Выбрать главу

»Erzähl uns vom Krieg«, schmeichelt Daphne, »und wir putzen morgen die ganze Kate von oben bis unten.«

Ich erkenne, ich werde einlenken – nicht weil es mir Spaß macht, meine Kinder zu verwöhnen (obgleich ich es tue), oder weil die Geschichte selbst weniger Zeit in Anspruch nehmen wird als weitere Verhandlungen (obgleich das so ist), sondern weil ich tatsächlich möchte, daß die Zwillinge diese besondere Geschichte hören. Sie hat eine Pointe. Natürlich habe ich sie schon früher erzählt, ein dutzendmal vielleicht, aber ich bin mir immer noch nicht sicher, daß sie sie verstehen.

Ich schnappe mir die Eieruhr und stelle sie umgedreht auf den Nachttisch, die winzigen Sandkörner fließen in die untere Kammer wie Saatkörner aus den Händen eines Bauern. »Seid in drei Minuten bettfertig«, warne ich meine Kinder, »oder keine Geschichte.«

Sie huschen davon, putzen sich eiligst die Zähne und schlüpfen in ihre Leinennachthemden. Leise gleite ich durch die Kate, lösche die Lampen und ziehe den Vorhang vor den Mond, bis nur noch eine einzelne Kerze das Zimmer der Zwillinge erleuchtet wie das Lagerfeuer einer kleinen, rührenden Armee, einer Armee von Mäusen oder Skarabäen.

»Ihr wollt also wissen, was ich im Krieg gemacht habe«, intoniere ich im Singsang, während meine Kinder in ihre Betten klettern.

»O ja«, sagt Damon und zieht seine wollige Bettdecke hoch.

»Und ob«, sagt Daphne und schüttelt ihr Gänsefederkissen auf.

»Es war einmal vor vielen Jahren«, beginne ich, »da lebte ich als Prinzessin und zugleich Gefangene in der großen Stadt Troja.« Selbst in diesem schwachen Licht verblüfft mich, wie schön Damon ist und wie hübsch Daphne. »Jeden Abend saß ich in meinem Boudoir und blickte in meinen polierten Bronzespiegel …«

Helena von Troja, Prinzessin und Gefangene, sitzt in ihrem Boudoir, blickt in ihren polierten Bronzespiegel und sucht ihr Weltklassegesicht nach Symptomen von Alterung ab – nach Falten, Doppelkinn, Tränensäcken, Krähenfüßen und den zinnenartigen Leichen von Haaren. Ihr ist zum Heulen, und nicht nur, weil man ihr diese letzten zehn Jahre in Ilium[6] langsam ansieht. Sie ist dieses ganze schmutzige Arrangement leid, sie ist es leid, in dieser überhitzten Akropolis eingesperrt zu sein wie ein Kakadu im Käfig. Getuschel geht durch die Zitadelle. Die Diener tratschen, sogar ihre eigenen Mägde. Die Hure von Hissarlik[7] nennen sie sie. Die Schlampe aus Sparta. Das lakedaimonische[8] Flittchen.

Dann ist da noch Paris. Sicher, sie liebt ihn schrecklich, sicher, sie haben großartigen Sex miteinander, aber können sie nicht mal reden?

Seufzend schüttelt Helena mit ihren langen, schlanken, exquisit manikürten Fingern ihre Frisur aus. Ein silbernes Haar liegt inmitten der entfalteten Pracht wie eine räuberische Schlange. Langsam windet Helena sich die anstößige Faser um den Zeigefinger und ruckt kurz daran. »Autsch«, schreit sie auf, mehr aus Verzweiflung, denn vor Schmerz. Manchmal ist Helena danach, sich die ganzen schönen Locken auszureißen bis zum letzten Büschel, nicht bloß diese ergrauenden Fäden. Wenn ich noch einen sinnlosen Tag in Hissarlik verbringen muß, sagt sie sich, werde ich verrückt.

Jeden Morgen führt sie mit Paris dasselbe deprimierende Ritual durch. Sie geleitet ihn zum Skalischen Tor, reicht ihm Speer und Henkelmann und schickt ihn mit einem raschen lauen Kuß zur Arbeit. Paris’ Arbeit ist es, Menschen zu töten. Bei Sonnenuntergang kehrt er heim, bekleckert mit Blut und nach Bestattungsfeuern stinkend, der Speer eingehüllt in Stücke trocknender Eingeweide. Da draußen tobt ein Krieg: Paris erzählt ihr nie mehr. »Gegen wen kämpfen wir?« fragt sie jeden Abend, wenn sie zusammen im Bett liegen. »Zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen kleinen Kopf«, antwortet er und zieht ein Schafsdarmkondom über den Schwengel, die Marke mit dem behelmten, Helmbusch tragenden Soldaten auf der Schachtel.

