundinnen nicht leiden. Er stopfte sein Hemd in die Hose und wandte sich ab.

»Steh auf und fang an zu packen, und komm mir nicht in die Quere.«

Mit leiser, ruhiger Stimme sagte sie: »Ich komme nicht mit dir zurück. Das sagte ich schon. Ich habe genug.«

»Du wirst mitkommen, und wenn ich dich bei den Haaren ins Flugzeug schleifen muß.« Er wandte sich wieder zu ihr um, das Gesicht eine häßliche Grimasse. Sie richtete sich hinter dem Bett kniend auf, die Ellbogen aufgestützt, und zielte mit einem Revolver auf ihn. Sie umklammerte die Waffe mit beiden Händen, um ihr Zittern zu beherrschen.

»Du wirst mich nicht mehr anrühren, du Scheißkerl. Bleib mir vom Leibe!«

Er erkannte die Waffe sofort. Es war ein kleiner Revolver mit Griffschalen aus Perlmutt, den ihr Vater ihr vor ein paar Jahren geschenkt hatte – ihr Vater, groß im Elektronikgeschäft, der sich einbildete, er habe enge Bindungen an den Alten Westen, Aufkäufer von Ferienranchen und Remington-Gemälden. Winny hatte darauf bestanden, die Waffe nach Europa mitzunehmen; »um mich zu schützen«, hatte sie gesagt, als sie zuerst darüber gestritten hatten. Er hatte keine Ahnung, daß sie den Revolver nach Ägypten mitgenommen hatte.

»Was fällt dir ein, mit diesem Ding auf mich zu zielen, du kleines Luder!«

»Ich schieße!« schrie sie, als er auf sie zustürzte. Beinahe gleichzeitig ging der Revolver los.

Er blieb stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen, hob beide Hände an die Brust.

»Mein Gott, Win«, sagte er, »ich liebe dich …«

Es war erstaunlich, wie manche Menschen nicht verstanden.

Als die Steinplatte angehoben wurde, erschien ein schwarzes Rechteck in der mondbeschienenen Fläche. Stufen führten hinunter in die steinerne Nacht. Von unten drang das Geräusch fließenden Wassers herauf, und ein Modergeruch.

Anubis hatte auf geheimnisvolle Weise Gefolgsleute um sich gesammelt, menschlich von Gestalt, mit leeren Gesichtern, weißen Augen. Einer von ihnen trat näher und hielt einen großen konkaven Schild aus polierter Bronze. Diesen stellte er so auf, daß er Mondlicht in die Öffnung reflektierte und ein Stück der Treppe beleuchtete.

Der schakalköpfige Gott bedeutete North vorauszugehen. Zögernd betrat North die erste Stufe, aber dann trugen seine Beine ihn beinahe mechanisch hinunter in die Tiefe. Er hörte Anubis hinter sich gehen, sah seinen Schatten mit den spitzen Ohren auf den Stufen vor sich.

Das geisterhafte, reflektierte Licht reichte tiefer als vermutet in die Dunkelheit hinab. Sie erreichten einen Treppenabsatz und einen Knick in der Steintreppe. Dort stand ein weiterer Sklave mit einem Schild. Er warf das gespiegelte Mondlicht auf die neue Treppenflucht, so daß sie weiter hinabsteigen konnten.

Sie erreichten einen Kai, wo ein hölzernes Boot mit Seilen an in die Steine eingelassene Ringe gebunden war und sie erwartete. Eine starke Strömung bewegte das Boot hin und her. Halbnackte Ruderer grüßten den dunklen Gott mit erhobener Hand, als er über die schmale Laufplanke schritt. North, der ihm folgte, sah zum erstenmal den Schwanz des Anubis, der sich unter seinem Rock hervorkrümmte. Der Anblick ängstigte ihn schrecklich.

Obwohl ein weiterer Sklave mit einem brünierten Schild am Kai aufgestellt war, gab es wenig Licht, in dem sie sehen konnten, als das Boot abstieß – es war die bloße Ahnung eines Lichtscheins. North vermutete, daß die glitzernden schwarzen Augen des Schakalgottes alles sahen.

Das Boot glitt in die Strömung hinaus. Die Ruderer legten sich angestrengt ins Zeug, der Steuermann gab mit lauter Stimme den Schlag an, und sie nahmen Kurs auf das westliche Ufer.

Wasser rauschte gurgelnd vorbei. Die Decke über dem unterirdischen Fluß war mit goldenen Sternen und Reihen von Pavianen bemalt.

