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»Ja, sicher«, wiederholte der Wissenschaftler seinen Gedanken, »lebendig ist es nicht. Aber es ist auch keine tote Materie.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Damit will ich sagen, das alles ist keine leblose Substanz.«

»Ein Gas im elektromagnetischen Feld?«

Der Wissenschaftler zuckte die Achseln. Mit hastigen, nervösen Bewegungen zeigte er noch einmal auf das Gerät. »Das hier«, umkreiste seine Hand die Würfel, »hier drin also, ist der ganze Kosmos.« Er griff in seinen schneeweißen Bart. »Und ich beobachte ihn.«

»Also doch tote Materie.«

»Gas. Vor allem Wasserstoff, Helium und andere Elemente in einem entsprechenden Verhältnis. So ein kleines Modell. Ja, es hat hier drin sein Gravitations- und elektromagnetisches Feld, aber ich greife nicht ein. Ich beobachte und sehe zu.«

Er zeigte auf einen ovalen Bildschirm an der Mauer des Raums, auf einen kleinen Roboter, der einer glitzernden Spinne ähnelte. Sein Kopf aus zahlreichen kleinen Kristallen zusammengesetzt, rutschte in einer Schiene an der Peripherie des Würfels hin und her.

»Mein Auge«, sagte der Wissenschaftler. »Ein Superultramikroskop. Der Oberste Rat weiß darüber nichts. Du wirst schon begreifen, warum.«

Gal wußte, daß der Rat gegenüber den Marotten seiner Mitglieder nachsichtig war, also begriff er nicht: warum sollten sie nichts darüber wissen? Aber er sagte nichts und schwieg weiter.

»Das da«, sagte sein Freund und zeigte auf den Kameraroboter, »erlaubt mir einen Rundblick in die Tiefe dieser Mikroweit. Der Bau seiner Atome ist dem Bau unseres großen Kosmos analog. Die Sternensonnen sind durch die Atomkerne ersetzt, die Planeten durch Elektronen. Die Zeit kann ich selber nach meinem Belieben regulieren. Heute habe ich mir bei der Wand des Würfels ein Atom ausgesucht«, fuhr er fort und hielt den Roboter an. »Da ist es.«

Das Laboratorium tauchte in ein graues Dunkel. Die Rubin- und Smaragdaugen der Computer blitzten auf. Der Würfel auf dem Zentraltisch phosphoreszierte in mattmilchiger Beleuchtung und der spinnenähnliche Roboter glänzte auf ihm wie ein lebendiges Auge.

Sie setzten sich in die Sessel vor dem Bildschirm. Ein feiner Klang ertönte, und in dem ovalen Bildschirm zeigten sich Wellen. Gal kam es zunächst so vor, als er durch die gläserne Wand in das wirbelnde Innere des Würfels blickte. Allmählich, als der Roboter das Bild vergrößerte, wurden die Bewegungen der Fünkchen und Flöckchen langsamer, und auch der schwindelerregende Tanz der Teilchen um die glühenden Kerne bremste sich ab. Die Schwaden wurden kleiner und lichteten sich, die Entfernungen unter ihnen wurden größer, die Weltsysteme krachten ineinander und verfielen in eine graue Dämmerung. Mit verhaltenem Atem beobachtete Gal, wie das Dunkel zwischen den Teilchen dichter wurde, wie das Licht der Kerne-Sonnen an Kraft gewann. Das Kameraauge nagte sich durch dieses Chaos, fing die Sternenhaufen der Sonnen in sein Blickfeld ein, dann auch die Halsbandketten der Satelliten und ließ sie wieder gleichgültig vorbeihuschen.

»Aber das ist doch – tatsächlich – das All!« sagte er schweratmend.

»Und da ist unser Atom«, sagte der Wissenschaftler und lächelte in seinen Bart hinein.

In dem tiefen Dunkel schien ein weißer Punkt auf, wurde größer und wuchs. Nun war es kein Punkt mehr, sondern eine golden- und orangefarben leuchtende Scheibe. Als sich das Kameraauge ihr nahte, verwandelte sich die Scheibe in eine zottige Feuerkugel, aus der Funkensprudel und Lichtgeysire sprühten. Beides ging in der Stille des ringsum liegenden Raumes taub und leise unter, verlor sich in ihm wie das Schweigen in der Lautlosigkeit.

Der Wissenschaftler beugte sich über das Pult. Seine Finger tanzten auf der Tastatur.

»Das ist der Kern – die Sonne«, sagte er.

»Und die Planeten?«

Die strahlende Scheibe schob sich seitwärts, und das Auge fiel in die Dunkelheit. Ja, die Finsternis war überall, aber auf ihrem Hintergrund leuchteten Myriaden von winzigen Funken, als hätte jemand ein schwarzes Gewebe mit Silberstaub bestreut. Der Raum war doch nicht leer.