Bis zu diesem Jahr wollte Paris, daß sie jeden Morgen über Trojas hohe Mauern spazierte, den Truppen ermutigend zuwinkte und ihnen Kußhände zuwarf, während sie in die Schlacht marschierten. »Dein Gesicht inspiriert sie«, beharrte er stets. »Ein luftiger Kuß von dir ist soviel wert wie tausend leidenschaftliche Nächte mit einer Nymphe.« Doch in den letzten Monaten haben sich Paris’ Prioritäten geändert. Sobald sie sich verabschiedet haben, soll sie, Helena, in die Zitadelle zurückkehren, ohne mit jemandem zu sprechen, und ohne einen kurzen Kaffeeklatsch mit einer von Paris’ neunundvierzig Schwägerinnen abzuhalten. Sie soll den ganzen Tag mit Teppichweben, Flachskämmen und Schönsein zubringen. Das ist kein Leben.

Können die Götter helfen? Helena ist skeptisch, doch es lohnt den Versuch. Morgen, beschließt sie, wird sie zum Tempel Apollos gehen und ihn bitten, ihre Langeweile zu beleben, und sie wird ihre Bitte vielleicht durch ein Angebot untermauern – einen Widder, einen Bullen, was auch immer – wenngleich ihr so ein Angebot eher wie ein Kuhhandel vorkommt, und Helena hat genug davon. Ihr Mann – Pseudoehemann, Nichtehemann – hat einen Kuhhandel abgeschlossen. Sie denkt immer an den Zankapfel und was Aphrodite vielleicht damit gemacht hat, nachdem sie Paris bestochen hatte. Hat sie ihn in ihre Fruchtschale fallen lassen … ihn auf den Kamin gelegt … ihn auf ihre Krone gespießt? Warum hat sie das verdammte Ding ernst genommen? Warum hat überhaupt jemand von denen es ernst genommen? Hallo, ich bin die schönste Göttin im Universum – seht, es steht so hier auf meinem Apfel.

Verdammt – noch ein graues Haar, ein weiteres Unkraut im Garten ihrer weiblichen Schönheit. Sie greift nach dem Übeltäter – und verharrt. Warum das Getue? Diese Haare sind wie Hydras Köpfe, zahllos, krebsartig, und außerdem ist es höchste Zeit, daß Paris erkennt, da sitzt ein Verstand unter dieser Frisur.

Woraufhin Paris hereinkommt, schwitzend und schnaubend. Der Helm schief; der Speer blutbesudelt; seine Beinschienen klebrig von Menschenfleisch.

»Harter Tag, Liebster?«

»Frag nicht.« Ihr Nichtehemann löst seinen Brustpanzer. »Schenk uns Wein ein. Du hast ins Speculum[9] geschaut, nicht wahr? Gut.«

Helena legt den Spiegel ab, entkorkt die Flasche und füllt zwei diamantbesetzte Pokale mit Chateau Samothrake.

»Ich habe heute von einigen Techniken gehört, die du vielleicht ausprobieren solltest«, sagt Paris. »Möglichkeiten für eine Frau, ihre Schönheit zu erhalten.«

»Du meinst – du redest auf dem Schlachtfeld?«

»Während der flauen Phasen.«

»Ich wünschte, du würdest mit mir reden.«

»Wachs«, sagt Paris und hebt den Pokal an seine Lippen. »Wachs ist das Richtige.« Seine schweren Wangen legen sich in Wellen, während er trinkt. Ihre Affäre, das gesteht Helena, verschafft ihr immer noch Nervenkitzel. In den letzten zehn Jahren hat ihr Liebhaber etwas über die flüchtige Schönheit eines Adonis Hinausgehende und ebenso Anziehende entwickelt, eine gebieterische, ungezierte Sexualität, einem alternden Matinee-Idol nicht unähnlich. »Nimm etwas geschmolzenes Wachs und arbeite es in die Linien auf deiner Stirn ein – und presto sind sie weg.«

»Mir gefallen meine Linien«, beharrt Helena mit raschem, aber hörbarem Schnauben.

»Man sagt, mit Ochsenblut gemischt, ist der dunkle Schlick aus dem Fluß Minyeios farbecht. Du kannst deine silbernen Haare wieder goldbraun färben. Ein griechisches Rezept.« Paris nippt an seinem Wein. »Und was die überschüssigen Unzen an deinen Schenkeln angeht, nun, Liebes, wir beide wissen, es gibt nichts Besseres als Training.«

»Wer sagt das wem«, höhnt Helena. »Deine Haut ist keine Pfirsichhaut. Dein Kopf ist kein üppig wuchernder Garten mehr. Und was deinen Bauch betrifft, jede Wette, daß Paris von Troja durch den Regen gehen kann, ohne daß seine Schuhschnallen naß werden.«

вернуться

6

 Ilium – antiker Name Trojas – Anm. d. Übers.

вернуться

7

Hissarlik – Hügel, auf dem Troja erbaut wurde – Anm. d. Übers.

вернуться

8

Lakedaimon – griech. für Sparta – Anm. d. Übers.

вернуться

9

Speculum – lat. Spiegel – Anm. d. Übers.