Выбрать главу

»Er will nicht«, murmelte der Bärtige, »aber das bedeutet nichts.«

»Was – nicht? Was wollen die mit ihm tun?« flüsterte Gal, ganz blaß vor Grauen.

Aus dem Scheiterhaufen loderte als Antwort ein Feuer auf, und der graue Rauchschleier verschlang beide Männer, den gefesselten und den mit der Kappe, und die ganze Schar und auch das Gebäude. Das Bild wurde dunkler.

»Genau dasselbe wie auf den anderen Welten. Die Hinrichtung eines, der nicht glaubt«, sagte der Wissenschaftler, und in seinem Blick erschien Müdigkeit.

»Was glaubt er nicht?«

»Er glaubt nicht, daß es etwas außer seiner eigenen Zeit und außerhalb seines Raumes gibt. Er glaubt nicht an Gott.«

»Das ist widerlich«, sagte Gal und stand auf.

Es war, als wäre der Bärtige plötzlich älter geworden. »Nur noch eine Weile, dann muß es kommen. Ich will, daß du es mit deinen eigenen Augen siehst«, fügte er fast bittend hinzu. Langsam, seinen Blick auf seinen Freund geheftet, sank Gal wieder in den Sessel.

Sie sahen Massen von bewaffneten Männern, wie sie im Rauch primitiver Waffen verreckten, sahen, wie stolze Städte brannten und wie ihre Mauern zusammenbrachen, sie sahen den ruhigen Gang der Zeit mit dem Schicksal dieses Teilchens. Das Leben brach zusammen, wurde in Asche verwandelt, und schon wieder loderte es in kleinen wieder stärker werdenden Flämmchen. Der das Superultramikroskop führende Roboter änderte in regelmäßigem Rhythmus den Leistungsbedarf des Apparats.

»Jetzt kommt’s«, schrie der Wissenschaftler und krallte die Finger in die Sessellehne.

»Worüber sprichst du?« fragte Gal.

God zeigte auf den Bildschirm.

Sie schwebten im Halbdunkel einer mächtigen Halle mit einer riesigen Gewölbedecke. Durch die Fenster strömte buntes Licht herein, und die Kapitelle der Säulen glänzten golden. Es war barbarisch herrlich schön – und barbarisch grausam. Auf den immens großen Bildern, die die Wände schmückten, ringelten sich blasse Rümpfe, von Pfeilen durchbohrt, Leichengesichter mit geschundenen Zügen, weinende Frauen. Und all die Blicke, all die Blässe, all der Schmerz und all das Leiden zielten auf das zentrale Kolossalbild, das die Stirnseite des Raums beherrschte. Unter dem Bild stand ein Mann ganz im Gold und mit einer hohen Mütze auf dem Kopf, sein Mund öffnete sich und schloß sich wieder. Die Augen wanderten über den riesigen Schwarm der Betenden, die sich vor dem Bild beugten.

Gal riß die Augen auf. Nein – er konnte dem nicht Glauben schenken, was er sah.

Denn auf dem Gemälde schwebte in einem absonderlichen, goldroten Gewand die getreue Abbildung seines Freundes, und sein langer schneeweißer Vollbart wallte wie eine phantastische Schwinge hinter ihm her …

»Als ich das zum erstenmal gesehen habe«, sagte der Wissenschaftler, während sie am frühen Abend auf der hohen Terrasse saßen, »hatte ich Lust, den verdammten Würfel in Stücke zu zerschlagen, damit von ihm nicht eine einzige Scherbe bliebe. Ich hatte Lust, ihn in den Desintegrator zu werfen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich konnte es einfach nicht tun.«

Sie schwiegen eine Weile. Aus den duftenden Sträuchern flogen goldene Käfer, deren melodische Musik den Abend erfüllte. Der Himmel war violett, und nur am Horizont leuchtete nach dem Sonnenuntergang noch ein gelber Streifen.

»Das begreife ich«, sagte Gal und nippte an seinem Glas mit rotem Getränk. »Ja, ich glaube, daß ich dich verstehe«, wiederholte er ruhig und ein wenig nachdenklich.

»Aber es ist doch vollkommen unsinnig und unmöglich, daß sie mich gesehen haben können.« Er sprach schnell und fiebrig, als versuchte er, sich selber zu überzeugen. »Und wenn ich mir vorstelle, daß die mich dort mit all diesen Greueltaten, Morden und dem widersinnigen Treiben der geisteskranken Gehirne verbinden, daß ich es bin, der ihnen den Blick auf die Wahrheit versperrt – so ist mir davon auf eine fatale Weise übel, eklig und schaudererregend.«

»Das ist selbstverständlich ein unlösbares Problem für dich, mein Freund«, sagte Gal nachdenklich. »In einem Punkt – da bin ich mir vollkommen sicher – haben diese Wesen jedoch ausgesprochen recht.«

Der Wissenschaftler zog die Augenbrauen fragend nach oben und zupfte an seinem Bart.