Ganz nahe hastete ein kugelförmiger Körper vorbei. Es war zwar nur ein Augenblick, aber die Roboterkamera stimmte eilends die Lichtwellen mit der Bewegung des flüchtenden Teilchens ab und machte alles schärfer.

Das Teilchen blieb im Raum stehen.

Vergrößerung: Die rote und die schwarze Kugel hingen wie eine erloschene Lampe in den Strahlen des unsichtbaren Kerns. Noch eine Vergrößerung.

Sie beobachteten eine rundliche Gegend der wüsten Welt, die stürmisch war vor lauter Leben in der leblosen Materie. Hier herrschten Urkräfte. Wasserfälle von Funken und Lava spritzten in die Höhe, bildeten Krater, Gebirge und Bergschluchten, auf deren Boden das flüssige Metall kochte und Feuerflüsse abkühlten.

»Die Kugel dreht sich fast überhaupt nicht um ihre Achse, deswegen ist sie von dieser Seite her so heiß«, sagte der Wissenschaftler. Der Planet sprang unter ihnen, verschwand im Dunkel, erschien wieder in einem Feuerkranz der Protuberanzen aus dem zentralen Kern. Im Bruchteil einer Sekunde konnte man die in ewiger Nacht und stillem Gelände steifgewordene, zerklüftete Bergspitzen erkennen.

»Auf dieser Seite«, sagte der Gelehrte, »herrscht fast absolute Kälte. Die Temperatur des Alls.«

Es ist unglaublich, dachte Gal, was man alles aushalten kann, ohne wahnsinnig zu werden.

»Und da ist eins der Teilchen auf der zweiten Umlaufbahn«, unterbrach der Freund seine Gedanken.

Aus dem Brunnen der Finsternis stieg das Phantom einer struppigen Kugel. Den Pelz ihrer Oberfläche durchlief ein Beben, als würden in ihm Unmenge von Parasiten wimmeln. Nun eine nähere Aufnahme: Der Pelz verwandelte sich in eine braungraue Gasatmosphäre, die gigantische Stürme durchfurchten. Gal stellte sich im Geiste das röchelnde Heulen der Orkane und das Gerassel der zusammengebrochenen Sandwände vor – was versteckte sich alles unter dieser Wolkendecke?

»Und die Planetenschale?«

Im Dickicht des Bartes blitzte ein Lächeln auf. »Kann man nicht feststellen.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Wenigstens nicht damit«, er zeigte auf den ovalen Bildschirm. »Eine Welt des ewigen Brodems.«

Gal schüttelte nur den Kopf. Der Gelehrte sprach:

»In unserem Kosmos sind die ersten zwei Bahnen der Elementarteilchen mit mathematischen Formeln der Materie besetzt. Interessanter sind deswegen die entfernteren Globen. Zum Beispiel dieser da …«

Das zottige Ungeheuer verschwand in der funkelnden Finsternis, und in das Feld des Superultramikroskops segelte eine grünliche Kugel mit der bläulich-goldenen Aureole der Atmosphäre. Als sie näher kamen, füllte sie den Bildschirm immer mehr. Sie drehte sich träge um ihre Achse, und der zentrale Kern zog auf dem Wasserspiegel der Ozeane eine brennende Lichtfurche, bis die Augen wehtaten.

»Sieh mal einer an, wie schön sie geworden ist«, sagte der Wissenschaftler lächelnd.

Wie die Sekunden und Minuten verflossen, änderten sich die Umrisse der Kontinente. Da und dort blitzte ein Licht auf und erlosch wieder. An seiner Stelle wuchs und verschwand eine Rauchblase aus Miniaturvulkanen. Die Küstenlinie schob sich vor den tastenden Zungen der Strömungen hin und her. Umgekehrt verschlang der Ozean den Kontinent, und aus den Sandflecken der Wüsten stiegen Berge auf, so lange, bis auf ihren Gipfeln das Eis zu funkeln begann. Ein monumentaler Anblick, der Kampf der Elemente, zusammengepreßt in einen mikroskopischen Bruchteil der Raumzeit.

»Wenn ich jetzt den Blick schärfer einstellen würde, dann würdest du nur Gespenster sehen – ein Schatten- und Farbenspiel«, sagte der Wissenschaftler, und ergänzte für sich: »Ich muß die Zeit verlangsamen.«

Auf dem Bildschirm erschienen kleine, mit schattenartigen Beinchen wedelnde Spinnen. Ihre Körper blähten sich unwahrscheinlich schnell auf, verschlangen die Fläche, bis sie den ganzen Bildschirm ausfüllten. Dann – als würde sie platzen – zog die weiße Blase ihren kurzatmigen Bauch auseinander und schluckte die ganze Fläche hinunter, ein milchiges Grau hüllte die ganze Fläche ein.