Nach langem Kampf gegen die Strömung langten sie an einem Landeplatz an und gingen von Bord. Norths Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er sah immense Kolonnaden mit eindrucksvollen Gebäuden, Säulen mit eingeschnittenen hieroglyphischen Inschriften. Menschen bewegten sich dort wie Schatten, stumm auf bloßen Füßen. Keine Musik erklang, weder Sonne noch Mond schien; nur eine Ahnung von Licht wurde von Schilden reflektiert, die Sklaven am Kai entlangtrugen. Jeder dieser Männer sah seinem Nachbarn sehr ähnlich und war durch eine Bronzekette wie eine grotesk verlängerte Christbaumdekoration an ihn gekettet.

Anubis ging voran, ohne sich umzusehen. North fühlte sich hin und her gerissen zwischen der Furcht, ihm zu folgen, und der Furcht, seinen einzigen Führer in dieser Nekropole zu verlieren. Es blieb ihm nichts übrig, als der kräftigen Gestalt mit dem langen buschigen Schwanz zu folgen.

Jenseits der eindrucksvollen Fassade der Kolonnaden waren weniger majestätische Gebäude. Diese wurden bald von elenden Lehmhütten abgelöst, deren fensterlose Öffnungen in die Straße gähnten, Rechtecke tieferer Finsternis in der allgemeinen Dunkelheit. Sie waren unordentlich mit Palmwedeln gedeckt. North fühlte sich an die Dörfer erinnert, durch die sie außerhalb von Assuan gefahren waren. Sie kamen zu Feldern, wo braune halbnackte Arbeiter mit Handsicheln Getreide ernteten. Er hatte gesehen, daß das Getreide spärlich und dünn wuchs, die Ähren welk und verkümmert waren. Ein zweirädriger Wagen rumpelte vorbei, aber das Zugpferd war ein skeletthaftes Tier ohne Augen. Über ihnen waren Tauben; ihre Flügel waren dünn wie Papier, und er sah, daß sie in Wirklichkeit bloße Papyrustauben waren, die von einer gemalten Decke herabhingen und Wirklichkeit simulieren sollten. Als sie eine Wegkreuzung erreichten, stand dort ein Fellache bei einem Feuer, aber die Flammen waren bloße Geisterflammen, wie Elmsfeuer. Der Fellache selbst sah mumifiziert aus, mit welken und eingefallenen Zügen.

Der Boden unter den Füßen war trocken, und Staubwolken erhoben sich um ihre Füße, als sie dahingingen. Von nahen Palmen rieselte Staub hernieder.

»Wo sind wir?« rief er in seiner ängstlichen Spannung.

Anubis antwortete nicht, schritt unbeirrbar weiter.

Aber North kam eine Antwort auf seine eigene Frage in den Sinn. Götter wurden vom religiösen Glauben erhalten. Der Glaube war ihr Lebenssaft. Ohne ihn welkten sie wie Vampire ohne Blut. Er kam aus einem Amerika, wo der offizielle Gott, der christliche Gott, unter vielen Formen von Unglauben, darunter Wissenschaft und Kapitalismus, dahinwelkte. Sogar die Allmacht hatte ausgedient. Die großartige, gedeihende Welt des Glaubens im alten Ägypten hatte von vielen Jahrhunderten der Verehrung durch Priester und Gemeinden zehren können. Schließlich aber war dieser Glaube – wie alle Glaubensformen – gleich einer langsam zurückweichenden Tide ausgegangen, unter anderem besiegt durch das Christentum.

Nur auf der Insel Philae konnten die alten Götter noch Nahrung finden, und vielleicht auch dort nur im Licht des Mondes oder der künstlichen Beleuchtung des son et lumière. Allmählich mußte das große, von Ra, dem Sonnengott, Osiris und Isis betriebene Kaufhaus schließen. Es zeigte nur noch zweitklassige Waren in den Auslagen. Seine Pacht war abgelaufen.

Er bedauerte es.

Er wußte, was zu dieser Situation geführt hatte. Geschichte. Technologische Entwicklung. Der Druck des sogenannten Fortschritts, dieses trügerischsten Wortes im Wörterbuch. Veränderung. Einfach Veränderung. Die alte Ordnung änderte sich, machte der neuen Platz. Er war ein Kind der neuen Ordnung an diesem alten Ort.

Sie waren an einem scheunenartigen Gebäude mit einer roh gezimmerten, eckigen Tür angelangt.

»Die Halle des Gerichts«, verkündete Anubis.

Der schakalköpfige Gott blickte zurück, streckte den Arm aus und ergriff Oscar North bei der Hand. Dieser fühlte die Umklammerung der trockenen harten Finger als einen psychischen Schock. Anubis zog ihn in das Gebäude.

Isis war dort.