»Du bist tatsächlich ihr Gott und ihr Schöpfer«, sprach Gal sachlich und mit Nachdruck.

Der Bärtige stöhnte auf. »O Gott«, flüsterte er.

Gal nickte bedeutungsvoll.

Währenddessen drehte sich der Planet Erde in der Helligkeit seiner Sonne in einem verlassenen Randbereich der Galaxie, deren flatterndes Funkeln sich matt von den Wänden des durchsichtigen Würfels in dem leeren Laboratorium widerspiegelte …

Originaltiteclass="underline" ›NEŘEŠITELNÁ OTÁZKA‹ • Copyright © 1996 by Václav Kajdoš • Erstveröffentlichung • Copyright der deutschen Übersetzung © 1996 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München • Aus dem Tschechischen von Karl v. Wetzky • Illustriert von Manfred Lafrentz

John MeanyEngland

HEILIGUNG

Ein blinder alter Bettler, ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte und den sie nie wiedersehen sollte, brachte das junge Mädchen auf den Weg zur Heiligkeit.

Ihr ganzer Körper schmerzte und ihre Augen waren trocken und wund, als Ashara barfuß durch die Stadt Wusaba wanderte. Den ganzen Abend hatte sie ihren fetten alten Herrn und seine Geschäftsfreunde unterhalten. Obwohl er sie mißbraucht hatte, mochte sie ihn beinahe, denn sie wußte, wie schlecht andere Diener manchmal behandelt wurden. Aber ihre Kinderseele schmerzte immer noch von den Verletzungen.

Das in Mosaiken verlegte Pflaster fühlte sich unter den harten Sohlen ihrer bloßen Füße warm und trocken an. Sie hatte ihren Botengang erledigt und eine Datenkapsel im Haus eines Händlers abgeliefert. Es war eine unauffällige Art und Weise, illegale Daten zu übermitteln und den Überwachungsorganen des Prokurators zu entgehen. Da sie jetzt etwas freie Zeit hatte, wanderte sie über die breiten Prachtstraßen der Stadt in ein Viertel, das sie noch nie besucht hatte.

Sie schlenderte langsam zwischen den Zelten und Buden eines wimmelnden Basars herum, der eine ganze Quadratmeile groß war. Droben schwebte lautlos ein geschmückter Flieger, der mit Juwelen besetzt war und das Siegel eines Sprößlings der edelsten Kaste der Stadt trug. Ashara blieb stehen und starrte ihm nach, bis er verschwand. Dann kaufte sie an einem Stand eine kleine Frucht, für die sie ein Viertel ihres Wochenlohns bezahlen mußte. Im Gehen schnüffelte sie an der Frucht und zögerte den ersten Bissen noch ein wenig hinaus. Sie ging weiter, bis sie den Rand des Platzes erreichte, auf dem der Basar stattfand. Sie blieb unsicher stehen – so weit hatte sie sich noch nie vom Haus ihres Herrn entfernt –, dann trat sie durch einen weiten marmornen Torbogen in die Allee der Hände.

Die Prachtstraße war einen halben Kilometer breit und viele, viele Kilometer lang. Der breite Fahrweg in der Mitte sah aus wie blauer Saphir. Auf ihm zu gehen, war, als würde man über den Himmel laufen. Zu beiden Seiten der gewaltigen Straße reckten steinerne Arme ihre gestreckten Hände dem Himmel entgegen. Der Himmel war mit Fliegern besprenkelt, aber keiner befand sich in unmittelbarer Nähe. Die Allee der Hände war ein heiliger Weg, und niemand wollte ihn entweihen, indem er mit einer Maschine darüberflog.

Im Schatten eines gewaltigen steinernen Arms, die grimmige Hitze der Sonne, die bald auf sie hereinbrechen würde, schon ahnend, hockten hunderte blinder und verstümmelter Bettler und bedrängten die vornehmen Passanten, mit einer gewissen Würde zwar, aber dennoch bettelnd. Ihre wohlklingenden Stimmen füllten die Luft. Manche rezitierten epische Gedichte oder Sagen, die beim Erzählen über die Jahre gewachsen waren und nicht enden wollten. Manche trugen aus dem Kopf lange Passagen aus heiligen Schriften vor. Blinde Bettler lasen heilige Worte aus ihren in Blindenschrift geschriebenen Ausgaben der Bibel oder des Koran und predigten den geschäftigen Leuten, die kaum Zeit zum Zuhören hatten. Viele lebten trotz schmerzhafter Krankheiten seit mehr als zweihundert Jahren. Für Ashara war es unvorstellbar, wie jemand so lange Zeit sein Leiden ertragen konnte.